6637676-1957_25_11.jpg
Digital In Arbeit

Von „Locarno” zu Hitler

Werbung
Werbung
Werbung

Mit dem Gefühl der Dankbarkeit gegen das Schicksal nimmt der Verfasser mit diesem Werk Abschied von der deutschen Geschichte und weist darauf hin, daß die zukünftige Entwicklung unserer Kulturwelt ohne die willige Mitarbeit Deutschlands und dessen Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und Selbstkritik kaum möglich wäre Unter dem Motto: „Zeichnen heißt weglassen” steht die gigantische Arbeit Eycks, der in zielsicheren und geraden Ausführungen versucht, die Ereignisse von der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten bis zur Machtübernahme Hitlers zu schildern und sich dabei auf reiches Quellenmaterial stützt. Inzwischen hat die historische Forschung sich vor allem in Deutschland und in den USA sehr intensiv mit dem Problem der letzten Jahre der Weimarer Republik beschäftigt. Es sei nur auf die Arbeit von Gatzke und Bracher verwiesen. Der Verfasser selbst konnte sich auf den Nachlaß von Stresemann und zahlreiche Einzelveröffentlichungen stützen. Der Aufklang der Darstellung ist Locarno, der Versuch Stresemanns (dessen Gestalt jetzt eben durch einen verzeichnenden und umstrittenen Film der deutschen Wirklichkeit von 1957 verzerrt dargeboten wird), mit Frankreich ein Abkommen über die Sicherheit am Rhein abzuschließen. Nicht leicht wurde Stresemann der Schritt zu einer europäischen Einigung über die deutschen Westgrenzen gemacht, da er, der frühere nationale Politiker, immer mit den Angriffen der Rechten, vor allem der Deutschnationalen und Alldeutschen zu rechnen hatte. Dazu kam noch, daß eine Gruppe der Diplomaten der Wilhelmstraße jedem Sicherheitspakt im Westen abhold war und den Draht zu Sowjetrußland nicht abreißen lassen wollte. Das Problem Polen und der verhängnisvolle Ausgang des ersten Weltkriegs standen zur Debatte. Stresemanns Brief vom 9. September 1925 an den deutschen Kronprinzen, den er zur Vorsicht nicht Unterzeichnete, beschäftigte sich mit den großen Aufgaben der deutschen Außenpolitik und sollte wohl eine Art Rechtfertigung des ehemaligen Anhängers des Siegfriedens sein. Darin werden als die drei großen Aufgaben der deutschen Außenpolitik bezeichnet: Lösung der Reparationsfragen, Schutz der Ausländsdeutschen und „die Korrektur der Ostgrenzen, die Wiedergewinnung Danzigs, des polnischen Korridors und eine Korrektur der Grenze in Oberschlesien. Im Hintergrund steht der Anschluß von Deutschösterreich, obwohl ich mir sehr klar darüber bin, daß dieser Anschluß nicht nur Vorteile für Deutschland bringt” (S. 44). Dieses Dokument hat gerade unter Hinblick auf die jetzt sehr stark einsetzende Stresemann-Forschung den Anschein eines doppelzüngigen Verhaltens erweckt, jedoch darf nicht übersehen werden, daß Stresemann gewissermaßen nach zwei Fronten zu kämpfen hatte: einerseits gegen das Mißtrauen der Siegermächte, vornehmlich Frankreich, und im eigenen Land gegen den immer erhitzteren und extremeren Nationalismus, dessen Spitze doch bis zu einem gewissen Grad das Haus Hohenzollern und dessen von Stresemann selbst zurückgeholter Repräsentant, der Kronprinz, war. Die realpolitische Führung seiner Anstrengung, das Reich wieder zu einer geachteten Macht in Europa werden zu lassen, zeigt jedenfalls, daß Stresemann unbeirrt um die oft wütenden und engstirnigen Angriffe, namentlich der Deutschnationalen, seinen Weg gegangen ist. Eine besondere Belastung für ihn bedeutete der Versuch der Reichswehr, die getarnte Aufrüstung schon seit 1924 voranzutreiben (S. 69), eine ständige Quelle der Konflikte, die zwischen Stresemann und Seeckt nicht abrissen. Der Reichspräsident selbst erwies sich in seiner Stellung als Oberster Befehlshaber der Reichswehr und bei der Lösung der Regierungskrise anfangs 1926 als ein viel wichtigerer Faktor, als dies zunächst angenommen werden konnte. Die Einschaltung Hindenburgs im steigenden Maße bei der Bestellung der Kabinette und die hartnäckige Abstinenz der Sozialdemokratie und deren veraltete Klassenkampfvorstellungen, die