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Der Dämon einer Diktatur

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Die Gestalt des Meisters der deutschen Propagandamaschine, dem in den letzten Tagen des Dritten Reiches noch die Verantwortung einer nur mehr gespensterhaften Würde eines Reichskanzlers zufiel, hat seit 1945 manchen Publizisten zu eingehenden Untersuchungen veranlaßt. Curt Rieß hat vor einem Jahr eine umfangreiche Biographie herausgegeben, die trotz mancher Irrtümer und Verzeichnungen zumindest die Abgründigkeit und den dämonischen Charakter von Joseph Goebbels zeichnet. Inzwischen sind in der Schweiz die von dem amerikanischen Journalisten Loch-n e r in Berlin aufgefundenen Tagebuchfragmente erschienen. Von der europäischen Publizistik fast unbeachtet blieb der in England erschienene 6chmale Erinnerungsband des Adjutanten im Reichspropagandaministerium, Rudolf S e m m 1 e r, über die wichtigsten Episoden deß letzten Kriegsjahres.

Nun liegt aus der Feder eines Mitarbeiters, der auf Grund seiner Beamtenstellung die Presseabteilung des Propagandaministeriums leitete, eine wichtige Aussage über das „Phänomen“ Goebbels vor. Es sei vorweggenommen daß die nüchterne Darstellung dieses aus dem bürgerlichen Bereich kommenden Publizisten — Stephan war ehedem Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei —, nur teilweise die Persönlichkeit Goebbels' zu erfassen vermag. Mit Recht stellt Stephan, ebenso wi Rieß, Goebbels außerhalb der Reihe der übrigen Paladine Hitlers. In seiner Person vereinigt 6ich nicht die mit dumpfen Ressentiments geladene Halbgebildetheit der meisten führenden Köpfe um Hitler. Goebbels, der Sohn einer katholischen Familie, war durch den Katholizismus hindurchgegangen, durch Gewissensnot, Zweifel, geistiges Ringen nach höchsten Werten, ein Mensch, dem die deutsche Wissenschaft in seinen Jugendjahren viel bedeutete und der doch den Glauben seiner Jugend verlor und letzten Endes in der Hinwendung zum Instinkt sein Ziel fand. Für Goebbels trat an die Stelle Christi die mystische Figur des „Führers“, dem er sich bedingungslos unterwarf, um so mehr, als er, der körperlich Gezeichnete, in der Verherrlichung des Soldatentums, im preußischen Gehorsam, im Drang nach der Macht, die Kompensation für die religiösen Erlebnisse 6einer schweren Jugendzeit erblickte.

Interessanterweise genügte Goebbels die starke geistige und materielle Beeinflussung, die er unbestritten auf die Welt und das deutsche Volk ausübte, niemals. Seine heimliche Sehnsucht galt der aktiven politischen Verantwortung. 1938 fast durch seine privaten Affären und durch zahlreiche Widersacher zum Sturz gebracht, schien ihm der Krieg, den er, selbst einmal in den Genuß der Macht gekommen, verabscheute, die Möglichkeit zu bieten, als Handelnder in die Geschichte einzugreifen. Während die Steuerung der deutschen Propagandamaschine angesichts der versagenden Mißgriffe Ribbentrops und Himmlers und der zunehmenden Lethargie Hitlers gegenüber innerpolitischen Problemen, mehr als einen Mann erforderte, war sein Drängen nach einer Verantwortung auf dem Felde der Politik gerichtet. Als die Formel von Casa-blanca ihm eine unbezahlbare Chance in die Hand spielte, schlug eine entscheidende Stunde. Aber erst nach dem Attentat vom 20. Juli sah sich Hitler genötigt, den Propagandaminister, dessen Intellekt er Jahre hindurch mißtraut hatte, die Verantwortung für den totalen Kriegseinsatz zu übertragen. Nun war Goebbels anscheinend am Höhepunkt seiner Laufbahn angelangt: durch Monate gelang es ihm noch inmitten der rauchenden Trümmer der deutschen Städte und de6 Zusammenbruches der Fronten, ein ausgemergeltes Volk in seinen Bann zu ziehen, ja als Vertei-digungskommissar der bedrohten Reichshauptstadt eine quasi-militärische Rolle von schauriger Größe zu spielen. Als ihm die totale Macht im Gespensterreigen im Bunker der Reichskanzlei für Stunden in die Hand fiel, war es zu spät für ihn, als Handelnder im geschichtlichen Raum aufzutreten. Seine letzten Taten und Anweisungen überschattete bereits die Sorge, vor der Nachwelt bestehen zu können, und *o opferte er Familie und 6ein eigenes Leben dem Idol, dem er sich 6eit seinem Abfall von Gott gewidmet hatte.

Werner Stephans Buch zeichnet den äußeren Weg dieses sicherlich ungewöhnlichen Menschen. Es wird aber noch vieler historischer Untersuchungen bedürfen, um Goebbels, der ein deutsches Problem darstellt, inmitten der Verwirrung der Geister unserer Zeit klären zu helfen. Dr. Ludwig J e d 1 i c k a

Le Duc de Gramont, Gentilhomme et Dlplo-mate. Von Constantin de Grunwald. Hachette. Paris 1950. 256 Seiten.

Seinen zahlreichen Werken, von denen hier nur seine treffliche Darstellung Metternichs, sodann ein' Leben Nikolaus I., das durch manche auf Familientradition beruhende Tatsachen besonders lesenswert ist, und schließlich ein jüngst erschienenes Bismarck-Buch genannt seien, reiht der ausgezeichnete russische Historiker nun eine Schilderung des Lebens des Herzogs Gramont an, der eine lange, interessante diplomatische Karriere, die ihn zum Außenminister Napoleons III. geführt hatte, in der Katastrophe von 1870 enden sah. — Unveröffentlichte Familienpapiere und Archive haben es ermöglicht, ein gutes Bild des Lebens und Wirkens dieses Mannes zu geben und manche geschichtliche Irrtümer richtigzustellen. Uns Österreicher werden am meisten die Abschnitte interessieren, die in die Zeit zurückführen, da der Herzog von Gramont französischer Botschafter am Wiener Hof gewesen ist. Ein Gemälde des Lebens in Wien von 1861, als er seine Botschaft begann, führt uns zu deren Höhepunkt, als Gramont in den kritischen Tagen von 1866, nach Abschluß des Wiener Geheimabkommens über die Abtretung Venetiens, Napoleon drängte, auf Königrätz mit einer militärischen Demonstration an der Rheingrenze zu antworten, um dadurch die französische Vermittlung vorzubereiten.

Manches Licht fällt auch auf Verhandlungen, die auf die Salzburger Besprechungen zwischen Kaiser' Franz Joseph und Napoleon folgten — Beiträge zur Erkenntnis Napoleons, daß Geheimdiplomatie vor allem vor den eigenen Diplomaten geheim zu halten ist.

1870 verläßt Gramont den Wiener Posten, um als Außenminister in das letzte napoleonische Abenteuer verstrickt zu werden. Wir erleben noch seinen verzweifelten Versuch, Italien und auf diesem Weg Osterreich zu einer Intervention zu bewegen. Doch bei Sedan ging auch die diplomatische Schlacht verloren, und der Niederlage folgte das rasche Urteil, das die Welt über Gramont gefällt hatte. „Piegate Dio sempre di trovare dove si vince“: Diese Weisheit des alten Guicciardini steht in der Geschichte dieses Diplomatenlebens so recht an ihrem Platz.

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