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IM STREIFLICHT

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NACH Bruckner, der 1937 einen Platz in der

Walhalla bei Regensburg bekam, ist vor kurzem die Büste Stifters auf gestellt worden. Die Anregung ging von der Ackermann-Gemeinde aus; ein Staatsakt versammelte namhafte Persönlichkeiten, an der Spitze den bayrischen Kultusminister, der die Festrede hielt; das Orchester des Stadttheaters Regensburg spielte, die Domspatzen von Regensburg sangen. Aus Oesterreich — ja, genauer gesagt, aus Oberösterreich — waren der Landeshauptmann Dr. Gleißner und der Bürgermeister von Linz gekommen. Vergebens haben wir in der Rundfunkübermittlung nach Namen offizieller Persönlichkeiten gehorcht. Aus Wien, in dem Stifter seine glücklichsten, sorgenfreiesten Tage verbracht, wo er studiert, wo er den schönen Blick über die Dächer der Beatrixgasse gemalt, wo er im „Silbernen Kaffeehaus" mit Grillparzer, Zedlitz, Grün, Bauernfeld, Castelli und vielen anderen zusammenkam; Wien, dessen Umgegend — denken wir an das Kapitel „Glockenblume" der „Feldblumen" — in Stifters Werken mit dem Namen Hainbach ebenso fortlebt wie in den liebevollen Skizzen aus der alten Stadt. Das ist jetzt 120 Jahre her. Wenn schon etliche Persönlfchkeiten liebevoll des Wahltermins und der damit verbundenen Reden und Eröffnungen gedenken — wo blieb das kulturelle Wien?

VV7 TEN ist heute die Stadt mit den meisten ” Kellertheatern in Europa. Daß man ihr solche steigende Beachtung schenkt, beweist die Einladung an das Wiener „Kaleidoskop", als einzige Kleinbühne Vorstellungen im Rahmen der heurigen Berliner Festwochen zu geben. Damit scheint sich Wien die Chance zu bieten, eine ganz neue Art von künstlerischer Hegemonie zu begründen.

T MMER wieder kommt es bei Gedichtsendungen im Rundfunk vor, daß sie durch die vortragenden Schauspieler zu Exzfessen an Weinerlichkeit, Pathos und falschen Herztönen werden. Das beginnt mit der Nennung des Namens des Dichters und des Gedichttitels, die gefühlvollwehmütig „gesungen" werden. Ein prominenter Schauspieler, der ein Gedicht von Trakl lesen sollte, sagte einmal: „Ich verstehe es zwar nicht, aber das macht nichts. Ich werde es mit Organ lesen." Wir würden anregen, daß für alle Schauspieler, die im Rundfunk sprechen wollen — ob sie nun Lyrik vortragen oder in Hörspielen mitwirken —, ein eigener Rundfunksprecher- und Rundfunkspielerlehrgang geschaffen wird. Das rgan allein genügt nämlich für den Rundfunk ebensowenig wie für das Theater.

t! S ist .heute eine leider .schon allgemein wer- -' breitete Unsitte der Theaterleute .geworden, Stücke, die unter einem bestimmten Titel be- kanntgewörden sind, hach ein paar Jahren umzubenennen, in der Hoffnung, dadurch neues Publikum zu gewinnen. Der letzte Streich dieser Art traf die „Zeitgenossen" von Raimund Berger, die jetzt in Wien „Die Helden von Albeville" heißen. Unsere Zeitgenossen werden es noch dazu bringen, demnächst „Sehnsucht nach dem Land der Griechen" von Goethe, „Die feindlichen Brüder" von Grillparzer oder „Die unheimliche Verschwörung" von Shakespeare zu spielen.

£)ER Hilferuf eines Journalisten brachte es vor die Oeffentlichkeit: Alfred Döblin, 76 Jahre alt, lag in einer süddeutschen Stadt schwer krank, von wirtschaftlichen Nöten bedrückt. Döblin: wer hört nicht als Echo „Berlin- Alexanderplatz"; sieht nicht den Transportarbeiter Franz Biberkopf? Döblin, aus der Emigration in der Uniform eines französischen Obers: en gekommen, Leiter der lizenzierten Schriftsteller in der französischen Zone Deutschlands, Herausgeber einer Zeitschrift von Niveau, des „Goldenen Borns", mit den bekannten Werken neuaufgelegt und begeistert besprochen — und trotzdem? Wie man immer auch zu dem publizistischen Nachkriegsgetriebe sich stellen mag — Döblin hat es nicht verdient, daß eine Rundfunkgesellschaft ihm als „Unterstützung" 300 D-Mark anweisen muß.

