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Diskussion des Naturrechts

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Nach unseren eigenen furchtbaren Erfahrungen in naher Vergangenheit und angesichts der in einem großen Teil der Welt sich vollziehenden Unterdrückung, ja Ausschaltung menschlicher Freiheiten und Rechte, ist die-Frage nach dem unbestreitbaren, wenn auch ungeschriebenen, natürlichen, gottgegebenen Recht, das gilt, selbst wenn es durch ungerechte Gesetze scheinbar vernichtet ist, zu einer jeden einzelnen berührenden Frage nach seinem geistigen Leben oder geistigen Erstickungstod geworden. Sie nahm denn auch mit Grund einen hervorragenden, ja in der ersten Woche (über die allein wir hier fürs erste berichten) beherrschenden Platz in den diesjährigen Salzburger Hochschulwochen ein, welche Fragen der christlichen Rechts- und Gesellschaftsordnung gewidmet waren („Das Welt- und Menschenbild der christlichen Rechtsund Gesellschaftsordnung“).

In einigen Vorlesungen, Vorträgen und Referaten zu den Arbeitsgemeinschaften wurde erstens einmal das Augenmerk auf in Verfassungen der Gegenwart oder Vergangenheit positivierte naturrechtliche Grundnormen gerichtet. Das tat zum Beispiel Prof. H. A r m-b r u s t e r (Mainz) in seiner fünfstündigen Vorlesung „Das Recht als Schutz der menschlichen Würde und Freiheit“, wobei er unter anderem auch die grundrechtlichen Bestimmungen der Verfassung der Sowjetunion analysierte und aufzeigte, wie sie durch verschiedene Einschränkungen vollkommen der Partei und deren jeweiliger „Generallinie“ untergeordnet sind. Der Vortragende wies aber auch auf die Bedrohung der Grundrechte und deren Garantien in der westlichen Welt hin. — Bundesverfassungsrichter J. F e d e r e r (Karlsruhe) zeigte in seinem Beitrag zu einer Arbeitsgemeinschaft die grundrechtlichen Bestimmungen in verschiedenen Verfassungen auf. Prof. H. Mos Ter (Heidelberg) stellte den „Wandel des Völkerrechts im-19. und 20. Jahrhundert“ dar, und Altbundeskanzler Dr. Kurt S chus chnigg (derzeit Universitätsprofessor in den USA) insbesondere den „Beitrag der Vereinigten Staaten zum Völkerrecht“. Schließlich .befaßten sich Senatspräsident Prof. W. G ei g er (Karlsruhe) und Prof. F. Ermacora (Innsbruck) in eingehenden und; kritischen Darlegungen mit der-„Durchsetzung der Grundrechte in der Rechtsprechung“ der Deutschen Bundesrepublik beziehungsweise Oesterreichs.

Eine Reihe anderer Vortragender und Diskussionsredner entrollte nun aber das Bild der inneren Problematik des Naturrechts, die hinter der positiven Gesetzgebung steht. Selbst wenn man das Bestehen eines Naturrechts — ob es in positiven Gesetzen festgelegt ist oder nicht — und damit eigentlicher Gerechtigkeit im Rechtsleben anerkennt, erheben sich vielerlei Fragen. Diesen wurde nun — und das gehörte zu den ertragreichsten und kennzeichnendsten Stunden der ersten Hochschulwoche — von verschiedenen Gesichtspunkten, Gebieten und Stellungnahmen her zu Leibe gerückt. Philosophen und Theologen, Rechtswissenschaftler und Rechtspraktiker versuchten in Vorträgen, Referaten und lebhaften Diskussionen die Fragen zu klären und einander und den Fragestellern aus dem Publikum Rede und Antwort zu stehen.

