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Heute geht es um die Selbstbestimmung

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Um die Dynamik des Eigentumsbegriffs innerhalb der katholischen Sozialdoktrin einigermaßen zu überblicken, wird es nötig sein, die grundlegenden Argumentationsweisen aufzuzeigen, die in der Tradition im Vordergrund stehen. Vor allem geht es um zwei Argumentationsweisen, die völlig verschieden sind, so daß zwischen ihnen eine Spannung entsteht, welche die geschichtliche Dynamik der Lehre im Zusammenhang mit dem ständigen Wandel der gesellschaftlichen Situation ermöglicht. Nennen wir die erste Argumentationsweise eine negative, die zweite eine positive.

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Um die Dynamik des Eigentumsbegriffs innerhalb der katholischen Sozialdoktrin einigermaßen zu überblicken, wird es nötig sein, die grundlegenden Argumentationsweisen aufzuzeigen, die in der Tradition im Vordergrund stehen. Vor allem geht es um zwei Argumentationsweisen, die völlig verschieden sind, so daß zwischen ihnen eine Spannung entsteht, welche die geschichtliche Dynamik der Lehre im Zusammenhang mit dem ständigen Wandel der gesellschaftlichen Situation ermöglicht. Nennen wir die erste Argumentationsweise eine negative, die zweite eine positive.

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Die erste Argumentationsweise der katholischen Sozialdoktrin hinsichtlich des Eigentumsbegriffs geht in ihren Wurzeln auf die Patristik zurück und erhielt ihre erste ge-schichtsmäßige Ausformung bei Thomas von Aquin. Der alte Gedankengang ist folgender: Substantiell sind alle materiellen Güter Eigentum Gottes, der sie den Menschen zum optimalen Gebrauch gibt. Die Frage nach dem auf das Gemeinwohl bezogenen optimalen Gebrauch führt in die Differenz von Nutzen (usus) und Verwaltung und Verfügung (potestas procurandi et dispensandi). Hinsichtlich ihrer Nutzung bleiben die materiellen Güter prinzipiell in Gemeinwohlbewandtnis. Hinsichtlich des Verwaltungs- und Verfügungsrechtes sollen sie als Eigentum (proprium) einzelner Personen betrachtet werden, da angesichts des Eigennutzes, der Faulheit und der Streitsucht der Menschen nur so der gemeinwohlbezogene optimale Gebrauch im Hinblick auf die Nutzung gewährleistet werden kann. Indem man also gewissermaßen das Eigeninteresse und das Gemeinwohlinteresse hinterein-anderschaltet, macht man den Bock (den Eigennutz) zum Gärtner (des Gemeinwohls), so daß das Gemeinwohl nicht ständig abhängt von der jeweiligen Moralität der einzelnen Gesellschaftsglieder. Das Eigentumsrecht als Verwaltungs- und Verfügungsrecht ist jedoch kein absolutes Recht, sondern bleibt hinsichtlich der Nutzung gemeinwohlbezogen, womit ein entscheidender Gegensatz zur Doktrin des Liberalismus gegeben ist. Die Begründung des Eigentumsrechtes ist in dieser Argumentation offenbar eine negative. Das Eigentumsrecht gründet nicht in der Vollkommenheit, sondern gerade in der (erbsündigen) Unvollkommen-heit des Menschen. Im zum Gärtner gemachten Bock werkt die Kon-kupiszenz.

