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In Bayreuth bei Hitler

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Die Schilderung dieses Bayreuther Gesprächs, mit dem Hitler diesen Wandel erreichte, stellt an die Glaubensbereitschaft des Lesers hohe Ansprüche. Papen hat darnach Hitler erst stundenlang das Sündenregister der bisherigen Oesterreich-Politik vorgehalten und sich schließlich von diesem eine von Papen vorher formulierte schriftliche Ver-p f 1 i c h t u n g s e f k 1 ä rii n g ausfolgen lassen, die eine völlige Umkehr der bisherigen

Politik bedeutete. Man mag nun Hitlers Bestürzung über die auf dem Brenner aufmarschierten italienischen Panzerdivisionen noch so hoch in Rechnung stellen — ein solcher Verlauf der Unterredung widerspricht der aus zahllosen Berichten bekannten Art Hitlers. Nur ein Tonband der Unterredung oder eine Photokopie der Erklärung könnte da überzeugend wirken. Aber von dem wichtigen Schriftstück sagt v. Papen nur lakonisch, daß es „leider im Laufe der Kriegswirrenvernichtetwurd e“. Daß Herr v. Papen den Wunsch hegte, die Oesterreich-Frage auf friedlichem und gesittetem Weg zu behandeln, wird man ihm glauben. Wenn er aber im Ernst angenommen hat, Hitler werde sich an die in jenem Schriftstück ihm gegebenen Versprechungen halten, so ist dies einer der vielen Fälle, in denen Papen sich wieder von Hitler täuschen ließ und seine Macht diesem gegenüber erheblich überschätzte. Er “macht geltend, Hitler habe ihn für die Mission auserwählt, weil er, Papen, ein „persönlicher Freund von Dollfuß“ gewesen sei — in Wirklichkeit beschränkte sich das Verhältnis auf einige oberflächliche höflic.he Begegnungen — und „der perfide Mord an Dollfuß“ habe ihn (Papen) um so mehr verpflichtet, „den ,good will' de- Reiches einzusetzen, um dieses Unheil wieder auszugleichen“.

Mit diesem Argument setzte sich Papen rasch über alle Bedenken und Widersprüche, die noch wenige Stunden zuvor die von. ihm geschilderte Aussprache mit Hitler beherrscht hatten, hinweg, und er ging nach Wien, um hier mit „evolutionistischen Methoden“ fortzusetzen, was die Putschisten vom 25. Juli mit blutiger Gewalt für den Anschluß an Deutschland zu erreichen strebten.

Nach Wien kam Herr von Papen als alter Anhänger der Anschlußidee. Das sei ihm nidit verübelt. Es gab damals auch in allen österreichischen Parteilagern Freunde der An-«chlußidee. Mit dem Gedanken, daß die innige historische und kulturelle Verbundenheit beider Länder auch unter der Seipclschcn Devise „E i n Volk, zwei Staaten“ gedeihen und vielleicht für beide Staaten ersprießlicher sein könnte, hat v. Papen sich nie befreundet. Wenn er auch die Erreichung des Endziels auf friedlichem und evolutionärem Wege suchte, so war er doch jedenfalls bestrebt, diese „Evolution“ in einer Weise vorzutreiben, die in Oesterreich — trotz all seiner gegenteiligen Beteuerungen — als Einmischung in innerösterreichische Fragen aufgefaßt werden mußte. In emsigem Bemühen gelang es v. Papen zunächst als Gesandter in Wien den Weg für das bekannte Abkommen vom II. Juli 1936 freizumachen. Die beleidigende Reaktion Hitlers auf Papens Meldung von der Unterzeichnung mußte diesem allerdings zeigen, auf wie schwachen Füßen die „Vereinbarung“ stand. Während der Vertrag auf österreichischer Seite als Basis für eine dauernde Ordnung der Beziehungen angeschen wurde, galt er für Hitler nur als erste Etappe, der raschestens die nächsten folgen sollten. In dieser grundlegenden Verschiedenheit der Auffassungen lag der Keim aller weiteren Ereignisse.

Die anderthalb Jahre vom Juliabkommen bis zur Machtergreifung Hitlers in Oesterreich behandelt Herr v. Papen in seinem Buche mit großer Ausführlichkeit. Zahlreiche Lücken, Detailirrtümer und chronologische Unstimmigkeiten, die ihm dabei unterlaufen, sind wohl aus dem Fehlen aktenmäßiger Unterlagen erklärlich. Nicht unwidersprochen darf aber bleiben, daß Herr v. Papen zwar sehr eingehend über einige, an sich ganz unwichtige, störende Zwischenfälle von österreichischer Seite berichtet, aber ganz darüber hinweggeht, daß auch nach dem Juliabkommen die angeblich eingestellte Verbindung der reich s-deutschen Zentra 11 eitung der NSDAP mit der illegalen Partei in Oesterreich unentwegt weiterging. Dafür hat der Verfasser dieser Zeilen während seiner damaligen Tätigkeit im Bundeskanzleramt fast täglich neue Beweise in Händen gehalten. Obwohl der Dienstweg der darob erhobenen zahllosen Beschwerden über die österreichische Gesandtschaft in Berlin sing, war doch v. Papen durch seine häufigen Besprechungen auf dem Ballhausplatz darüber ebenso im Bilde wie über die fast stets negative Erledigung der österreichischen Klagen, die entweder in Schweigen oder in der Methode bestand, die Tatsachen auf den Kopf zu stellen. Audi in den zahlreichen Einzelfragen hat v. Papen „Kompromißlösungen“ meist nur in einem Eingehen auf den deutschen Standpunkt erblickt.

