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Zeitgeschichte

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Die letzten dreißig Jahre. Von Hans Joachim Schoeps. Ernst-Klett-Verlag, Stuttgart. 231 Seiten. Preis 13.?0 DM.

Drei/ Bereiche haben das Leben von Professor Schoeps, der, heute als Ordinarius für Religionsund Geistesgeschichte in Erlangen tätig ist, geformt: die Zugehörigkeit zup deutschen Jugendbewegung (Geburtsjahrgang 1909), die Verwurzelung in Alt- Preußen und das Judentum. Die Familie Schoeps war seit den Befreiungskriegen alteingesessen in den Kerngebieten der Altmark und der Oder; der Vater des Verfassers diente als Militärarzt den Hohen- zollern und auch noch kurz der Weimarer Republik. Das Erlebnis des preußischen Staatsdieners in Uniform mag für Schoeps ebenso1 bestimmend gewesen sein, wie einstmals die Sehnsucht Rathenaus, die Uniform eines Garderegiments tragen zu dürfen. Aus dem schwaiz-weiß-preußisch-gesinnten Vaterhaus, wo man noch den Anschluß Oesterreichs als Machtentfaltung Deutschlands feierte, wurde der Student, der gerne die Orden und Patente des Vaters bewunderte, in die politische Gegebenheit der Nachkriegszeit geworfen. Die Jugendbewegung, der Wandervogel und seine verschiedenen Sonderbewegungen erfaßten den,jungen Menschen in der ganzen Romantik und dem Idealismus dieser nicht gering zu achtenden Gruppen, die nach 1919 eine Neuformung des politischen und sozialen Lebens erstrebten. Die Schilderung dieser Jahre ist eine Meisterleistung der Erhellung der geistigen Situation in der Jugendbewegung, an den Universitäten und zur Vorgeschichte der nationalsozialistischen Zeit. Auch nach 1933 glaubte Schoeps noch, wie übrigens ein großer Kreis der deutschen Juden, auf der Basis des nationalen Gedankens eine Einordnung in das System zu finden. Allerdings ging die Wirklichkeit über diese idealistischen Ansätze hinweg. Theresienstadt als Los der Eltern und die Emigration nach Schweden als Ausweg und Rettung für den Sohn war der scheinbare Endpunkt der Träume, die am Lagerfeuer von einer besseren Welt der Zukunft in einer jungen Gemeinschaft sooft gesungen wurde. In das Deutschland der Trümmer nach 1945 ist Schoeps zurückgekehrt ohne den Komplex der Emigration und hat beim Wiederaufbau akademischer Gemeinschaften in dem Bereich der Universitäten versucht, den idealistischen Patriotismus seiner Jugend . real unter Beweis zu stellen. Kein Kapitel ist erschütternder als die offenherzige Aussprache, die er mit dem Gefährten seiner Jugend nach der Rückkehr über das Problem Schuld und Sühne durchführte. Allerdings wird man in manchen Gedankengängen, die immer wiederum in der Rechtfertigung der preußischen Komponente der deutschen Geschichte ihren Ursprung haben, mit dem Verfasser nicht ganz einer Meinung sein können. Die von ihm deutlich propagierte Restaurationsidee eines preußischen Königtums 'ist ebenso fragwürdig wie in der Wirklichkeit des Jahres 1956 illusionär. Trotzdem gibt es kaum ein eindringlicheres Dokument als die Aufzeichnungen dieser „letzten dreißig Jahre“ des deutschen Judentums.

Die Wilhelmstraße. Die Geschichte der deutschen Diplomatie 1930—1945. Von Paul S e a b u r y. Nest-Verlag, Frankfurt am Main. 330 Seiten.

Die soziologischen Untersuchungen über das Thema Beamtenschaft und totalitärer Staat haben in dem vorliegenden Buch über das deutsche Auswärtige Amt eine sehr wertvolle Bereicherung gefunden. Der Verfasser hat nicht nur Zugang zu den erreichbaren dokumentarischen Veröffentlichungen, sondern verstand es auch in sehr kluger Weise, aus der Flut der Erinnerungsliteratur die richtigen beweiskräftigen Darstellungen heranzuziehen. Ausgehend von der richtig gesehenen hochkonservativen und durch den preußischen Adel bestimmten Bürokratie des deutschen Auswärtigen Amtes, zeichnet er das Bild des diplomatischen Berufsbeamtentums im Dritten Reich. Schon die Erinnerungen von Weizsäcker, Kordt, die einschlägigen Prozeßberichte und zahlreiche andere Zeugnisse haben bewiesen, wie wenig widerstandsfähig sich auch die scheinbar so festgefügte Hierarchie der deutschen Diplomatie gegenüber dem totalitären Staatssystem zeigte. Dabei kommt der Verfasser mit Recht zu dem Schluß, daß eigentlich durch die zwei- und dreigeleisige Politik Hitlers das wirkliche Zentrum der außenpolitischen Entscheidungen nicht mehr bei den herkömmlichen Faktoren der Diplomatie, sondern in dem nie genau umschreibbaren permanenten Hauptquartier des „Führers“ und seiner Berater aus den Kreisen der Parteiführung, SS und der verschiedenen Nachrichtendienste lag. Die schwache Stellung Ribbentrops innerhalb der höchstenFührungsspitzen des Dritten Reiches verhinderte die gänzliche Auflösung des traditionellen Beamtenapparates und führte zur Lahmlegung der bisherigen „klassischen Diplomatie“, die auch in Kriegszeiten wirkliche politische Aufgaben zu erfüllen gehabt hätte. Der Verfasse- weist in dankenswerter Weise darauf hin, welche tiefe Abneigung auch die britischen Politiker gegen die Diplomaten hegten, ganz zu schweigen von Roosevelts eingewurzeltem Miß trauen gegen die gleiche Beamtengruppe seines auswärtigen Dienstes am Vorabend der großen Konferenz mit dem östlichen Verbündeten. Die Entwicklung der direkten Konferenzen der Staatsmänner hat teilweise zur Zerstörung der „klassischen Diplomatie“ beigetragen, deren Opfer nicht nur die Wilhelmstraße, sondern auch die anderen traditionellen Zentren der Außenpolitik wurden.

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