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Die monarchische Frage in Spanien

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Madrid, im April

Das tragische Ende des jungen Infanten Alfonse Sohn des in Portugal im Exil lebenden spanischen Thronanwärters Don Juan, hat zwangsläufig das Interesse in Spanien wieder auf die monarchische Frage gelenkt.

Dem neuen Spanien hat der aus dem Bürgerkrieg siegreich hervorgegangene Generalissimus Franco, wie immer sich auch die Entwicklung gestalten möge, seinen historischen Stempel aufgeprägt. Daß Spanien ein Königreich ohne König ist, ist schon wiederholt festgestellt worden. Ebenso ist über die Stellung und die Machtfülle des Staatschefs dieses Königreiches im Laufe der Jahre in verschiedenen Variationen berichtet worden. Eines steht jedenfalls fest: Auch alle Gegner Francos. gleichgültig welcher Färbung, soweit diese nicht in die verschiedenen Schattierungen des Rot übergeht, müssen anerkennen, daß es gegenwärtig weit und breit keinen Mann im Lande Spanien gibt, der ihn ersetzen könnte, daß mit anderen Worten sich heute die Dinge ohne Franco in unabsehbarer und unberechenbarer Weise entwickeln würden. Selbstverständlich wäre hierbei der Vorstoß der Linken der entscheidendste politische Faktor. Franco ist Sieger, aber kein Bekehrer. Die rote Front des Bürgerkrieges ist geschlagen, sie ist teilweise in den Hintergrund des Abwartens, zum Teil in den Untergrund illegaler Tätigkeit und nicht zum geringsten Teil in die Scheinheiligkeit angeblicher Bekehrung getrieben worden. Aber zweifellos besteht sie unentwegt weiter, wenn auch ein nicht nur sehr gut geschultes, sondern auch erfahrenes Polizeisystem ihr immer wieder harte Schläge versetzt, Zellen und geheime Druckereien aushebt und Leiter der illegalen Bewegung verhaftet.

Genau genommen ist das aber gar kein Nachteil, sondern ein Vorteil. Es ist gut, daß jene Front auch im friedlichen Spanien, wenn auch mit weit geringerer Kohäsion weiterbesteht, die während des Bürgerkrieges das beste Bindemittel und das einzige einigende Band für alle bildete, die auf der Gegenseite standen; demnach also auch für die legitimistischen aller Monarchisten, wie für die revolutionärsten aller Falangisten.

Als der junge Infant Alfonso durch die Entladung seiner eigenen Pistole den Tod fand, verfügte bekanntermaßen der Staatschef des Königreiches Spanien, Generalissimus Franco, daß unverzüglich alle Erleichterungen für die Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten wie für den Ausdruck der Trauer selbst gewährt werden. Die Trauer war auch ebenso groß wie ehrlich. Wie denn auch nicht? Unabhängig von jeder politischen Stellungnahme wäre alles andere unmenschlich und unmöglich gewesen. Aber was änderte das an der eigentlichen Sachlage, am Stand der monarchischen Frage? — Gar nichts! Es sei denn, daß der Prätendent Don Juan um einen Erben und eine Chance ärmer geworden ist.

Don Juan lebt bekannterweise in Estoril bei Lissabon. Er lebt im Exil. Er ist nach wie vor Kronprätendent. Er hat nie abgedankt. Die zwei Zusammenkünfte, die zwischen ihm und Franco einmal an Bord eines spanischen Schiffes und zum letzten Mal an der spanisch-portugiesischen Grenze stattfanden, haben in dieser Hinsicht nichts geändert. Franco ist nach wie vor Staatschef des Königreiches Spanien auf Lebenszeit und Don Juan ein im Exil lebender Thronanwärter. Eine besondere Aenderung ist allerdings nach der zweiten Zusammenkunft eingetreten, und die Zeit wird erweisen müssen, wie weit diese eine Komplizierung oder eine Vereinfachung der Lage zur Folge haben kann. Die beiden Söhne Don Juans kamen nach dem Spanien ihrer Ahnen, nach dem Spanien Francos, um in den Schulen Franco-Spaniens unter Aufsicht verläßlicher Präzeptoren erzogen zu werden. Nachdem der jüngere der beiden sein tragisches Ende gefunden hat, bleibt nur noch der ältere übrig. Er ist Zögling der Militärakademie von Saragossa, fuhr in der Uniform der spanischen Armee zu den Trauerfeierlichkeiten für seinen Bruder und meldete sich schon nach vierundzwanzig Stunden wieder bei seinem Vorgesetzten in Saragossa zurück.

