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Eine Geschichtslegende und ihre Widerlegung

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Mißachtung historischer Objektivität gehörte nicht selten zu den unerfreulichen Merkmalen der kleindeutsch - preußischen Geschichtsschreibung. Nirgends traten ihre Schattenseiten auffälliger in Erscheinung als in der Behandlung des Königs Friedrich II. von Preußen, da sie über eine der wichtigsten Fragen um die Rolle des Königs, die Schuldfrage am Siebenjährigen Krieg, entweder schwieg oder seine Schuld bemäntelte.

Die beiden politischen Testamente Friedrichs II. aus den Jahren 1752 und 1768, die den Angriffswillen des Königs klar beweisen, wurden vom preußisdien Staatsarchiv lange unter strengstem Geheimnis gehalten. Die Archivverwaltung konnte sich auf ein Gutachten Rankes stützen, der im Jahre 1843 mit Rücksicht auf das Verhalten zu Österreich und Rußland eine Geheimhaltung dieser vielsagenden. Dokumente empfahl. Benutzer des preußischen Staatsarchives mußten sich eidlich verpfliditen, nur das für ihre Publikationen zu verwenden, was ihnen die Zensur der Archivverwaltung in ihren Auszügen gestattete.

In einer 1871 erschienenen Abhandlung über den Ursprung des Siebenjährigen Krieges gab Ranke zu, daß Friedrich II. die Eroberung von Sachsen und Westpreußen ins Auge gefaßt hatte, glaubte aber, eine Angriffsabsicht und Kriegsschuld des Preußenkönigs nicht erweisen zu können. Gestützt auf seine Autorität, versuchten eine Reihe von Historikern, wie Koser, Naude und andere, eine Angriffsabsicht Friedrich II. überhaupt zu leugnen und sein Handeln als „Friedenspolitik“ hinzustellen, dafür aber Maria Theresia finstere Pläne gegen Preußen zuzuschreiben. Noch 1922 schrieb G. Küntzel: „Um des Friedens, nicht um einer Eroberung willen ist der Krieg von preußischer Seite geführt worden.“

1894 wagte es ein Tapferer, der Berliner Historiker Max Lehmann, in einer grundlegenden Arbeit: „Friedridi der Große und der Ursprung des Siebenjährigen Krieges“ (Leipzig 1894) dieser Verkehrung der geschichtlichen Wahrheit entgegenzutreten. Er sprach zwar noch nicht von einer einseitigen Schuld Friedrich IL, die dann aus der späteren Veröffentlidiung der politischen Testamente des Königs klar hervorging, aber er ebnete der historischen Wahrheit den Weg, indem er in Hinsicht auf die Politik des Königs und die des Fürsten Kaunitz von zwei Offensiven sprach, die aufeinanderstießen. Selbst diese vorsichtige Formulierung war der herrschenden Sdwlrichtung zu viel. Obwohl Lehmann durch seine ausgezeichnete Scharnhorst-Biographie sich bedeutenden Ruf gesichert hatte, begann gegen ihn ein Kesseltreiben, weil er die Wahrheitsliebe eines der lautesten Lobredner Friedrich II., des Herausgebers der „Politischen Korrespondenz“ des Königs, A. Naude in Frage gestellt hatte. Heinrich von Sybel, der Wortführer der kleindeutsch-preußischen Historiker, zwang Max Lehmann von der Redaktion der historischen Zeitschrift zurückzutreten und Remhold K o s e r, der spätere Generaldirektor des Preußischen Staatsarchivs und Biograph Friedrich IL, kündigte Lehmann öffentlich die Freundschaft. Nur wenige Gelehrte hatten den Mut zu Max Lehmann zu stehen. Naude, Küntzel und Volz gingen nadi Wien, um durch Nachforschungen in den Wiener Archiven die „Lehmann-sche Hypothese“ — den Erweis der Angriffsabsicht Friedrich II. — als haltlos hinzustellen. Ihr Versuch, die Politik Friedrich II. aus Wiener Archiventdeckungen zu rechtfertigen, mißlang. Lehmann freilich konnte seine riditige Behauptung über den Angriffsund Eroberungswillen des Preußenkönigs solange nicht mit Dokumenten belegen, als das Preußische Staatsarchiv die Veröffentlichung der politischen Testamente Friedrich II. verhinderte.

Nicht zuletzt unter dem Druck von Lehmanns Arbeit, dieser Frucht ehrlichstem Forscherwillens, wurde 1904 die Veröffentlichung des größten Teiles des Aktes von 1752 in den „Acta Borussica“ in Aussicht gestellt. Aber erst der Ausgang des ersten Weltkrieges eröffnete d#i Zugang zu dem Archiv und zur dokumentarischen Feststellung der Wahrheit über Friedrich II. in der Schuldfrage des Siebenjährigen Krieges. 1920 erfolgte durch Volz die Veröffentlichung des vollen Wortlautes des politischen Testamentes von 1752.

Dieses eminent wichtige Dokument widerlegte nun auch einen Ranke. Während dieser noch zu wissen glaubte, daß Friedrich II. die Eroberung Sachsens nicht beabsichtigt habe, hieß es nun klipp und klar im Testament des Preußenkönigs, daß von den zu erobernden Ländern Polnisch-Preußen, Schwe-disch-Pommern und Sachsen, das letztere für Preußen weitaus das Wichtigste sei und Sachsen sollte, wie es im Testament hieß, in Böhmen erobert werden.

Für diesen Kampf gegen Maria Theresia wälzte der König große Pläne um. Er berichtet darüber mit erfreulicher Eindeutigkeit in dem politischen Testament: Damit Preußen in seinem Angriff auf Österreich nicht von außen her gestört werde, hatte der König daran gedacht, einen Konflikt zwischen England und Frankreich und innere Unruhen in Rußland herbeizuführen. Auch die Türkei zum Kriege gegen Österreich aufzustacheln, hatte er gedacht; 1750 war er jedoch bei der Hohen Pforte auf eine Ablehnung des Bündnisvertrages gestoßen und als er während seines Krieges gegen Maria Theres'a durch seinen Gesandten am Goldenen Horn seine Lockungen erneuert hatte, war ihm eine zweite Zurückweisung zuteil geworden.

Es ist verständlich, daß die Dokumente, die soviel enthüllten, lange ängstlich verborgen gehalten wurden. Über ihre Aufdeckung hinaus berichtet aber die alte Fridericus-Legende und ihre Verherrlichung einer Politik der Gewalt und einer Staatskunst ohne Moral.

Noch in unseren Tagen feiert ein Johannes H a 11 e r Friedrichs II. Raubpolitik als die Tat eines Genius, der außerhalb der Gesetze normaler Entwicklung stehe, und ebenso ganz im Geiste der kleindeutisch-preußischen Geschichtsschreibung bezeichnet ein Erich Brandenburg den Bruderkrieg von 1866 als einen Bismarck „aufgezwungenen“ Krieg, unbekümmert über die von ihm selbst zitierte Feststellung Moltkes, daß der Krieg von 1866 ein vom preußischen Kabinett sorgfältig erwogener und vorbereiteter Krieg um die Machtstellung war.

Von der Fridericus-Legende lebte noch bis in die letzten Kriegsjahre hinein unter üppiger Verschwendung tendenziöser Geschichtsklitterung der Nationalsozialismus, denn er bedurfte zur Propaganda eines glorifizierten Vorbildes der Machtpolitik, der er folgte. Mit beiden ist auch er zu Fall gekommen.

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