nicht die Gefahren der Zukunft erkennen wollten, zeigten den Weg der zukünftigen Entwicklungen.Das charakteristische Ueberwiegen der innerpolitischen Streitprobleme und die daurnde Steigerung der außenpolitischen Forderungen der Deutschnationalen haben Stresemanns und später auch Brünings zähes Ringen um die außenpolitische Handlungsfreiheit und | Lockerung der Bestimmungen des Versailler Vertrages international entwertet. „Vom Parlamentarismus zum Artikel 48” nennt Eyck die Epoche Brüning; dem er neben ehrlichem Willen und Reinheit des Charakters innerpolitisch eine unklare Linie und vor allem die verhängnisvolle innere Bindung an die Person Hindenburgs vorwirft. Dessen Appell an Brünings Frontsoldatentum hat auch den- Kanzler offenkundlich immer mehr auf den Weg der halbautoritären Regierung gedrängt und den verhängnisvollen Beschluß der Reichstagsauflösung des Jahres 1930 hervorgerufen. Nach den Septemberwahlen, dem wahren Erdrutsch der deutschen Innenpolitik, mit dem Anwachsen des Nationalsozialismus zu einer nicht mehr zu übersehenden Gruppe begann die Entwicklung der Parlamentskrise, der auch Brüning mit allen Auswegmaßnahmen innen- und außenpolitischer Natur nicht mehr Herr werden konnte. Eyck sieht in der „aktiven Außenpolitik” Brünings, die zum zeitlich verfehlten deutsch-österreichischen Zollunionsplan führte, einen schweren Fehler, vor allem aber in der vom Kanzler persönlich betriebenen Wiederwahl Hindenburgs. Schon sieben Wochen nach dem Wahlgang, dessen schwere Bürde das Zentrum und die Sozialdemokraten trugen, entließ Hindenburg das Kabinett Brüning. Die Vorgänge, die zu diesem folgenschweren Ereignis führten, sind heute ziemlich geklärt, um so mehr, als die Arbeiten des Berliner Dozenten Bracher wertvollstes Detailmaterial zutage förderten. Wie weit der Reichspräsident gerade in den entscheidungsvollen Monaten des Frühjahrs 1932 nach einer gesundheitlichen Krise imstande war, das Gewirr der Intrigen um seine Person zu übersehen, kann erst aufgehellt werden, wenn die in ostdeutschen Archiven vorhandenen schriftlichen Gesprächsvorbereitungen des Staatssekretärs der Reichskanzlei, Meißner, für Hindenburg der historischen Forschung unterbreitet werden. Die tiefe Enttäuschung Brünings, der außenpolitisch am Tag seines Kabinettsrücktritts sowohl in der Frage der Gleichberechtigung als auch auf dem wirtschaftlichen Sektor vor der Ernte seiner Bemühungen stand, ist verständlich. Anderseits aber waren die Gegenkräfte, vor allem hinter dem Reichspräsidenten, stärker, wobei General Schleicher und sein Kreis sicherlich den größten Anteil an der weiteren Entwicklung, die zur Uebergangsregierung Papens führte, gehabt haben. Eyck gelingt es, die Rolle Schleichers klar herauszuarbeiten. Abschließendes wird man erst erfahren können, wenn der vom Institut für Zeitgeschichte in München vorbereitete Nachlaß des am 30. Juni 1934 so tragisch geendeten politischen Kopfs der Reichswehr zugänglich sein wird. Es erscheint, als ob Schleicher noch im letzten Moment, als auch er den Boden unter den Füßen wanken spürte und die Betrauung Hitlers mit der Reichskanzlerschaft in den letzten Wochen des Jahres 1933 im Reichspräsidentenpalais schon zur Debatte stand, das Spiel der Kräfte um Hindenburg durchschaute. Anders wäre sein Plan einer Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften nicht erklärbar. Allerdings verharrte die Sozialdemokratie in einer fruchtlosen Opposition und verbot den Kontaktmännern der Gewerkschaft ausdrücklich die weiteren Gespräche mit dem General und Reichskanzler, ein Fehler, der sich noch rächen sollte. (S. 565.)Die Schlußkapitel der Eyckschen Werke sind eine sehr eingehende Analyse der letzten Monate der Weimarer Republik. Sie werden durch die von mehreren Forschungsstätten der Zeitgeschichte gegenwärtig betriebenen Untersuchungen noch manche Ergänzungen finden, jedoch bleibt die Gesamtleistung Eycks eine beachtliche Arbeit, deren Grundlinien kaum mehr wesentlich korrigiert werden können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung