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Die Agonie der Republik von Weimar

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Im Jahre 1950 erschien au der Feder von Dr. Otto Meissner das Buch „Staatssekretär unter Ebert, Hin-denburg und Hitler“ als Erinnerungswerk des langjährigen ranghöchsten Beamten der Präsidentschaftskanzlei, den man in der Literatur da und dort oft gern als die „graue Eminenz“ bezeichnete. Meissners Erinnerungen waren für die historische Forschung eine Enttäuschung. Sein Sohn, Dr. H. O. Meissner, der im deutschen auswärtigen Dienst tätig war, gibt dies im vorliegenden Buch indirekt zu und beruft sich auf die Rücksichtnahme auf Personen, die in berufliche oder persönliche Gefahren durch sogenannte „Enthüllungen“ hätten geraten können. Der Staatssekretär hat, wie man aus dem Vorwort entnehmen kann, noch vor seinem Tod im Mai 1953 seinem Sohn, der sich inzwischen als Journalist betätigte, manches berichtet, was man gewissermaßen als Ergänzung zu dem seinerzeitigen Memoirenband auffassen kann. Dr. Meissner jun. zog einen Journalisten der deutschen Emigration, H. Wilde, einstmals Sekretär Theodor Plieviers — als Mitarbeiter heran, und so entstand eine Gemeinschaftsarbeit, die versucht, die Endphase der deutschen Republik und die Machtergreifung Hitlers zu schildern. Das Thema selbst hat manche Historiker bereits zu umfangreichen Arbeiten angeregt. Es sei nur auf das Buch des Berliner Dozenten Karl Dietrich Bracher „Die Auflösung der Weimarer Republik“ verwiesen, ebenso wie auf die jüngst erschienenen Erinnerungen von Otto Gessler „Reichswehrpolitik in der Weimarer Zeit“, ganz zu schweigen von zahlreichen angel-' sächsischen Arbeiten Harold J. Gordons, Wheeler-Bennetts und anderer. Das Hauptthema der Darstellung des jüngeren Meissner ist der Kampf zwischen Brüning, dessen Nachfolger Schleicher und Hitler um Hindenburg, der sich noch 1931/32 gegen jede Bestellung Hitlers zum Reichskanzler wehrte. Wie es zur Sinnesänderung des Reichspräsidenten und ehemaligen Feldmarschalls gegenüber „dem böhmischen Gefreiten“ kam, läßt sich bei Meissner ziemlich deutlich ablesen. Verschiedene deutsche Historiker wie Dr. K. O. v. Are-tin, haben darauf hingewiesen daß Hindenburg 1932 Brüning vor allem deswegen fallen ließ, wei' die politisch mächtigen ostelbischen Junker Enthüllungen bezüglich der sogenannten „Osthilfe“ fürchteten: Eine Entschuldungsaktion für den Großgrundbesitz, die

(eidlich für die eigene Kasse ausgenützt wurde und ermutlich auch der Familie Hindenburg zugute kam. Franz von Papen war nach dem Weggang Brünings,.

dessen außenpolitische und wehrpolitische Erfolge seinen beiden Nachfolgern zugute kamen, nur der Platzhalter jenes Mannes, der, wie Meissner ziemlich deutlich zeigt, die Fäden der Innenpolitik zog: General von Schleicher. Kurt von Schleicher, Reichswehrminister im Kabinett Papen und letzter Kanzler am Abgrund der Diktatur, ist wohl eine der problematischesten, aber auch interessantesten Gestalten der Weimarer Republik und man kann mit besonderer Spannung der demnächst erfolgenden ersten wissenschaftlichen Arbeit des Instituts für Zeitgeschichte in München über die Person Schleichers entgegensehen. Schleicher stürzte Papen mit einem Konzept, das nicht in das Schema der „Rechtsregierung“, wie sie Hinderburg immer wieder vorschwebte, paßte, sondern mit dem für einen preußischen General völlig neuen Gedanken einer Querverbindung der sozialen Erneuerungskräfte, welche die Gewerkschaften bis zum Sozialrevolutionären Flügel der NSDAP unter Gregor Strasser um; fassen sollte. Die deutsche Sozialdemokratie hat sich den Ideen Schleichers in einer entscheidenden Stunde versagt, worauf Erich Eyck in seiner „Geschichte der Weimarer Republik“ hingewiesen hat. Vielleicht hätten die Konzeptionen des „sozialen Generals“, der schon 1915 bis 1918 enge Beziehungen zu den Gewerkschaften besaß, im letzten Moment durch Spaltung der NSDAP eine Lösung gegeben. Bei den dramatischen Schlußverhandhingen nach dem Rücktritt Schleichers haben Hindenburg und der immer mehr als Faktor mithandelnde Sohn Oskar von Hindenburg — der Mann, der in der Verfassung nicht vorgesehen war — die Entscheidung für Papen und damit “für Hitler getroffen, weil Papen mit der Illusion, man könne den neuen Reichskanzler Hitler gewissermaßen „sich verpflichten“, gegenüber Schleicher der Stärkere blieb. Die Szenen um die Vereidigung des Kabinetts Hitler, aber auch die systematische Unterwühlung der bestehenden Rechtsordnung nach dem 30. Jänner 1933 gehören zu den interessantesten Teilen des vorliegenden Erlebnisberichtes. Manche Details werden durch die zeitgeschichtliche Forschung noch eine Vertiefung oder auch Korrektur erhalten Tatsächlich aber wird man auf Grund dieses zweiten Memoirenbandes, der eigentlich ein Vermächtnis des älteren' Meissner darstellt. Hindenburgs und Schleichers Position in der Endphase der Weimarer Republik einer sehr kritischen Würdigung unterziehen! müssen.

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