Trotz all seiner Verbindlichkeit und weltmännischen Gewandtheit ließen seine häufig greifbar zutage tretenden Versuche, den österreichischen Partner „hineinzulegen“, ein wirkliches Vertrauensverhältnis nicht aufkommen.

Als nach verschiedentlichem Auf und Ab die Beziehungen gegen Ende 1937 wieder sehr gespannt geworden waren, regte Herr v. Papen eine „Generalaussprache“ zwischen Bundeskanzler Schuschnlgg und Hitler an, worüber auch Ende Jänner 1938 in streng geheimen Besprechungen eine prinzipielle Einigung erzielt worden war. Da wurde v. Papen plötzlich am 4. Februar 1938 — jm Zuge der sensationellen Personalveränderungen in der deutschen Regierung und Wehrmacht, denen Neurath, Fritsch, Blomberg usw. zum Opfer fielen — kurzweg seiner Wiener Mission enthoben. In Wien lag der Eindruck nahe, daß Hitler sich endgültig von der Papenschen Politik abgewandt hatte, und der Plan der „Entrevue“ erledigt war. Papen selbst gibt am Schlüsse dieses Kapitels (S. 498) zu, daß dies „klar“ war. Dennoch eilt er zu Hitler, stellt i lvm vor, daß es doch schade wäre, die Idee der Entrevue fallen zu lassen, und schon am 7. Februar erscheint der bereits abberufene Gesandte zur allgemeinen Ueberraschung wieder in Wien mit der Einladung Hitlers nach Berchtesgaden für den 12. Februar. Den österreichischen Wünschen nach Präzisierung der Themen weicht er mit dem Hinweis auf den Charakter der Begegnung als „Generalaussprache“ aus.

In seinem Buch gibt sich jetzt v. Papen ungeheure Mühe, den Vorwurf, die österreichischen Minister „in eine Falle gelockt zu haben“, zu entkräften. Er will „eine gute Chance für einen freundschaftlichen Kompromiß“ (sie. S. 461) gesehen und von den ultimativen Forderungen, die den österreichischen Ministern am 12. Februar mit unverhüllter Drohung vorgelegt wurden, vorher nichts gewußt haben. (!)

Von seiner ganzen umfangreichen Rechtfertigung kann nur so viel anerkannt werden, daß der Plan der Berchtesgadener Entrevue nicht erst eine Improvisation Papens nach seiner Abberufung gewesen ist, und vielleicht auch, daß er von dem Theatercoup, als Hitler plötzlich nach General Keitel brüllte, als wolle er auf der Stelle Einmarschbefehl geben, ebenso überrascht wurde wie die Österreichischen Gäste. Daß jedoch Herr v. Papen sich darüber wundert, daß Minister Guido Schmidt in seinem Prozeß sich unfreundlich über ihn ausgelassen habe, ist unverständlich! Wer — wie der Verfasser dieser Zeilen — den Zustand gesehen hat, in dem die österreichisdien Staatsmänner am Abend des 12. Februar aus dem Berghof in Salzburg eintrafen, kann sidi lebhaft ihre Gefühle für den Mann vorstellen, von dem sie sidi in diesen Hinterhalt gelockt fühlen mußten. Papens angebliche Hoffnung, Hitler doch nodi zu einer friedfertigen Politik bekehren zu können, konnte doch nur auf Selbsttäuschung oder einer ungeheuren Selbstübersdiätzung beruhen.

Eigentlich hätte Herr v. Papen, wenn er in gutem Glauben die österreidiischen Minister nach dem Berghof geführt hatte, sidi in seiner Ehre verletzt fühlen sollen durch die gangsterhafte Weise, mit der die beiden österreichischen Gäste im Berghof vergewaltigt worden waren. Und es wäre wohl am Platze gewesen, sich als Protest in diesem Moment endgültig und demonstrativ aus der Oesterreich-Affäre zurückzuziehen, mit der er ohnedies amtlich nichts mehr zu tun hatte. Aber weit gefehlt! Er fühlt sich im Gegenteil bemüßigt, beim „Halali“ dabei zu sein! Am Tage von Hitlers Einzug in Wien ist Papen wieder zur Stelle und fügt der Fleißaufgabe von Berchtesgaden noch eine weitere hinzu, indem er den um das Wohl seiner Herde besorgten Kardinal-Fürsterzbischof zu einem Besuch bei Hitler veranlaßt. Angesichts der fünfjährigen Erfahrung mit dem deutschen Konkordat da noch an eine „bona fides“ Papens zu glauben, fällt schwer.

Das Hitler-Regime hat übrigens Papens Wiener Dienste mit der Ermordung seines Sekretärs und Freundes v, Ketteier belohnt; sein Leichnam wurde aus der Donau gezogen.

Papen hat wohl während seiner langen Haft oft bedauert, dem Regime nicht den Rücken gekeWt zu haben, als es am 30. Juni 1934 den Boden des Rechtsstaates verlassen und sich auf den Weg begeben hatte, der unweigerlich in immer tiefere Schuld und endlich zu furchtbarer Nemesis führen mußte. Warum tat er es nicht? Der Leser des Papenschen Werkes wird wohl nur zu einer der folgenden zwei Beurteilungen gelangen können: Entweder hat Herr v. Papen durch seine immer wieder erneute Mitarbeit an einem System, dessen Unverbesserlidikeit er klarer erkennen mußte als jeder andere, schwere moralische Schuld auf sich geladen oder es schwebt über seinem ganzen Wirken ein tragisches Verhängnis, das ihn, auch „wo er das Gute wollte, stets das Böse schaffen ließ“.

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