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Leopold II, Kaiser und Revolutionär

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UNGARN UND DER GEHEIME MITARBEITERKREIS KAISER LEOPOLDS II. Von Denis Sil agi. Nr. 57 der Südosteuropäischen Arbeiten. Für das Südost-Institut, München, herausgegeben von Mathias Bernath. Verlag R. Oldenbourg, München 1961. 156 Seiten.

Hatte sich in den Kernländern Europas die ständische Ordnung überall geschwächt, so hielt sie sich in Ungarn bis in die Zeit Josephs II. Die ständische Oberschicht des Königreiches Ungarn sah sich zu Anfang des 18. Jahrhunderts in ihrer eher rückläufigen Bewegung einem politisch, wirtschaftlich und kulturell gewandelten Europa gegenüber; es war das Königreich am Rande Europas, ein Ständestaat überlebten Gepräges geblieben. Einerseits mußte die Dynastie, um sich zu behaupten, zu zeitgerechten Neuerungen greifen, anderseits war die ungarische Adelsnation nicht gewillt, auf ihre Vorrechte zu verzichten. Kaiser Leopold 11., der schon als Großherzog von Toskana in mehr als einer Beziehung seinem Zeitalter vorauseilte, erscheint als Kaiser in der inneren Politik als Doktrinär zumindest in seinen Plänen für die fernere Zukunft, in der auswärtigen dagegen als „Routinier” und „Opportunist”.

Ungarn bot als Ganzes beim Regierungsantritt Kaiser Leopolds den Anblick eines Landes am Vorabend der Revolution. Der Kaiser ging sogleich an den Versuch,

die in allen Teilen der Monarchie glimmenden Brandherde zu löschen, die österreichischen Niederlande zurückzugewinnen und den drohenden Abfall Ungarns aufzuhalten: Hinter der belgischen Katastrophe standen die Seemächte und Preußen, hinter der Unruhe in Galizien steckten die Polen und wieder Preußen, Preußen stand hinter der Gärung in Ungarn und Preußen stützte auch den türkischen Kriegsgegner.

Um bei dieser schwierigen innen- und außenpolitischen Lage seinen Reformideen in Ungarn Eingang zu verschaffen — ein unmittelbarer offener Kontakt des Herrschers mit Bürgern und Bauern wäre vom Adel als Anschlag auf die Verfassung empfunden worden —, konnte sich Leopold nur „konspirativer” Mittel, im besonderen „geheimer Dienstleistungen”, bedienen. Dazu erwählte er sich einen gewissen Geheimbund von Männern: den ehemaligen Polizeidirektor und Rat bei der Ofner Statthalterei, Franz Gotthardt den Pester Universitätsprofessor Leopold Alois Hoffmann, Peter von B a 1 o g s, Johann Molnar, evangeli-

scher Pfarrer von Pest, und besonders, neben Hoffmann, Anton von S z a 1 k a y. Hoffmann gehörte der Wiener Freimaurerloge „zur Wohltätigkeit” an und erhielt von der Studienhofkommission unter der Leitung des Freimaurers Gottfried van Swieten als Professor den Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur an der Universität in Pest. Kaiser Leopold wußte bereits als Großherzog von Toskana den Wert der Publizistik zu schätzen, insbesondere Flugschriften u. a. des lutherischen Pfarrers Johann Molnar. Hoffmann war seit Frühsommer des Jahres 1790 das publizistische Sprachrohr Leopolds. Der Kaiser selbst gründete eine geheime Gesellschaft, die von ihm selbst geleitet wurde — die „Assoziation” —, für die Zwecke der eigenen Regierungspolitik. Mit der Ausarbeitung der Grundsätze für die neue Assoziation betraute der Kaiser Alois Hoffmann. Das „sichere Gleichgewicht zwischen gemäßigtem Monarchismus und Demokratismus” war dabei Leopolds ureigenes Gedankengut. Hauptzweck der Assoziation war, in allen Schlüsselstellungen des Reiches über disziplinierte und fähige Ausführungsorgane für die zukünftigen Pläne Leopolds zu verfügen. Noch in seinen letzten Lebenswochen hatte der Kaiser eine echte Revolution von oben im Königreich , Ungarn im Sinn gehabt. Mit dem allzu frühen Tode Leopolds (1792) ging die Assoziation ebenso spurlos unter wie die Einrichtung der Kontrollbeamten.

Dem Verfasser ist für diese Untersuchung, die sich gewissenhaft auf Aktenstücke und Quellenveröffentlichungen samt zeitgenössischer Literatur stützen kann, aufrichtiger Dank gesichert.

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