In dieser Argumentation folgt also das Eigentumsrecht nicht als primäres Naturrecht aus dem Wesen des Menschen, vielmehr ist das primäre Naturrecht indifferent gegenüber jeder bestimmten Eigentumsordnung (secundum ius naturale non est distinctio possessionum). Das Eigentumsrecht im dargelegten limitierten Sinne des Privateigentums ergibt sich also erst im sekundären, angewandten, auf die faktische Unvoll-kommenheit des Menschen bezoge-

nen Naturrecht und steht so in dem, was Thomas das ius gentium nennt. Die private Eigentumsordnung ist also, so gesehen, ein angesichts der faktischen Unvollkommenheit der Menschen vom Gemeinwohl her gefordertes Organisationsprinzip. Im Paradies gäbe es kein Privateigentum. L. Wirz formuliert das so: „Wenn wir fest darauf vertrauen könnten, daß jeder einzelne sein Bestes zum gemeinsamen Ziele, zur Bedarfsdeckung aller, beitragen würde, dann brauchten wir an eine private Eigentumsordnung nicht zu denken.“

Die kirchliche Sozialdoktrin kennt jedoch auch eine positive Argumentationsweise, die seit dem Beginn der Neuzeit immer deutlicher zur Sprache kam und sich mit der ersten verschränkte. Schon F. Suarez weist darauf hin, selbst im Paradies dürfe niemandem das Erarbeitete gerechterweise genommen werden, da es ihm ja gehöre. Die Grundtendenz der zweiten Argumentationsweise ist folgende: Da der Mensch leibhaftig inkarnierter, freier Geist ist, ergibt sich von seinem personalen Wesen her das Recht, seiner Freiheit in den materiellen Gütern Ausdruck zu geben, indem diese Güter sein Eigentum werden. Daß Arbeit in diesem Sinn Rechtsgrund von Eigentum ist, wußte Suarez schon lange vor Locke. In dieser Argumentation wird das Eigentumsrecht nicht aus der Unvollkommenheit, sondern gerade aus der spezifischen Vollkommenheit des Menschen abgeleitet; Eigentum ist damit „Dasein der Freiheit“ (Hegel). Seit Rerum novarum (Leo XIII.) ist diese Argumentationsweise ein integrierendes Moment aller mit dem Thema befaßten kirchlichen Lehrdokumente; Gaudium et spes (Vaticanum II) spricht in diesem Sinne vom Privateigentum „als einer Art von Verlängerung der menschlichen Freiheit“ (71). Da nun diese Argumentation ganz offensichtlich vom Wesen des Menschen als solchem her ausgeht, steht sie ihrem Geltungsanspruch nach prinzipiell im primären Naturrecht und nicht erst im sekundären (angewandten).

Stehen nun die beiden Argumentationsweisen zueinander im Widerspruch? Bezeichnend ist, daß beide seit Rerum novarum in den Texten koexistieren. Die Sozialdoktrin selbst sieht also zwischen beiden keinen Widerspruch. Aber wie sind beide zu vereinbaren?

Zunächst ist ein mögliches Mißverständnis zu klären. Die zweite Argumentationsweise nimmt zwar ein wichtiges Moment auf, das sie mit der Doktrin des Liberalismus gemeinsam hat, eben die Ableitung des privaten Eigentumsrechtes aus der Freiheit. Sie widerspricht aber auch der liberalistischen Argumentation in entscheidender Weise; denn im Sinne der klassischen Naturrechtslehre ist der Mensch als Freiheit zugleich und wesentlich auf Gemeinwohl bezogene Sozialnatur, so daß das aus der leibhaftigen Freiheit abgeleitete Eigentumsrecht der individuellen Person niemals aus dem normativen Sinnbezug des Gemeinwohls herausfällt. Daraus ergibt sich nicht nur eine strikte, moralische Gemeinwohlverpflichtung des privaten Eigentümers, sondern auch das Recht und die Pflicht des Staates und der Verbände, an der konkreten, gemeinwohlbezogenen Eigentumsordnung mitzuwirken. Damit kommt der Wirtschafts- und Sozialpolitik ein völlig anderer Stellenwert zu als innerhalb der liberalistisch-kapitali-stischen Doktrin. Damit steht die Eigentumsordnung auch in der zweiten Argumentationsweise in der permanenten, dynamischen Notwendigkeit, den Aspekt eigenverantwortlicher Selbstbestimmung (Freiheit) und den der Gemeinwohlverwirkli-chung so auszupendeln, daß beide Aspekte in einem situationskonformen modus vivendi realisiert sind. Darin liegt nicht nur die entscheidende Differenz zum Liberalismus (Kapitalismus), der in der Eigentumsordnung den Freiheitsaspekt

