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„Mit der Wirkung einer Zeitbombe”

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(Daß unter den gegebenen Umständen weder der Name noch die Adresse, noch die Lebensumstände des Gesprächs« partners preisgegeben werden können, versteht sich von selbst.)

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(Daß unter den gegebenen Umständen weder der Name noch die Adresse, noch die Lebensumstände des Gesprächs« partners preisgegeben werden können, versteht sich von selbst.)

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FURCHE: Eine Wiener Tageszeitung erschien dieser Tage mit der Headline „Millionäre flüchten aus Portugal”. Senhor, sind Sie Millionär?

F. A.: Groschenmillionär, sicherlich. Welche Kapitalien man als mittlerer Angestellter anhäufen kann, dürfte bekannt sein.

FURCHE: Inwiefern, Senhor, sind Sie „Faschist”?

F. A.: Unter dem früheren Regime war ich zweimal in Haft. 1958 und 1961. Beide Male, weil ich für die längst fällige Bodenreform demonstriert hatte. Im Gegensatz zu heute, konnte man damals allerdings in den Gefängnissen seines Lebens sicher sein und man wußte, daß man nach Tagen, schlimmstenfalls nach Wochen, in die Freiheit entlassen werden würde.

FURCHE: Aber Sie haben doch an dem „faschistischen Putschversuch”, dem „Marsch auf Lissabon” teilgenommen?

F. A.: Der „Marsch auf Lissabon” ist reine Erfindung. Er hat nie stattgefunden und war auch nicht geplant. Ich war in Spino- las liberal-konservativer Sam- melpairtei tätig und kann somit als Zeuge auftreten. Alles begann am 27. September in der Praęa de toros, der Stierkämpfarena. Präsident Spinola war erschienen, von mehr als 7000 Zuschauern begeistert begrüßt. Hinter ihm übrigens auch der rote Gonęalves und zwei weitere Junta-Mitglieder. Einer unserer besten Stierkämpfer, Joäo Jose Zoio — er ist inzwischen verhaftet worden — ritt die herrlichste Corrida, die man seit langem gesehen hatte. In Portugal wird der Stier nicht getötet: man reizt ihn, man spielt gegen ihn, man weicht ihm aus, und wenn er müdegekämpft ist, entläßt man ihn. Zoio ging das Tier an. Blitzschnell pflanzte er in den Nacken des Stiers ein Fähnchen, auf dem unser Parteiabzeichen und das Wort „Portugal” zu sehen war. Das wirkte wie ein Signal. Sprechchöre kamen aus allen Sektionen der Arena und die Menge brüllte mit, skandierend: „Spi-no-la” und „Por-tu- gal”, „Ultramar” (Übersee), „Angola ė nossa” (Angola bleibt unser). In den Pausen des Sturms schalteten unsere Parteifreunde die Lautsprecher der Arena ein und verkündeten mehrmals: „Samstag, 15 Uhr, Praęa do Impe-

rio, Kundgebung der schweigenden Mehrheit!” Da sich Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen in Händen der Volksfront befinden, gab es keine andere Möglichkeit, die Massen zu verständigen. Daß dann die schweigende Mehrheit Redeverbot erhielt, die Kundgebung nicht stattfand, Spinola stürzte, unsere Parteizentrale besetzt, leere Portweinflaschen als „Molotowcocktails” im Fernsehen gezeigt und die Parteifunktionäre verhaftet wurden, wissen Sie ja.

FURCHE: Wos geschah nach dem Stierkampf?

F. A.: Nach der Corrida strömte die Menge ins Freie. Sie fand die Ausgänge von hervorragend organisierten und trainierten kommunistischen Schlägertrupps besetzt. Ein paar hundert Schläger genügen, um die engen Gänge zu beherrschen, und damit hatten wir Zivilisten nicht gerechnet. Ich erhielt wohlgezielte Hiebe über den Kopf und die Beulen sieht man jetzt noch. Natürlich wehrte ich mich. Dann traf mich eine Faust in den Magen und ich mußte mich übergeben. Sekundenlang dürfte ich bewußtlos gewesen sein. Als ich wieder zu mir kam, begriff ich, daß ich mich auf der Straße befand und daß man versuchte, mich unter die Räder eines Autos zu werfen. Das mißlang, ich war bereits fähig, mich zur Seite zu rollen.

FURCHE: Dann sind Sie geflohen?

F. A.: Noch nicht. Aber zwei Tage später warnte mich ein Studienkollege von einst, Sozialdemokrat, und ließ mir sagen: Verschwinde, du bist „dran”. Ich ging über die Grenze, unter Umständen, die einem mittelmäßigen Italo-Westem hätten entnommen sein können.

FURCHE: Welche Chancen sehen Sie in freien Wahlen?

F. A.: Die Kommunisten agitieren bereits, ähnlich wie in Griechenland, gegen die bevorstehenden Wahlen. Von der Wahl ausgeschlossen sind von Gesetzeswegen übrigens alle, die in den vergangenen Jahrzehnten in irgendeiner Form dem Staat gedient haben und die daher als „Faschisten” gelten, rund 130.000 Staatsbürger. Es geht offenbar nichts über die Gleichheit. Im Sinne des kommenden Wahlgesetzes wären ursprünglich 15.000 Unterschriften für eine Parteigründung vorgesehen gewesen. Der relativ kleinen Sozialistischen Partei zuliebe wurde dann die Zahl der Unterschriften auf 5000 gesenkt. Apropos Sozialisten: ihr Parteichef, Außenminister Märio Soares, ist ein hochgebildeter, aber eher weicher, nicht gerade willensstarker Typ; sehr portugiesisch. Der Kommunistenführer Cunhal ist politisch bestens geschult, willensstark und durchaus unportugiesisch. Hinter ihm steht die russische Botschaft, deren Personal bereits auf 125 Personen angewachsen ist. Die Russen sind am Zug, nicht die Chinesen.

FURCHE; Welches Ziel cchwebt der „Bewegung der Streitkräfte” vor? Volksdemokratie?

F. A.: Keine Volksdemokratie. Eher ein linkes Militärregime nach peruanischem Muster. Die höchstdekorierten Soldaten des Afrikakrieges, die das Konzept gestört hätten, wurden in den Apriltagen zwangspensioniert.

FURCHE: Wie verhält sich die Kirche zu all dem?

F. A.: Die portugiesische Bischofskonferenz, die am 26. Juli in Fätima tagte, hat Links- und Rechtsextremismus verworfen und einen christdemokratischen Kurs für empfehlenswert erklärt. Die Kirche verfügt aber über kein ernst zu nehmendes Organ, die einzige katholische Tageszeitung Lissabons hat Ende April ihr Erscheinen eingestellt. So kam es, daß alle großen Zeitungen die Erklärung jler Bischofskonferenz mit Hohngelächter quittierten.

FURCHE: Die Liquidierung des Portugiesischen Reiches erfolgte bisher ohne Befragung der jeweils betroffenen Völker. Wie wird sich, Ihrer Meinung nach, diese politische Fehlschaltung auf das Weltgeschehen auswirken?

F. A.: Die Spätfolgen werden jedenfalls nicht geringer sein als nach der Zerstörung Österreich- Ungarns unter ähnlichen Umständen. Ereignisse wie diese sind in ihrer Wirkung einer Zeitbombe vergleichbar. Aber die Welt wird, wie stets, außerstande sein, den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zu erkennen.

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