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Kaiser für zwei Jahre

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LEOPOLD II. Band II, 1180 bis 1792. Von Adam Wandrusika. Verlar. Herold. Wien-München, 1965. 457 Seiten, 17 Bildtafeln, eine Karte, In Stammbaum. Preis 3*4 S.

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LEOPOLD II. Band II, 1180 bis 1792. Von Adam Wandrusika. Verlar. Herold. Wien-München, 1965. 457 Seiten, 17 Bildtafeln, eine Karte, In Stammbaum. Preis 3*4 S.

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Schon nach einem Jahr liegt auch der zweite Band der Biographie des jüngeren Sohnes Maria Theresias vor, der das im ersten entworfene Bild des ungewöhnlichen Herrschers vertieft und abschließt. Wieder kommt dem Verfasser seine souveräne Beherrschung der italienischen Quellen und Literatur zugute, da über die Hälfte des Bandes, der vierte Teil „Zwischen Wien und Rom (1780—1787)“ und der fünfte „Am Vorabend einer Zeitenwende (1787—1790)“ noch der Regierung Leopolds in der Toskana gewidmet ist. 25 Jahre hat er: hier regiert, als „Pietro Leopoldo“; als großer Reformator und Lehrer seines Volkes, der sein Land zu einem in ganz Europa berühmten Musterstaat nach den modernsten Grundsätzen gemacht hat, ist er in der Toskana ins Gedächtnis der Nachwelt eingegangen. Mit Recht hat Wandruszka diesen Teil des Lebens seines Helden — und ein Held ist Leopold für seinen Biographen im wahrsten Sinn des Wortes, das spürt man in jedem Satz — ganz genau geschildert. Nach dieser Zeit allein kann Leopold als Herrscher beurteilt werden. Hier konnte er sich voll entfalten, und hier ist er mit seiner Aufgabe zu dem Staatsmann emporgestiegen, der die beiden letzten hektischen, die Kräfte eines Mannes übersteigenden Jahre als Herrscher der Gesamtmonarchie gemeistert hat.

Bewunderungswürdig, aber auch etwas unheimlich, ist die Klugheit und das Geschick des doch noch jungen Mannes, das ständige Experimentieren, die Erprobung der Reformen zunächst im kleinsten Raum, das Zurückweichen beim Auftreten von Widerständen, etwa bei der eindringlich geschilderten toskanischen Kirchenreform. Alles wird in einem kühlen, streng wissenschaftlichen Sinn gelöst — nicht umsonst waren die Naturwissenschaften Leopolds besonderes Steckenpferd. Er war ein leidenschaftlicher Erzieher, seiner Untertanen und seiner Kinder, ja sogar, wie in einem köstlichen Kapitel geschildert wird, seiner Geliebten, einer Tänzerin, die fast in den Schoß der großherzoglichen Familie aufgenommen wurde. Aus der Fülle seiner Memoranden und Briefe — Leopold war wohl der schreibfreudigste Fürst dieses tintenklecksenden Säkulums — und den Erinnerungen der Zeitgenossen entsteht ein lebendiges Bild der Zeit mit ihren Plänen und Reformen und mit ihrem rührenden Bemühen und unerschütterlichen Glauben an den Fortschritt und das Gute im Menschen. Freilich, dieses meisterhafte Zeitgemälde, das jeder am Phänomen der europäischen Aufklärung Interessierte mit Vergnügen lesen wird, vermag uns das Bild des Menschen Leopold nicht mit derselben Eindringlichkeit zu vermitteln.

Denn dieser von brennendem Ehrgeiz erfüllte Fürst steht auch in seinen geheimsten Regungen und Motiven immer in der Pose der eigenen, überwältigenden Tüchtigkeit vor uns. Er verzehrt sich offensichtlich in der Sehnsucht nach einem größeren Wirkungskreis und steht doch fast das ganze Leben im Schatten seines Bruders Joseph, mit dem ihn eine eigentümliche Haßliebe verbindet. In allen seinen Reformen, in seiner philanthropischen und pädagogischen Tätigkeit steht er im erbitterten Konkurrenzkampf mit dem Kaiser, dem er als Schwächerer in den zahlreichen Streitpunkten immer wieder nachgeben muß. Das völlige Scheitern fast aller Bestrebungen Kaiser Josephs in dessen beiden letzten, wahrhaft tragischen Regierungsjahren betrachtet Leopold teils mit kaum verhohlener Genugtuung — er hat es immer besser gewußt —, teils mit dem verzweifelten Gefühl des Unvermögens, Abhilfe zu schaffen, und in der stets wahrscheinlicher werdenden Aussicht, in dieser Lage die Nachfolge antreten zu müssen.

