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Was den Marxisten Bloch betrübt

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Wie Kelsen, so räumt er mit der „doppelten Buchführung“ des „privaten“ und des „öffentlichen“ Rechts auf (S. 238). Wer Hiebe austeilt, wer „aufräumende Gerechtigkeit“ übt (S. 230), haut gern über den Strang: Es bekommt eins ab, der's nicht verdient. Hans Kelsen sei genannt (Seite 168 ff., 208), dem Bloch viel näher steht, als er ahnt. (Warum liest er ihn so flüchtig?) Auch das Corpus iuris ist dem Meister nicht mehr wert als ein Maschinengewehr (S. 210). Schade, daß es Späne setzt...

In der Tendenz ist das Werk eine einiige, große Berichtigung all dessen, was in Jahrhunderten über das Naturrecht zusammengeredet worden ist. Naturrecht normiert den aufrechten Gang des Menschen, Naturrechtslehren schützen den aufrechten Gang des Menschen. Sonst ist jenes Scheinrecht (zum Beispiel S. 167), diese sind Perversionen, die mit häßlicher Fratze die Erniedrigten, Beleidigten, Gekränkten, Beladenen angrinsen. Ein Staat, sagt einmal Friedrich Christoph Dahlmann, der seinen Schutzbefohlenen den aufrechten Gang verböte, wäre kein Staat; ein Unwesen wäre er, das untergeht. „Man sagt“, heißt es bei Bloch (S. 181), „daß es die Menschen nie lange im Druck ausgehalten hätten. Das mag der Fall sein, sicher ist nur, daß der keineswegs unfromme Wunsch, kein Hund zu sein, schwer abgewöhnbar ist.“

„Altes Eisen sieht anders aus .. .“

Wer anderswo den Sinn des Naturrechts wittert, wer glaubt, eine Naturrechtslehre könne ein übriges Herzstück haben, der ist ein hoffnungsloser Fall, mit dem Gespräche führen Zeit verschwenden heißt. Lehrer des Naturrechts und dessen Gegner mögen diesbezüglich bei Ernst Bloch in die Schule gehen!

„Was rechtens sei? — Darum kommt man nicht herum. Diese Frage läßt immer aufhorchen, sie drängt und richtet. Ein als naturrechtlich bezeichnetes Denken hat sich ihr gewidmet, grundsätzlich, nicht von Fall zu Fall... Wo alles veräußerlicht wurde, stechen unveräußerliche Rechte sonderlich heraus“ (S. 11). Was ist es, das ungemessen Maße eicht, „und zwar einleuchtend, mit dem das Flüssige, auch Schlüpfrige der Rechtsfälle wieder geeicht wird?“ (S. 16).

Was den Marxisten Bloch sichtlich betrübt, ist, daß Marx, daß der Sozialismus das Naturrecht und die Sache der Naturrechtslehren verkennen. Herrlich, der Spruch: „Altes Eisen sieht anders aus, das Überalterte steckt mehr in dem, was das Naturrecht angriff, als in ihm selber“ (S. 12). Wie kann Marx, ein so wesentlicher Denker, der den Menschen, des Menschen Würde, aus dem Jammer der Knechtschaft, der Ausbeutung zu retten sich abmüht, am Witz des Naturrechts vorbeiziehen? Was stimmt da nicht? Wie können Sozialisten Schrotthändler sein, die das alte Eisen unversöhnlicher Feindschaft wider das Naturrecht sammeln, statt dessen Fahne zu schwingen und ins Feld zu ziehen gegen die positivistische und historisierende Reaktion? Erschöpft sich doch das Naturrecht im Schutz der Menschenwürde, bergen doch die Naturrechtslehren all Kern die Menschenrechte.

Daß unser Meister weitaus tiefer die Rechtsfrage ansetzt, sie solchermaßen thematisch glücklich zu meistern sucht: das verdankt er der phä-nomenologisch-transzendentalen Methode, obwohl er sie schilt. Den Weg zum Sachverständnis des positiven Rechts findet man, wenn man zuvor schon wissend-ahnend im Sachbereich des schlechthin Rechtlichen heimisch ist. Wer positives Recht durchforscht, wird unversehens mit dem präpositiven Recht konfrontiert. Wer in das wandelbare Recht sich schickt, dem dämmert, was das Unwandelbare ist. Und unwandelbar ist „einzig die Intention auf aufrechten Gang, auf menschliche Würde“ (Seite 212), schreibt Bloch grimmig dem Erzpositivisten K. Bergbohm und seinesgleichen ins Stammbuch. Das

Rechtsfeld, auf dem wir vorwissend stehen, ist offen. Es gehört zum Wesen der Rechtsfrage, daß sie offen ist — und bleibt (vergleiche meinen „Richterstaat“, Wien, Springer. 1957. S. 109 ff.).

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