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Recht und Richter als Mitte und Maß

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Das Menschengeschlecht steht heute vor einem Entweder — Oder: Die eine Alternative heißt Vernichtung und Chaos, die andere Kommunikation und Kosmos. Als animal metaphisicum, sociale et politicum kommuniziert der Mensch in verschiedenen Medien. Rene Marcic untersucht in „Mensch, Recht, Kosmos“ vor allem das Medium des Rechts. Er behandelt dabei das Thema weniger systematisch als essayistisch. Dadurch wird die Darstellung bildhaft — lebendig, zum Denken und Diskutieren herausfordernd.

Das Problem der Kommunikation wird nach Marcic immer mehr ein Problem des Rechts; immer schon constans und constituens der menschlichen Gemeinschaft, hat das Recht heute immer mehr Funktionen im nationalen und internationalen Leben zu übernehmen, insbesondere jeden Machtstreit in einen Rechtsstreit zu verwandeln, zu rationalisieren und zu humanisieren. „Das Recht als geordnetes Ringen um die Macht ist die einzig denkbare und brauchbare Alternative zum ungeordneten Austrag kraft Gewalt.. “ Das Recht soll daher als Grund und Mitte der menschlichen Existenz wiedererkannt werden.

Die Verfassungsgerichtsbarkeit und die obligatorische internationale Gerichtsbarkeit sind nach Marcic in dem Maße die Mitte des Gegenwartsstaates und der Weltgemeinschaft, wie sie die Grundwerte, zu denen alle Menschen sich bekennen, von Rechts wegen sichern. Sie sind die Brennpunkte, die solche Grundwerte auf sich sammeln: Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit.

Bei der Betrachtung des Rechtes geht Marcic von einem empirisch-kritischen Realismus aus. Dabei wird von ihm vorausgesetzt, daß die Welt wirklich, geordnet und für den Menschen — zumindest stückhaft — erkennbar ist. Auf Grund dieser Ausgangsposition reflektiert er über den Menschen im Universum und in der Gemeinschaft und kommt zu dem Ergebnis, daß die Menschenwürde —

eine Folge des Ranges des Menschen im All sowie seiner Freiheit — das Zentrum bildet, auf das sich jede Gemeinschaft, insbesondere der Staat, zu konzentrieren hat. Dabei fordere die Menschenwürde nicht nur Schutz vor dem Staat und durch den Staat, sondern auch Mitwir-kungsmöglichkeiten für den einzelnen an der Gestaltung der Gemeinschaftsordnung.

Marcic betrachtet das Recht vom Menschen her, betont aber, daß der Grund des Rechtes nicht im Wesen des Menschen liegt. Das Recht ist nicht vom Menschen abhängig; weder Vernunft noch Wille noch überhaupt die Natur des Menschen sind der Grund des Rechts. Der erste Grund des Rechts ist aber auch nicht der Wille oder die Vernunft Gottes. Geltungsgrund des Rechts ist vielmehr die Ordnung des Seienden im Ganzen, die Seinsordnung als solche. Dabei ist das Sein keine „Tarnkappe für Gott“. Gott ist mehr und anders als das Sein und alles Seiende. Das Recht gründet nicht in einem Subjekt, das Recht kommt vom objektiven Sein her. Der Grund des Rechts ist die Natur der Sache, der ordo rerum, der apriorische Sachformen enthält.

Die Welt als das Seiende im Ganzen ist nach einer Grundverfassung geordnet, die Natur genannt wird. „Nach dieser Verfassung: mediante natura, wird das Weltall normiert. Diese Natur, die Grundverfassung, ist der Herkunftsboden des Rechts.“ Es ist in seinem Grund und Wesen Sein, nicht Sollen, doch kommen seine Normen — seine „Maßstäbe“ — auf den Menschen in der Gestalt des Sollens zu. „Das Recht ist Sein, obwohl es in der Gestalt des Sollens dem Menschen entgegentritt.“ Das Recht ist selbständig, eigenständig, unabhängig von Ethik und Moral. Diese sind subjektiv gefügt, jenes ist eine durch und durch objektiv gefügte Ordnung, „seinsnäher“ und „seinsurwüchsiger“ als Ethik und Moral. Es ist — wie Marcic in seinem Werk „Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat“ ausführt — das Primitive im Sinne des Primären: Ethik und Moral sind das Sekundäre im Sinne des Sublimeren, s'nd das viel höhere, feinere Geflecht, in ihrer Subjektivität fragiler.