Im Februar 1790 hat der Großherzog den flehentlichen Bitten des sterbenden Bruders nicht nachgegeben, er ist nicht zu ihm gekommen, sondern hat das Eintreffen der Todesnachricht in Florenz abgewartet. Das war klug, da er so keine Verpflichtungen eingehen mußte, aber auch erschütternd. Durch die von Wandruszka erstmalig veröffentlichten geheimen Denkschriften Leopolds vorbereitet, in denen sein Haß gegen den Bruder zum Ausdruck kommt, beginnen nun doch Zweifel an den menschlichen Qualitäten Leopolds im Leser aufzusteigen, die der Biograph nicht zu zerstreuen vermag. Das steigert sich noch durch die Reaktion Leopolds in Wien, beim Eintreffen der Nachrichten von Volksaufständen nach seiner Abreise aus der Toskana. Da ist vom Philanthropen nicht mehr viel zu merken, die Todesstrafe wird wieder eingeführt und Plätze auf den Galeeren der neapolitanischen Schwester für die Übeltäter gesichert. Das Volk mußte zu seinem Glück gezwungen werden, auch vom konstitutionellen Musterherrscher.

Für uns ist natürlich der letzte Teil, die Tätigkeit Leopolds in der Monarchie, der interessanteste. In den zwei Jahren seiner Regierung ist es dem Kaiser gelungen, Ungarn wieder zu beruhigen, die Stände in den Erblanden und in Böhmen zu gewinnen, ja die österreichischen Niederlande wieder fest in die Hand zu bekommen. Mit den Türken wurde, freilich ohne Gewinn, Frieden gemacht, Preußen wurde vom Feind zum Verbündeten und die Nachfolge im Reich gesichert. Dazu kommt noch eine Unterrichtsreform, die Österreich wesentliche Fortschritte verschafft hätte, wenn sie nach Leopolds Tod beibehalten worden wäre. Für den Kampf gegen das revolutionäre Frankreich, nach der unvermeidlichen Änderung der ursprünglich positiven Einstellung zur Revolution, hatte er damit freie Hand gewonnen. Mitten in den Vorbereitungen dazu ist Leopold plötzlich, noch nicht 45 Jahre alt, gestorben, nachdem er wahrscheinlich schon die großen Anstrengungen der letzten Jahre als kranker Mann auf sich genommen hatte. Für die zwei kurzen Regierungsjahre waren die Erfolge des Kaisers jedenfalls überwältigend. Daß er die Monarchie in den kommenden Stürmen besser geleitet hätte als sein unerfahrener Sohn, steht wohl außer Frage.

In Wien hat sich Leopold, wie früher in Florenz, mit einem Kreis geheimer Mitarbeiter umgeben, mit deren Hilfe er die öffentliche Meinung seinen Zwecken dienstbar machen wollte. Darin unterscheidet er sich wesentlich von seinem Bruder und von seinem Sohn, von denen sie der eine verachtete und tler andere fürchtete. Mit diesen charakterlich keineswegs einwandfreien Leuten hat er seine schon in Florenz voll entwickelten konstitutionellen Pläne verfolgt, die er freilieh weder in der Toskana noch in Österreich verwirklicht hat. Daß sich der Kaiser dabei gefährlicher Mittel bei der Ausspielung von Standesgegensätzen bediente, zeigte nach seinem Tod die österreichische und ungarische Jakobinerverschwörung, die von den durch den Monarchenwechsel um ihren Einfluß gekommenen Männern des leopoldi-nischen Geheimdienstes geleitet wurde. Leopold hat von seinen fast revolutionären Bestrebungen und der von ihm klug beeinflußten öffentlichen Meinung nicht profitiert. Bei der unmittelbar folgenden Generation lebte der Kaiser als Reaktionär, als Zerstörer der jose-phinischen Reformen, als Wiederhersteller der Adelsherrschaft und des Fürstenabsolutismus fort. Das hat der kluge und fortschrittliche Monarch nicht verdient. Hier hat Wandruszka mit seinem Werk wohl endgültig das richtige Bild durchgesetzt.

Ziemlich knapp wird das Verhältnis zur französischen Revolution geschildert. Hier reichten offenbar die Quellen nicht aus, um die schwankende und zögernde Politik Leopolds wirklich zu erklären. Infolge der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, ist der Kaiser in Österreich nicht mehr recht heimisch geworden. Darunter litt auch sein Bild bei Mit-und Nachwelt. So ist es bezeich-< nend, daß Kaiser Franz seinem Großvater und seinem Onkel in der Residenz Standbilder errichten ließ, seinem Vater aber nicht. Deshalb ist das neue Bild, das Wandruszka vom rationalsten und tüchtigsten Sohn der großen Kaiserin entworfen hat, um so wertvoller. Ihm ist vielleicht nur entgegenzuhalten, daß im verständlichen Bemühen, Leopold ins rechte Licht zu rücken, dies wohl etwas zu sehr auf Kosten Kaiser Josephs geschehen ist. Nicht Leopold, sondern Joseph hat die Liebe seiner Völker errungen.

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