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Ein Demokrat um der Monarchie willen

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Ministerprasident Baron Beck. Ein Staatsmann des alten Oesterreich. Von Johann Christoph Allmayer-Beck. Verlag für Geschichte und Politik, Wien. 327 Seiten

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Ministerprasident Baron Beck. Ein Staatsmann des alten Oesterreich. Von Johann Christoph Allmayer-Beck. Verlag für Geschichte und Politik, Wien. 327 Seiten

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Das erste, der Person und dem Wirken Carl von Vogelsangs gewidmete Werk aus der Feder Johann Christoph Allmayer-Becks trug den bezeichnenden Untertitel „Vom Feudalismus zur Volksbewegung“. Auch das vor wenigen Wochen erschienene vorliegende Buch könnte ein ähnliches Motto vertragen: „Von der Honoratiorenpolitik zur Massendemokratie“. Ist es doch jenem altösterreichischen Staatsmann gewidmet, mit dessen Namen — möge von seinen Werken alles andere auch in Vergessenheit sinken oder zum Teil auch bereits gesunken sein — für immer die Einführung des allgemeinen, gleichen direkten und geheimen Wahlrechtes in Oesterreich verbunden ist.

Aber eben um die Aufhellung des verblassenden Porträts des Barons Max Vladimir Beck geht es dein Verfasser, der dem erst vor zwölf Jahren im hohen Patriarchenalter verstorbenen kaiserlichen Ministerpräsidenten durch verwandtschaftliche Bande verbunden ist. Johann Christoph Allmayer-Becks Arbeit ist weit mehr als die pietätvolle Reverenz vor dem berühmten Großonkel. Schon ein flüchtiger Blick in das vorliegende Buch läßt dies ahnen, ein eingehendes Studium liefert den Beweis.

Da ersteht vor unseren Augen das Bild einer interessanten Persönlichkeit des alten Oesterreich. Die Schicksalsstunde für den 1854 geborenen Sohn des Hofrates Anton Beck, der sich seihst dem Staatsdienst verschrieben hat und als Jurist sich nach anderen Verwendungen im Ackerbauministerium einen Namen zu machen begann, schlug ohne Zweifel an jenem 8. November 1882, an dem er dazu berufen wurde, dem ältesten Sohn des Erzherzogs Karl Ludwig rechtwissenschaftliche Vorträge zu halten. Der Name des jungen Erzherzogs ist Franz Ferdinand. In sieben Jahren wird er als der des neuen Thronfolgers in aller Mund sein. Zu jenem Zeitpunkt aber hat sich auch schon ein intimes Verhältnis zwischen dem ehemaligen Lehrer und seinem Schüler gebildet. Immer mehr wird Max Vladimir Beck dessen persönlicher Vertrauter. Besonders in dem schweren Kampf Franz Ferdinands um seine Ehe gibt es kaum eine andere Person, die dem Thronfolger näher steht. Beck arbeitet juristische Gutachten aus, interveniert und vermittelt. Alles mit einem Ziel: dem Erzherzog zu seinem Lebensglück zu verhelfen. Er vernachlässigt dabei, wie er selbst später eingesteht, seinen Dienst jm Ackerbauminrste-rium, der zu einer Art „Nebenberuf“ herabsinkt. Aber auch an den politischen Plänen des Belvederes ist Beck in jenen Tagen federführend beteiligt.

Als Beck am 29. Mai 1906 dem Ruf zur Regierungsbildung folgt und Ministerpräsident Kaiser Franz Josefs I. wirdv gerät er zwangsläufig in das Spannungsfeld Belvedere-Schönbrunn. Als „Demokrat um der Monarchie willen“ — wie ihn der Verfasser klug zeichnet (S. 126) — bildet Beck das erste parlamentarisch verankerte Kabinett. Ein Nahziel ist klar und entspricht auch dem Drängen der „Volksbewegungen“ verschiedener Couleurs ebenso wie den allernächsten Wünschen: das allgemeine, gleiche, direkte und geheimt Wahlrecht. Das alte Verhältnis zum Belvedere scheint anfangs ungetrübt. Bald aber fallen die ersten Schatten, und gerade die Wahlreform führt dann jenen bekannten, folgenschweren Bruch herbei, der schließlich auch das Schicksal des Kabinetts Beck bestimmen sollte.

Die Beziehungen „Erzherzog Franz Ferdinand und Baron Max Vladimir Beck“ bilden das Kernstück des vorliegenden Buches, neben dem Becks spätere Tätigkeit nicht zuletzt als Präsident des Rechnungshofes der Ersten Republik stark in den Hintergrund tritt. Kein Wunder, war dieses Thema doch bereits Gegenstand der Dissertation des Verfassers und Ausgangspunkt zu der vorliegenden größeren Arbeit. Allmayer-Beck stand hiebei ein reiches Familienarchiv offen und angesichts der sonst nicht immer leichten Arbeit bei öffentlichen (beziehungsweise ab gewisser Stichtage eben nicht immer öffentlichen, sondern nur so genannten) Archiven könnten einem Historiker über diesen „großen Fischzug“ eines Kollegen beinahe ungebührliche Gefühle des Neides beschleichen. Freilich verbindet sich mit dem hauptsächlichen Ausschöpfen einer Quelle die Gefahr einer gewissen einseitigen Information. Johann Christoph Allmayer-Beck leistete dieser Versuchung natürlich Widerstand. Allein, es ist naheliegend und auf Grund des dem Verfasser vorliegenden Materials verständlich, daß die Beziehungen zwischen Beck und Franz Ferdinand hauptsächlich vom Standpunkt des ersteren dokumentiert sind. Und dessen Reaktion war — auch wieder menschlich verständlich — mitunter eine sehr bittere. Doch nicht an diese Zeugnisse eines tragischen und letzten Endes vielleicht schicksalhaften Konflikts sei erinnert. „Hätte ich ihm doch nur einmal noch alles erklären können“: dieser schmerzvolle Ausruf Becks, als er die Nachricht vom Tode Franz Ferdinands erfuhr, gibt vielleicht den Schlüssel zu den bestimmt picht einfachen Beziehungen zwischen den beiden Männern.

Daß Beck von keinerlei kleinlicher Rachsucht befallen war, dafür zeugt auch, daß dieser nach dem Intermezzo einer abermaligen Berufung und dann doch wieder Verweigerung der Führung der Staatsgeschäfte durch Kaiser Karl I. nach 1918 nicht zögerte, bei seinem alten Schulfreund aus dem akade-nischen Gymnasium, Masaryk, für die im Exil lebende kaiserliche Familie Hilfe anzufordern.

In die biographische Studie sind zwei historische „Exkursronen“ des Verfassers eingeschaltet, die nicht unbemerkt bleiben sollten. So wird an mehreren Stellen das Thema „Der österreichische Adel und seine politische Gedankenwelt“ aufgegriffen und abgewandelt. Und gegen Ende setzt sich der Verfasser mit der — wie er es nennt — „österreichischen Dolchstoßlegende“ (S. 277) auseinander, die Monarchie sei „lediglich durch das Gebot ihrer äußeren Feinde zerschlagen worden“. Gerade in diesen Ausführungen, in denen sich der Verfasser unbeschwert vom Material „frei schreibt“, kommt zum Ausdruck, daß •ein Stil gegenüber der Vogelsang-Publikation an Lebendigkeit gewonnen hat.

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