Naturrecht (Seinsrecht) — eine Emanation der Seiinsordnung — und positives Recht sind nicht zwei wesensverschiedene Systeme, sondern bilden eine Einheit, innerhalb deren eine Rangordnung in der Weise besteht, daß die ranghöhere Norm „kräftiger“ ist als die rangniedrigere und infolgedessen jene diese verdrängt. Das bedeutet, daß ein naturrechtswidriges Gesetz des Staates rechtsungültig ist. Es können daher nur naturrechtsgemäße Normen positiven Rechtes gelten. Das positive Recht leitet seine Geltung vom Seinsrecht (Naturrecht) ab, wobei diese Ableitung im Wege der con-clusio oder im Wege der positiven

Bestimmung von etwas Unbestimmtem erfolgt. Das positive Recht ist außerdem dadurch naturrechtlich legitimiert, daß der Mensch außerstande ist, das Seinsrecht voll und sicher zu erkennen Das positive Recht ist daher als Ergänzung zum Zwecke der Sicherung des sozialen Friedens notwendig.

Für Marcic, den Verdross den ge-treuesten Interpreten Heideggers nennt, ist also charakteristisch, daß er den ontologischen Grund des Rechts herausstellt. Er begründet das Recht nicht theistisch. Er versucht vielmehr immer wieder, „die Eigenstruktur des Rechts im Lichte der Ontologie freizulegen und die Gefahr eines Monismus im Lichte der Theologie abzuwehren, zugleich jeglichem pantheistischen Irrweg auszuweichen“.

Marcic weist sich als Denker aus, der den Mut zur Utopie hat. Die Utopie aber erscheint in seiner Sicht glaubhaft, real. Er kritisiert nicht die Wirklichkeit von heute, es geht ihm um den Entwurf der Wirklichkeit von morgen. Aus einer Schau des abendländischen und morgenländischen Denkens entwickelt er konstituierende Elemente zum Ziel „Einheit der Menschheit“. Er entdeckt die Strukturverwandtschaft der Gegenwart mit der Antike — die Signalwerte „kosmisches Zeitalter“ und „Panjurismus“ werden angegeben —, was ihn zur Frage nach dem Naturrecht zurückführt. Das Problem des Naturrechtes wird als das des wesentlichen Einheitsgrundes herausgestellt. Die Merkmale der Natur des Menschen versammeln sioh in seiner Würde. Aus der Tatsache, daß jeder Mensch als Einzelmensch die vollkommenste Realität ist und Höchstrang im sichtbaren Seinsge-füge genießt, erschließt sich die Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen. Marcic registriert den Wettstreit der Menschheit in Sachen der Humanität. Er hebt die Ansätze zur Einheit des Menschengeschlechts hervor — etwa Völkerbund, UNO, die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Enzykliken der Päpste — und fordert eine internationale und unabhängige akademische Forschungsstätte für Menschenrechte, die in Wien ihren Sitz haben soll. Die Stunde für die Kodifikation eines Weltrechtsgesetzes habe geschlagen: Als Ziel sieht Marcic die Institution eines Weltgerichts für Menschenrechte, da erst dann das Naturrecht tatsächlich in den Alltag der Menschen vordringen kann. So wie die Utopie von gestern, die Verfassüngsgerichtsbarkeit, Effektivität erlangt habe, werde ein solches Weltgericht — die Utopie von heute — die Wirklichkeit von morgen sein. Aus den „Anträgen“ Marcic* könnte ein neues Konzept der Mitte und des Maßes abgleitet werden, das sicherlich menehher wäre als jenes der komo'iti+'ven Koexistenz.

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