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Herr von Papen und St. Augustin

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Das Buch, in dem Franz von Papen seine Lebenserinnerungen der Mitwelt übergibt, trägt den Titel: „Der Wahrh eit eine Gasse.“ Ein etwas kühner Titel, besonders wenn der Verfasser das Bedürfnis fühlt, sein Tun und Lassen zu rechtfertigen. Auf der letzten Seite seines Buches sagt er selbst: „In den düsteren Tagen des Nürnberger Gefängnisses hatte ich die Bekenntnisse des hl. Augustinus gelesen und begriffen, warum er ein so großer Heiliger geworden war. Sein Mut, die eigenen Fehler rückhaltlos einzugestehen, ist allerd ings eine Gnade, die nicht vielen beschert ist.“ Er hat recht damit. Er scheut sich zwar nicht, an vielen Stellen falsche Einschätzung von Lage und Persönlichkeiten zuzugeben, wenn es aber an die B e w e g-gründe geht, da versagt der Mut zum „rückhaltlosen Bekenntnis“. Seine vaterländischen und ethischen Motive, die er ins Treffen führt, sollen nicht in Zweifel gezogen werden. Doch er will es durchaus nicht wahrhaben, daß neben diesen Beweggründen in ihm auch ein starker Trieb nach persönlicher Geltung, ein unwiderstehlicher Drang, „seine Finger im Spiel zu haben“, und in ihm eine gewisse Freude am politischen Spiel wirksam waren. Keiner, der mit Herrn v. Papen in nähere Beziehung getreten ist, kann daran zweifeln, daß diese — an sich keineswegs verwerflichen — Triebkräfte bei ihm in hohem Maße entwickelt waren. Aber lieber, als dies gelten zu lassen, nimmt v. Papen den Vorwurf in Kauf, sich oft gröblichst haben täuschen zu lassen, so daß sein Verhalten zuweilen fast naiv anmutet. Und das war v. Papen gewiß nicht.

Kurz nach dem ersten Weltkrieg beginnt Herrn v. Papens politische Laufbahn mit der Wahl in den preußischen Landtag und der Erwerbung des Zentrumsorgans „Germania“. In der Zentrumspartei bildet er von Anfang an den äußersten rechten Flügel. In das volle Rampenlicht der Oeffentlichkeit tritt seine Persönlichkeit jedoch erst mit dem Sturz der Regierung Brüning im Mai 1932. Hier melden sich schon ernstliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Schilderung, die Papen von diesem Ereignis gibt. Darnach wäre er an der Entlassung Brünings völlig unbeteiligt gewesen; plötzlich und ganz unerwartet sei er durch den greisen Reichspräsidenten, der an seine Offiziersehre appellierte, in die moralische Zwangslage geraten, die Betrauung mit dem Kanzleramt anzunehmen; alles diesem Ereignis vorangegangene Planen und Intrigieren wäre ausschließlich von . General v. Schleicher ausgegangen. Nun war ja dieser General zweifellos eine zwielichtige Erscheinung — aber sollte es nicht doch so gewesen sein, daß Schleicher in Herrn v. Papen einen artverwandten Geist gefunden und sich daraus ihre Zusammenarbeit entwickelt hatte, die allerdings, wie es bei solchen Assoziationen meistens geschieht, sich bald in Gegnerschaft verwandeln sollte? Während seiner Kanzlerschaft hat v. Papen auf außenpolitischem Gebiet den beachtlichen Erfolg der Lausanner Konferenz zu buchen. Tm Inneren gelang ihm jedoch keine Lösung der permanenten Staatskrise, so daß er im November 1932 als einzigen Ausweg die Verkündung des Reichsnotstandes und das Regieren mit einem ausschließlich auf das Vertrauen des Reichspräsidenten und die Kraft der Reichswehr und Exekutive gestützten Kabinetts sah, das gleichzeitig den Kampf mit Nationalsozialismus und Kommunismus aufnehmen sollte. Daß in diesem entscheidenden Moment General Schleicher dem Kanzler Papen in den Rücken fiel und dem Reichspräsidenten, dessen Furcht vor dem drohenden Bürgerkrieg ausnützend, ein neues Konzept unter seiner eigenen Kanzlerschaft aufzunötigen verstand, kann ebenso als historische Tatsache angesehen werden, wie das völlige Versagen des Schleicherschen Kon' zepts.

Die nun folgende Darstellung über die während der kurzen Kanzlerschaft Schleicher? stattgefundenen Berührungen zwischen v. Papen und Hitler folgt deutlich dem Bestreben, den Vorwurf zu entkräften, „Steigbügelhalter Hitlers“ gewesen zu sein.

Weder die Unterbetonung der legendär gewordenen Besprechungen im Hause Schröder und Ribbentrop, noch die zitierten Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit — die übrigens stark mit späteren Kommentaren vermischt sind —, können darüber hinweg täuschen, daß Herrn v. Papens A k t i o n i n d i es e n T a g e n e n t s c h e i-d e n d und gerade er die einzige Persönlichkeit war, die den greisen Feldmarschall dazu bringen konnte, die Ernennung „dieses Gefreiten“ zum Reichskanzler zu vollziehen. Papens Annahme, seine Teilnahme als Vizekanzler in Hitlers Kabinett und dessen „Einzäunung“ mit einigen konservativen und fachmännischen Ministern werde ausreichen, um Hitler auf dem Wege zur totalen Machtergreifung aufzuhalten, hat sich als vollkommene Fehlrcchriung schon in den nächsten Monaten erwiesen, in deneji Hitler alle Garantien eines Verfassungs- und Rechtsstaates in virtuoser Weise wegzueskamotieren verstand. Papen fand sich bald so an die Wand gedrückt, daß sein Versuch, mit seiner bekannten . mutigen Marburger Rede offen eine oppositionelle Haltung zu beziehen, bloß die Wirkung hatte, ihn und seine Mitarbeiter in den Wirbel des 30. Juni 1934 hineinzureißen. An diesem blutigen Tag, an dem das Hitler-Regime in einer Massenabschlachtung von Rivalen und der Gegnerschaft Verdächtigen den Rechtsstaatsgedanken endgültig über Bord warf, fielen auch drei von Papcns engsten Mitarbeitern den Mordkommandos zum Opfer, und Papen selbst, der zweithöchste Beamte des Reiches, mußte eine in der Geschichte wohl beispiellos dastehende schmachvolle Behandlung als Gefangener Görings über sich ergehen lassen, so daß jedermann hätte annehmen müssen, der Bruch zwischen ihm und dem Regime müsse unheilbar sein.

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