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Urnorm des Menschseins

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Renėe Marcic, der wohl prä-gendste Rechtsphilosoph der österreichischen Nachkriegszeit, kam vor zehn Jahren, am 2. Oktober 1971, bei einem Flugzeugab-

sturz über Belgien ums Leben, als er von einem Studiensemester in Sydney (Australien) nach Salzburg zurückkehren wollte.

Die Wiederkehr des zehnten Todestages nahm sein Nachfolger am Salzburger Institut für Rechtsphilosophie, Univ.-Prof. Ilmar Tammelo, zum Anlaß, vom 5. bis 8. Oktober ein Gedächtnissymposium zu veranstalten. „Das Naturrechtsdenken für das Heute und das Morgen" - so der Titel des Symposiums — gestaltete sich zu einem massiven Auftritt naturrechtlichen Gedankenguts.

Renėe Marcic, am 13. März 1919 in Wien geboren, studierte in Agram Rechts- und Staatswissenschaften und kam nach dem Zweiten Weltkrieg nach Salzburg: Hier gelang es ihm, in einzigartiger Weise wissenschaftliche und journalistische Arbeit widerspruchsfrei miteinander zu verbinden. Insbesondere leistete er mit der den „Salzburger Nachrichten" beigelegten vierzehntätigen Schrift „Der Staatsbürger" zum einen und als jahrelanger Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten" zum anderen einen wesentlichen Beitrag zur (Rechts-)Berichterstattunginder Nachkriegszeit.

Marcic war auch wesentlicher Promotor der Wiedererrichtung der Salzburger Universität. Dieses Ziel erreichte er 1964. Seine Lehrbefugnis umfaßte Allgemeine Staatslehre, Verfassungsrecht, Rechtsphilosophie, Politikwissenschaft und Publizistik.

Als Denker und Rechtsphilosoph, der sich selbst als „kritischer Naturrechtler" bezeichnete, versuchte Marcic die menschliche Existenz in ihrem Urgrund zu erfassen und rückte insbesondere die soziale Dimension des Menschsein verstanden als gleichwertige, von Menschenwürde geprägte InterSubjektivität.

Im Gegensatz zu rechtspositivi-stischen Standpunkten suchte Marcic eine inhaltliche Begründung der Rechtsordnung und kam hier eben auf die Menschenwürde als „materiale Urnorm": „Jeder Mensch soll vom Menschen als Mensch anerkannt und auch als solcher behandelt werden." Marcic behauptete hier, ein Prinzip von der Art der Menschenwürde sei nicht unmittelbar wissenschaftlich beweisbar. Lediglich aus seiner Negation könne es abgeleitet werden.

Versuch einer Ontologie

Die Tendenz der Vorträge und Diskussionen der rund 40 Wissenschafter aus aller Welt war dahingehend, sowohl Ansätze eines dogmatischen Positivismus als auch eines absolutistischen Begründungsdenkens im Naturrechtsbereich aufzulösen. Das Eintreten der soziologischen Ver-f aßtheit von Recht kam besonders deutlich bei Univ.-Prof. Ota Weinberger (Graz) in seinem Beitrag „Die Naturrechtskonzeption von Ronald Dworkin" sowie bei Univ.-Prof. Werner Krawietz (Münster) zum Ausdruck, der Recht als Strukturierung von Systemen darstellt.

Der Salzburger Univ.-Doz. Helmut Schreiner lieferte eine mustergültige Analyse des Naturrechtsansatzes von Marcic und deckte deren aktuelle Bedeutung auf. Durch eine Analyse zeitgenössischer Wissenschaftstheorie und -geschichte versuchte Michael Fischer (Salzburg) die Möglichkeit einer Neuformulierung naturrechtlicher Probleme aufzuweisen. Seine Verbindlichkeit sei heute nicht mehr eine Frage absoluten Begründungsdenkens, sondern zunächst eine existentielle und persönliche Entscheidung, in einer moralisch und rechtlich verfaßten Gemeinschaft zu leben.

Univ.-Prof. Wolfgang Waldstein (Salzburg) lieferte eine hervorragende begriffsgeschichtli-chę Durchleuchtung des „Naturrechts bei den klassischen römischen Juristen", während der Göttinger Univ.-Prof. Christoph Link die naturrechtlichen Grundlagen des Grundrechtsdenkens kulturgeschichtlich analysierte.

In bekannter rhetorischer und fachlicher Brillianz zeigte der Salzburger Privatrechtsdogmati-ker Univ.-Prof. Theo Mayer-Ma-ly die natürlichen Rechtsgrundsätze als Teil des geltenden österreichischen Rechts, vor allem an Hand des Paragraphen 7 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) und des Kundmachungspatents zum ABGB auf. In interessanter Weise skizzierte der Nürnberger Univ.-Prof. Wilhelm Beyer, daß nach 1945 nur zwei umfassende Versuche einer Ontologie unternommen wurden: von Sartre und von Marcic.

Und der auf dem Symposium vieldiskutierte Ansatz von Marcic läßt groß zusammenfassend schließen, daß Naturrecht die Grundlage der sozialen Ordnung expliziert und so eine konstruktiv-rationale, weil kritisierbare Theorie ist.

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