Die Fragen sind: Was will Don Juan, was will Franco mit dieser recht ungewöhnlichen Lage? Man könnte sich die Antwort recht einfach machen: Don Juan will, ohne grundsätzlich 'seine Rechte aufzugeben, für die Dynastie retten, was zu retten ist, und Franco, der keinen männlichen Nachkommen hat, will sich in dem unter seiner Aufsicht erzogenen Prinzen Juan Carlos, mit Uebergehung dessen Vaters Don Juan, einen Nachfolger für die Leitung des Staates heranziehen, den er als siegreicher Feldherr aus seinem dreijährigen Bürgerkrieg heraus neu gebildet hat. Wo ist aber eine Garantie dafür, daß die Ereignisse nach Franco nicht über alle Zukunftspläne hinweggehen und ganz andere Wege nehmen als die, die vorgesehen waren?, Eine Garantie könnte die Verfassung sein. In ihrer jetzigen Form ist sie es jedoch nicht, da sie nur vorsieht, daß der sogenannte „königliche Rat“ (Consejo del reino) nach dem Abileben des jetzigen Staatschefs den Erben bzw. den König bestimmen soll, „der auch der früher herrschenden Dynastie angehören k a n n“. Daß diese Nachfolgebestimmungen noch keine ge-. rügend klare Form erhalten haben, weiß Franco selbst und hat auch deren, weiteren Ausbau schon angekündigt.

Eine zweite Garantie könnte die Armee bilden, wenn sie sich geschlossen für die getroffenen Lösungen einsetzt. Eines kann aber als gegeben angenommen werden: Soldaten werden die Garanten der Ruhe und Ordnung sein, wenn nach dem Ableben des gegenwärtigen Staatschefs die Ansichten aufeinanderprallen und gegebenenfalls auch in aktiver Weise zum Ausdruck kommen sollten.

Die Aussichten des Zöglings der Militärakademie von Saragossa, Don Juan Carlos, eines netten, wohlaussehenden, wohlerzogenen, auch intelligenten und anscheinend von der durch die Mutter in die Dynastie gebrachte Erbkrankheit nicht betroffenen jungen Mannes, werden sowohl von seiner Entwicklung wie von den Möglichkeiten abhängen, ein populärer Thronfolger zu werden, ganz abgesehen von der Haltung seines Vaters, der bisher noch nicht daran denkt, auf die Thronfolge zu verzichten.

Im übrigen wird abzuwarten sein, wie weit sich die Fragen von Parlamentswahlen einer Nationalversammlung oder Volksabstimmung nach dem Tode Francos bzw. die Notwendigkeit einer Befragung und Mitsprache der Massen entwickeln werden. Denn daß diese Fragen in irgendeiner Weise zum Durchbruch gelangen müssen, ist mit Bestimmtheit anzunehmen. Mit der gleichen Bestimmtheit, daß das Ableben des Generalissimus von der Linken für den gegebensten Augenblick des schon erwähnten Vorstoßes angesehen wird. Hinzuzufügen ist noch die Tatsache, daß heute in Spanien nur eine kleine Minderheit bedingungslos monarchisch ist. Was das Volk anbelangt, will es das, was jedes Volk will: Frieden, Ruhe, Arbeit und Brot. Was immer auch kommen mag, die bewaffnete Macht wird, wie gesagt, die beste Gewähr für deren Erhaltung bieten — und Franco hat unter manchem anderen auch eine recht beachtliche Armee aufgestellt.

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