Eine der größten Schwierigkeiten für die Naturrechtstheorien ist die Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Entwicklung, den Gegensätzen, den „Seitensprüngen“, der „Dialektik“ der Naturrechts auffassungen (wie sie von Prof. E. F e c h n e r, Tübingen — dem bekannten Verfechter der Lehre1 vom „dynamischen Naturrecht“ —, Prof. H. E. H.inderks, Belfast, Prof. van der Ven, Utrecht, und anderen hervorgehoben wurden). Führt uns die Einsicht in diese Geschichtlichkeit nicht zum Relativismus? Ist es anderseits nicht fraglich, inwiefern wir Naturrecht, insbesondere die* obersten naturrechtlichen Prinzipien, durch die geschichtlichen, etwa auch die religiös und theologisch geprägten Formen der Naturrechtsauffassungen hindurch, wirklich gültig erfassen können? Was besonders eindringlich Professor K. Peters (Münster) zu bedenken gab mit der weiteren Folgerung, es sei den Auffassungen und Ueberzeugungen Andersdenkender im Geiste christlicher Brüderlichkeit und somit Toleranz zu begegnen.

Diesen Fragen und Fragwürdigkeiten kann man wohl nur auf systematisch-philosophischem Wege befriedigend entgegentreten, wie dies etwa Prof. P. I. B e t s c h a r t OSB. (Salzburg), Prof. H. Going (Frankfurt), Prof. S. Rehrl (Salzburg) und andere taten. Besonders stachen die umfassend fundierten und durchdachten Ausführungen von Prof. J. Fuchs SJ. (Rom) hervor, die den für Juristen so peinlichen Dualismus von Sittlichkeit und Naturrecht einerseits, anderseits von Naturrecht und positivem Recht als bloß scheinbar — meines Erachtens mit guten Gründen — erwiesen. (Gewisse Sittlichkeitsgebiete hätten einen sozialen „Rechtsaspekt“, und das wäre das Naturrecht, anderseits habe die positive Gesetzgebung das Naturrecht bloß wirksam zu machen, zu determinieren — Recht sei also einheitlich.) Kurz, aber einleuchtend, wies in einer Arbeitsgemeinschaft auch Prof. P. A. A u e r OSB. (Salzburg) auf die Begründbarkeit, weil Sinnhaftigkeit des Naturrechtes, ausgehend vom Sinn des Menschseins, hin.

Außer dem Gebiete der Naturrechtsproblematik kamen in dieser Woche noch manche andere Rechtsprobleme zur Sprache, die wir in diesem Bericht nur noch in aller Kürze aufzählen können. Prof. G. Söhngen (München) sprach über „Theologie des Rechtes“ (besser gesagt: über Beziehungen zwischen theologischem und rechtlichem Denken) — also über selten beachtete Aspekte. Prof. A. Adams (Paderborn) in rhetorisch und ideell glänzender Form über „Philosophische und rechtliche Positionen“ (wobei allerdings einige Formulierungen von Mißverständnissen bedroht waren, etwa wenn er sich so ausdrückte, daß es kein Naturrecht, losgelöst von theologischen Positionen, gebe, das hieße also bloß zum Beispiel entweder christliches oder islamisches Naturrecht). Eine Arbeitsgemeinschaft befaßte sich mit der „christlichen Lehre von der Erlösung und ihrer idealistischen und marxistischen Säkularisierung“, eine andere mit der „Ermächtigung und Verpflichtung des Christen zur Teilnahme am politischen Leben“ (an welcher unter anderen der Vizepräsident des Deutschen Bundestages in Bonn, Dr. Richard J a e g e r, als einer der Referenten teilnahm).

Am Sonntag, dem 10. August, fand nach dem Festgottesdienst in der herrlichen Kollegienkirche Fischer von Erlachs ein Festakt in der Aula Academica statt, bei welchem Bundesminister Dr. D r i m m e 1 eine Festrede über die Bedeutung Oesterreichs und Salzburgs für den Gedanken der europäischen Einheit hielt und abschließend Erzbischof Dr. Rohracher ausführlich über den Stand der Bestrebungen zur Errichtung der Albertus-Magnus-Universität in Salzburg berichtete.

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