absolut setzt und die Gemeinwohlverwirklichung dem Zufall (bzw. dem Markt) überläßt, sondern auch zum Sozialmus (Marxismus), der seiner Tendenz nach den Gemeinwohlaspekt verabsolutiert und die Freiheit nur als subsumierte Freiheit denken kann. Das Subsidiaritäts-prinzip (Quadragesimo anno) und das alte ständische Prinzip wollen im Grunde immer diesen Sachverhalt ausdrücken. Jeder Mensch hat prinzipiell und schlechthin Anspruch auf Gemeinwohl nur noch eine Subsump-Freiheit und von individuellen Bestimmungen her gibt es verschiedene und in ihrer Verschiedenheit gerade nicht antagonistische Weisen der Gemeinwohlintegration. In der regulativen Idee des Marxismus, der klassenlosen Gesellschaft, ist das Gemeinwohl nur noch ein Subsum-tionsallgemeines hinsichtlich der Freiheiten. In der katholischen Sozialdoktrin ist dagegen das Gemeinwohl eine analoge Sinnfülle vieler, verschiedener, nicht antagonistischer Weisen der Integration. Und völlig in diesem Kontext, der das innerste Lehrgut der katholischen Sozialdoktrin ausdrückt, steht auch die Eigentumsproblematik.

Vielleicht könnte man die beiden Argumentationsweisen ihrer Akzentuierung nach unterscheiden und aufeinander beziehen. Die erste (negative) Argumentationsweise hat vor allem das privatwirtschaftliche Verfügen über die Produktionsmittel als gesamtwirtschaftliches Organdsa-tionsprinzip zum Gemeinwohlzweck der Bedarfsdeckung (usus) im Auge. Die zweite das private Eigentum als

konkrete Realisierung und „Verlängerung“ jeindividueller Freiheit. Die Wertigkeit beider Aspekte ist unterschiedlich; der erste steht im sekundären Naturrecht und ist insofern völlig von der Situationsgegebenheit abhängig. Der zweite Aspekt gründet im primären Naturrecht, leitet sich also unmittelbar vom Wesen des Menschen her ab und hat insofern eine wesentlich höhere Valenz. Sozialethisch ergibt sich aus der Be-zogenheit beider aufeinander für das Eigentumsproblem folgende Tendenz: Die einzelne Person soll Eigentum erwerben können; die Forderung nach Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, in der Hand des einzelnen Arbeitnehmers und nicht nur der Arbeitnehmerorganisation, tendiert in diese Richtung.

Das primäre Ziel dieser Tendenz ist jedoch gerade nicht (wie im ersten Aspekt) ein gesamtwirtschaftliches Organisationsprinzip, sondern vielmehr die freie, persönliche Realisierung des Menschen, die Verlängerung und Konkretisierung seiner Freiheit im Medium seines verfügbaren Eigentums, die möglichst unabhängige Möglichkeit, eigenverantwortlich, vorsorgend, zukunftsge-staltend zu wirken, wobei die Einbindung des Menschen in die Familie besonders zu betonen ist. Die Alternative zu dieser Tendenz ist der Mensch, der im Netz einer möglichst lückenlosen öffentlichen Versorgung Gefangener einer herrschenden Bürokratie ist. Man sollte diese beiden Aspekte genau unterscheiden. Für eine privatwirtschaftliche Gesamtordnung der Wirtschaft als Organisationsprinzip der optimalen Bedarfsdeckung sprechen andere Gründe auf einer anderen Argumentationsebene als für die Forderung nach Privateigentum als realisierender, freisetzender, jedem Menschen ein Medium der Selbstbestimmung verleihender „Verlängerung der menschlichen Freiheit“.

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