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Kronzeuge eines Mordes

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Der Verfasser dieser Erinnerungen entstammt einer adeligen schlesi-schen Grundbesitzerfamilie. Sein Onkel war kaiserlich-deutscher Botschafter in Wien. Die ersten Kapitel des Buches bringen Erinnerungen aus der Kindheit und Schulzeit und geben dem Leser einen Einblick in das Landleben des ostdeutschen Adels. Den ersten Weltkrieg erlebte der Verfasser an der Kadettenschule. Besuche bei älteren Brüdern, die als Offiziere im Feld standen, vermittelten einen Eindruck vom Kriegsgeschehen. Nach dem Krieg, im Jahr 1919, schied der Verfasser als königlich-preußischer Fähnrich aus dem Heer, in die 100.000-Mann-Reichs-wehr wollte er nicht übernommen werden.

Als junger Landwirt wurde Fritz Günther von Tschirschky schon am Beginn der zwanziger Jahre gezwungen, sich mit politischen und vor allem auch wirtschaftspolitischen Tagesfragen auseinanderzusetzen. Er spart nicht mit einer gewissen Kritik an der politischen Haltung seiner eigenen Standesgenossen, allerdings macht er aus seiner konservativen, die Monarchie bejahenden politischen Einstellung und seiner evangelisch-christlichen Grundhaltung kein Hehl. Aus dieser Uberzeugung erklärt sich seine ganz und gar ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus.

Im Jahr 1933 versuchten konservative Kreise Preußens das Amt des Vizekanzlers von Papen zu einem Gegengewicht gegen Hitler und die nationalsozialistischen Minister aufzubauen. Der damals 33 Jahre alte von Tschirschky wurde „Adjutant” Papens. Dieser Teil der Erinnerungen enthält viele interessante Bemerkungen über die einzelnen Akteure auf der politischen Bühne von damals. Am 30. Juni 1934 sah der Verfasser als Gestapohäftling im Keller der Prinz-Albrecht-Straße die Ermordung Gregor Straßers. Wieder freigelassen, konnte er wenige Wochen später Hitler einen genauen Bericht über die Ermordung Straßers und sonstige Erlebnisse in der Gestapohaft geben. Der Diktator geriet in größte Erregung, da scheinbar auch ihm gegenüber ein Selbstmord Straßers vorgetäuscht worden war. Es gab SS-Kommandos, die auch ohne Befehl Hitlers mordeten. Allerdings erkannte Hitler, daß Herr von Tschirschky ein unerwünschter Mitwisser geworden war und versuchte daher später, ihn von Wien, wohin er zusammen mit von Papen versetzt worden war, wieder nach Deutschland zu beordern. Von Tschirschky weigerte sich und zog die Fährnisse der Emigration einer Gefangenschaft bei der Gestapo und deren Folgen vor.

Die Jahre der Emigration verbrachte der Verfasser in England. Erst am Beginn der fünfziger Jahre konnte er wieder in den deutschen

Staatsdienst aufgenommen werden. Als einer der leitenden Beamten der Protokollabteilung des Auswärtigen Amtes mußte er den Moskaubesuch Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauers in der sowjetischen Hauptstadt vorbereiten.

Das Buch enthält eine Fülle interessanter Einzelheiten aus den Erfahrungen des Verfassers. Die abwägenden Urteile über einzelne Persönlichkeiten werden jeden Leser interessieren, der sich einen Sinn für Geschichte bewahrt hat. Der Verfasser war auch anwesend, als Vizekanzler von Papen Hitler das Testament Hindenburgs überbrachte und dieser sofort beschloß, es nur teilweise der deutschen Öffentlichkeit zu unterbreiten.

ERINNERUNGEN EINES HOCHVERRÄTERS. Von Fritz Günther von Tschirschky, 343 Seiten, DM 35.—. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1972.

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