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Tragik einer Kaiserin — Tragik eines Volkes

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Unter den 12.000 Neuerscheinungen des diesjährigen deutschen Buchmarktes ragt eine hervor, die verdient, weiteste Verbreitung zu finden: es ist das Buch des österreichischen Historikers Conte Corti über die deutsche Kaiserin Friedrich („Wenn ..Sendung und Schicksal einer Kaiserin. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln. 659 Seiten. 61 Abbildungen. Preis S 125.—).

Kaiserin Friedrich, geboren 1840 als Tochter der berühmten Queen und des Prinzen Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, abstammungsmäßig somit eine Deutsche, durch ihre Stellung als „Princess Royal" und ihre Erziehung eine vollkommene Engländerin, vermählt 1858 mit Friedrich Wilhelm von Preußen, Sohn des preußischen Thronfolgers und somit ebenfalls zur Thronfolge berufen, ist ein der tragischsten Gestalten der neueren deutschen Geschichte. Sie, die Tochter der Queen, schon von dieser Seite begabt zur Politik, von ihrem hochifttelligenten Vater noch mehr dazu erzogen, ist überzeugt, daß das englische Regierungssystem die beste und menschlichste Art des Herrschens ist. „Die Regierung eines Staates", ist einer ihrer unerschütterlichen Grundsätze, „ist nicht ein Geschäft, das der König und einige bevorzugte Männer .allein zu besorgen hätten, es ist Recht und Pflicht jedes einzelnen, daran teilzunehmen." Von diesem Gesichtspunkt aus mußte sie die geschworene Gegnerin jeder Art von Diktatur sein und jede staatliche Willkür verabscheuen. Ihr Mann, Friedrich von Preußen, ist völlig eines Sinnes mit ihr. Aber dieses Paar kommt niemals dazu, ihre menschlich so sympathischen und richtigen Grundsätze in der Praxis anzuwenden. Hier beginnt die Tragik der Tochter der Queen: ihr Schwiegervater, König Wilhelm I. von Preußen, wird uralt. Sein Leben versperrt seinem Sohn den Zugang zum Thron. Aber nicht dies ist die eigentliche Tragik. • Die große Tragik besteht darin, daß dieser Wilhelm I. ein willenloses Werkzeug in der Hand eines Bismarck ist. Und Bismarck, der „Blut- und-Eisen"-Bismarck, ist für die „Princess Royal“ die nackte Gewalt und darüber hinaus der Weg ins Verderben des deutschen Volkes. Sie ist mit ihrem Mann einer der schärfsten Gegner des allmächtigen Junkers. Sie bekämpft seine Knebelung der Presse, seine Ausschaltung des Parlaments, seinen Krieg gegen Oesterreich, seine Bündnispolitik mit Rußland, seinen Kulturkampf. Die Urteile, die sie über Bismarck fällt, sind vernichtend. „Dieser Mann", sagt sie, „ist eine Weltkalamität ‘und die tiefste Demütigung für Preußen." Seine Politik ist für sie eine „verrückte und klägliche". Sie ist überzeugt, daß er „nicht ein einiges, freies Deutschland will, sondern nur einen Junkerstaat". Preußen ist für sie keine Monarchie mehr, sondern wird allein „von einem allmächtigen Majordomus regiert", der „brutal und zynisch ist“. Durch die Politik Bismarcks wird aus dem deutschen Volk „eine dressierte Herde, die sich gedankenlos treiben läßt". Deutschland selbst wird durch diese Politik ruiniert. Denn eines Tages wird es „zwischen Frankreich und Rußland zerquetscht werden". Die dritte große Tragik im Leben der Kaiserin besteht darin, daß ihr Mann, als er auf den Thron gelangt, bereits durch seine Opposition gegen Bismarck zermürbt und todkrank ist und nach einigen Wochen Herrschens stirbt. Und ihre letzte große Tragik, die sie erleben muß, ist die. große Enttäuschung über ihren Sohn Wilhelm, den Nachfolger ihres Mannes. Als er noch ein Kind war, hatte sie ihrer Mutter, der Queen geschrieben, daß sie alle ihre Kräfte dahin anstrengen werde, um ihren Sohn mit „gründlichem Ekel und wahrem Abscheu vor den verderblichen und lächerlichen Grundsätzen der Reaktion" zu erfüllen. Nun mußte sie erleben, daß ihr Sohn alles andere als ein Herrscher im „englischen" Sinne wurde, sondern schon als Prinz sich ganz „junkerlich" gebärdete und als Kaiser diese Politik weiterführt, von der die Kaiserin überzeugt war, daß sie Deutschland eines Tages vernichten würde. Erst 61 Jahre alt, stirbt sie wie ihr heißgeliebter Mann an Krebs. Ihre Urteile, ihre Voraussagen sollten sich in nicht allzulanger Zeit erfüllen.

Der österreichische Leser, der das Buch Cortis, welches doch eigentlich nur preußische Geschichte behandelt, liest, wird es mit der gleichen Frage über die Politik Bismarcks aus der Hand legen, die Kronprinz Friedrich nach der Schlacht bei König- grätz an seine Frau schrieb: „Wofür diese Siege, wofür diese Verluste?" Er wird mehr denn je dagegen zur Ueberzeugung gelangen, daß auf dem

Schlachtfeld von Königgrätz nicht nur die Habsburgermonarchie, sondern mit ihr das deutsche Volk geschlagen wurde. Denn damals wurde es endgültig auf eine Straße getrieben, die „Blut-und- Eisen-Straße", die schließlich in das Verderben von 1945 münden mußte. Und der österreichische Leser wird ein besonderes Mitgefühl für diese Frau empfinden, Hie gleich seiner Heimat ein Opfer einer unheilvollen Politik wurde. Und er wird dieses Buch — es ist das letzte, das der Historiker Corti noch selbst verfaßte — in den Händen vieler Deutschen zu sehen wünschen, damit sie Fehler der Vergangenheit erkennen und für die Zukunft daraus lernen.

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