TN ER französische Schriftsteller und Filmregis- seur Andrė Cayatte hat, wie es französische Zeitungen nennen, wiederholt „eine erstaunliche prophetische Gabe" bewiesen. An dem gleichen Tage, an dern sein Roman „Der Mord an dern Präsidenten" erschien, fiel der französische Staatspräsident Doumer einem Anschlag zum Opfer. Am Tage der . Premiere des Films „Im Namen der Gerechtigkeit" ereignete sich in Monte Carlo ein Euthanasie-Verbrechen, das in vielen Einzelheiten eine verblüffende Aehnlichkeit mit dem Film aufwies. Die Premiere von „Wir sind alle Mörder" fiel mit der Hinrichtung feines bis zuletzt seine Unschuld beteuernden Verurteilten zusammen, dessen Schicksal wieder eine erstaunliche Uel ereinstimmung mit der Filmhandlung erkennen ließ. Und schließlich kam Cayattes jüngster Film „Vor der Sintflut" just an dem Tag heraus, an dem ein aus bestem Hause stammender junger Franzose ein Verbrechen verübte, das wie eine Kopie der Filmhandlung wirkte. — Das erscheint uns gar nicht weiter erstaunlich. Wenn sich die Phantasie eines Filmautors ausschließlich in Mordroheiten austobt, ist es nur zu verständlich, wenn es dann da und dort Begegnungen mit der gleich einfallsreichen „Praxis" gibt! Da lernt dann einer vom anderen, und man kann höchstens von Schüler und Lehrer, aber nicht von Prophet reden.

lein Traditionsverbundenheit xur Garde erinnerte — vermochte nicht den Lauf der deutschen Geschichte vor und nach 1933 aufzuhalten. Der oft gewarnte „Intrigant im Generalsrock“, Schleicher, wurde nach Aussagen gutmeinender Freunde am 30. Jänner 1933 ein Opfer der von Severing zitierten Labilität des „alten Herrn“, welcher sich nun der Vermittlung des „alten Kameraden“ Franz von Papen bediente, um den „böhmischen Gefreiten“ Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen — wobei er den böhmischen Flecken Braunau in seiner Jugenderinnerung von 1866 hartnäckig mit Braunau am Inn zu verwechseln beliebte.

Die Folgen dieser historischen Geschichtsklitterung hat Europa seither zu spüren bekommen. Der Reichspräsident-Marschall des Jahres 1933 war längst ein Gefangener der ihn umgebenden Offiziers- und Beamten- Hierarchie. Das historische Testament des letzten Reichsoberhauptes vor Hitler ist nach den letzten Forschungen einwandfrei und ohne

Fälschung dem deutschen Volk bekanntgegeben worden, mit einer nur scheinbar unbedeutenden Verschweigung eines persönlichen Briefes an den Reichskanzler, der den Wunsch nach der Wiedererrichtung der Monarchie beinhaltete. Denn um das preußisch-deutsche Kaisertum kreisten offenkundig die letzten Gedanken des Sterbenden in Neudeck, der längst von der Wirklichkeit sorgfältig abgeschirmt am 2. August 1934 von der Bühne der Weltgeschichte abtrat und noch im Todeskampf einmal seine innere Rechtfertigung vor dem verbannten König Preußens versuchte. Die letzten Tage des Marschalls waren tief überschattet durch außenpolitische Probleme. Seine letzte Unterschrift, zitternd und kaum leserlich, trägt die Urkunde der Ernennung des früheren Vizekanzlers von Papen als außerordentlicher Botschafter in Wien. Wenige Stunden nach dem Hinscheiden Hindenburgs leisteten die bereits sorgfältig vorbereiteten Formationen der Wehrmacht den persönlichen Treueid auf Hitler.

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