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Hoffnung geben — Hoffnung nehmen

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E.M. Cioran sieht in seinem Werk „Die verfehlte Schöpfung“ (1979) die Welt als solche, das Böse sei die tiefste Neigung und der Haß die stärkste Kraft des Menschen.

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E.M. Cioran sieht in seinem Werk „Die verfehlte Schöpfung“ (1979) die Welt als solche, das Böse sei die tiefste Neigung und der Haß die stärkste Kraft des Menschen.

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Man muß E.M. Cioran gelesen haben, um wieder zu verstehen, wie sich unsere Welt ohne die Deutungsversuche durch die Religionen im allgemeinen und ohne die christliche Offenbarung im besonderen durchaus plausibel darbietet: als bar aller Ursachen für eine Hoffnung auf ein gutes Ende für den einzelnen, geschweige denn für die Menschheit als ganze! Und was christliche Hoffnung auf Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und damit Erlösung für den heutigen Menschen bedeutet, der aus nur allzu verständlichen Gründen ganz besonders zu Angst und Panik neigt!

Es war eine der großen Leistungen des Zweiten Vatikanums (,.Nostra aetate“, 1965), das Sinnangebot des Christentums im Kontext der Bedeutsamkeit der Religionen überhaupt für die menschliche Existenz gesehen zu haben. Mit seinem Menschenbild hat es den Schlüssel zu realistischen Antworten auf die Grundfragen des menschlichen Lebens und zum Humanum selbst ange- boten.

Die wesentlich christliche Identifizierung mit dem Wesentlich- Menschlichen ist von einer welt weit und historisch konkurrenzlosen Problemlösungskapazität — vor allem dann, wenn ihre Evolutionsbedürftigkeit und Entwick- lungs- das heißt Lernfähigkeit so hoffnungsvoll wiedererkennbar wird wie in den beiden Jahrzehnten seit dem letzten Vatikanum bis zu Papst Johannes Paul II., der die Kooperation nicht nur mit den anderen christlichen Kirchen, sondern mit allen anderen Weltreligionen und darüber hinaus auch mit allen humanitären Bewegungen sucht.

Und ist nicht zum Beispiel auch die Erkenntnis Edward Schille- beeckxs in derselben Zuversicht begründet, daß die katholische Theologie nicht nur aus einer, sondern aus zwei Quellen schöpft, „aus der ganzen Erfahrungstradition der großen jüdisch-christlichen Bewegung und andererseits aus heutigen neuen menschlichen Erfahrungen von Christen und Nichtchristen“.

Auch die Erneuerung der Moraltheologie in der nachkonzilia- ren Epoche (in welcher mehr geschah als sonst in hundert Jahren!) vom Legalismus und von der einseitigen Betonung des Gehorsams zur menschlichen Reife einer Gewissens- und Verantwortungsethik (Bernhard Häring) läßt die enorme geistige Vitalität auch und gerade in der lateinischen Kirche erkennen.

Diesem kolossalen Hoffnungsaktivum steht aber leider auf der Passivseite ein ganz unbegreiflicher, aber ungemein effizienter Hoffnungsverschleiß auf einzelnen, aber augenfälligen Teilbereichen gegenüber. Dieser Prozeß ist Ausdruck einer reduzierten Lernfähigkeit und — was noch schlimmer ist — Lernbereitschaft einer (soziologisch gesehen) an sich durchaus verständlichen tra- ditionslastigen Mammutorganisation.

In einer Zeit furchtbaren Elends in volkreichen Staaten der Dritten Welt beispielsweise, in denen die Bevölkerungsexplosion jeden Fortschritt, selbst in der Versorgung mit dem Existenznotwendigsten, ■ illusorisch macht (und selbst in Industriestaaten, wo insbesonders Mütter kinderreicher Familien nicht selten überfordert und selbst Mittelstandsfamilien an den Rand ihres Existenzminimus gedrängt sind), ist das Festhalten amtskirchlicher Autoren an dem — wenn auch schon sehr lange kultivierten — Irrtum völlig unverständlich, daß »jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingerichtet bleiben muß“.

Was fast noch lähmender wirkt als die Aussage selbst, ist die Dialogverweigerung, die darin zum Ausdruck kommt, daß auf die in reicher Fülle vorliegenden ernsten Gegenargumente überhaupt nicht eingegangen wird, sondern die Beweise der (unbestrittenen) Kontinuität dieser Lehre eine wirkliche Argumentation ersetzen sollen!

Woher soll angesichts einer auf fast zweitausend Jahre zurückreichenden verquerten Sexualethik noch die Hoffnung kommen, daß das, was auf diesem Gebiet an

Positiv-Menschlichem in der bisherigen Geschichte des Humanen erfahren und erkannt wurde, in das christliche Bild sittlichen Verhaltens eingehen wird? Ist es unverständlich, wenn der hier Ratsuchende dazu neigt, das Kind mit dem Bade auszugießen und auch das zu ignorieren, was die Kirche auch auf diesem Gebiet Konstruktives auszusagen hat?

Aber auch dort, wo - entgegen der Meinung seines Autors - Traditionen gebrochen werden, wie in „Laborem exercens“ (1982), läßt das nicht schon allein deswegen auf die Qualität der Aussage schließen: Die Kernaussage eines „Vorranges der Arbeit vor dem Kapital“ ist entweder sozialethisch kaum von irgendeiner praktischen Bedeutung, wenn der Vorrang des Arbeiters vor seinen Werkzeugen und seiner Maschine gemeint ist (Ziffer 13), oder er ist falsch, wenn damit ein Vorrang des Arbeitnehmers vor dem Sparer und Investor zum Ausdruck gebracht werden soll (Ziffer 14).

Welche Hoffnung auf eine menschliche und barmherzige Kirche ist wieder versiegt, als angekündigt wurde, daß die Praxis der kirchlichen Ehegerichte und die kirchenrechtliche Behandlung von Priestern, die aus triftigen Gründen ihre Suspendierung anstreben, wieder energisch verschärft werden sollen!

Sicherlich bringt das neue Kirchenrecht wichtige Verbesserungen. Warum aber enthält es beispielsweise immer noch die Notwendigkeit der Zustimmung des Ortsbischofs beim Eingehen religiöser Mischehen? Ist nicht die Bereitschaft zum Eheritus des katholischen Partners Ausdruck genug dafür, daß er dessen Gesinnung respektieren wird?

Karl Rahner nennt unsere Zeit nicht zuletzt im Hinblick auf das hier Erwähnte einen „Winter in der abendländischen Kirche“, in welcher diesę „immer wieder hoffnungslos hinter ihrer Aufgabe zurückzubleiben scheint“. Auch der Präsident des Katholikentages, Eduard Ploier, sprach in seinem couragierten Interview mit der Zeitschrift „Academia“ (1/1983) von Fällen, in welchen „wir Hoffnung erschlagen“, und seine Gesprächspartner nannten J „Strukturen, die zur Hoffnungslosigkeit verdammen“, zum Beispiel das „Ohnmachtsgefühl gegenüber Großorganisationen“ (wozu auch die Kirche zu zählen ist).

Vielleicht könnten die hier auch nur beispielhaft angerissenen Fragenkreise ‘ Gegenstand der Veranstaltung sein, die dem Papst als Teil jener „Phasen“ (Ploier) vorgeschlagen wurde, „in denen er zuhört“.

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