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Ernst Jünger

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An der Krankheit unserer Zeit versuchen sich viele Ärzte. Philosophen und Schriftsteller aller Länder und Lager haben sich seit langem daranbegeben, der Krise unserer Kultur und unseres Menschentums, die mindestens europäisches Ausmaß besitzt, bis in eine mögliche Tiefe nachzuspüren. Sie sprechen vom «Unbehagen in der Kultur (Freud), vom «Verlust der Mitte“ (Sedlmayr), von der „Biologischen Revolte“ (Paneth), von der „Weltangst" (Nebel), vom «Beschädigten Leben“ (Adorno), vom Menschen als «utopischem Wesen“ (Ortega), vom Zwischenzeitalter (Koestler) oder von der „Geworfenheit“ (Heidegger). Auch Ernst Jünger, seit einiger Zeit das Problem des Nihilismus umkreisend, rechnet sich zu den Seelenärzten, die von dem ham- letischen Wissen erfüllt sind: Die Zeit ist aus den Fugen.

Zahlreich sind die Bücher und Abhandlungen über Jünger. Karl O. Paetel hat in seinem Jünger-Buch das meiste bis 1948 bibliographisch erfaßt. Seither ist viel Neues über Jünger veröffentlicht worden, und es ist überraschend, daß weder Paetels wohlgesinnte Darstellung noch die von ihm zitierten Stimmen von Freund und Feind uns noch das recht zu treffen scheinen, worauf es uns bei einer Betrachtung der zweifellos interessanten und in ihrer Art bewegenden Persönlichkeit Jüngers heute in erster Linie ankommen muß.

Nicht der Somme- und Flandemkämpfer, der oft verwundete Pour-le-merite-Träger Ernst Jünger, dessen männliche Verdienste unangetastet bleiben sollten, nicht der Schriftsteller, der sich seit den „Stahlgewittern“, seit «Wäldchen 125“ oder seit dem «Arbeiter wandelte, wie auch andere sich wandelten, steht hier zur Diskussion. Auch nicht jene bis zum Überdruß erörterte Frage, ob Jünger durch seine früheren Schriften zu den geistigen Schrittmachern oder gar Scharfmachern des Dritten Reiches gehört habe oder ob er, der an der Verschwörung Niekisch teilgehabt und durch seine „Gärten und Straßen" das Mißtrauen der Machthaber erweckt hat, als vielleicht später Gegner des Nazismus gelten dürfe. Das sind, nach so vielen Jahren, müßige Fragen. Hier stehe einzig zur Debatte Ernst Jünger, wie er sich uns heute präsentiert, der Verfasser der Nihilismusschriften, die seine Einsicht in die Zeit widerspiegeln. Wir wollen wissen, ob bei ihm jene Kenntnis der Krise vorhanden ist, die viele besitzen.

Es geht nicht um Beachtung oder Schätzung an sich, die Jünger als Schriftsteller verdient, sondern es geht um das Maß von Beachtung und Schätzung, um gerechtfertigte oder ungerechtfertigte Ansprüche; Ideen haben schließlich nur für uns Wert, wenn sie dem Bilde unserer Wirklichkeit entsprechen. Daran ändert auch die Einsicht nichts, daß alle menschlichen Unternehmungen zuletzt utopisch sind. Wenn wir das intellektuelle Leben nicht mehr in Beziehung setzen zum lebendigen, wirklichen Dasein, verlieren wir uns in einen romantischen Ästhetizismus, der außer seiner Unverbindlichkeit noch die Gefahr der Vergötzung von Ideen und ihrer Träger mit sich bringt. Das aber würde eine Ablenkung von wirklich wichtigen Gedanken und Überlegungen bedeuten. Unsere Krise liegt nicht in einer eingebildeten Ideenwelt, sondern in unserer Lebenswirklichkeit. „Jede In - sich - selbst - Versenkung ist nur Planen der künftigen Aktion", sagt Ortega y Gasset. Das eben meint nichts weiter, als daß Ideen wertlos sind, wenn ihnen keine konkrete Weltzuwendung folgen kann. Wir müssendie Aktivität des Gedankens fordern. Denken ist Finden, nicht bloß Erfinden.

Jünger besitzt Ideen; Ideen, die ihm wiederum Jünger zugeführt haben: Gerhard Nebel, Jürgen Rausch, um die nächsten zu nennen. Sie und andere spielen mit des Meisters Lieblingsvokabeln (Weltgeist, Schmerz, Nihilismus oder Leviathan) wie mit hübschen bunten Bällen. An ihnen wird deutlich, daß die Verführung stärker aus der Form und aus der Sprache denn aus der Idee kommt. Wir sagen absichtlich: Verführung und nicht Führung. So wurde Nebel, von Jünger schon in den „Strahlungen“ hoch gelobt, in seinem anmaßenden Etappentagebuch «Unter Partisanen und Kreuzfahrern“ zu bedenken- und bedingungsloser Form- und Wortgefolgschaft überredet. Jürgen Rausch, der sich eingehend mit Jüngers «Optik" befaßt hat, entglitt in seinen „Nachtwanderungen“ in Kafkasche Dunkelheiten, ohne Kafkas Tiefe auch nur entfernt zu erreichen.

Ist es nicht verwunderlich, daß sich die Kritik kaum je an eine S t i 1 k r i t i k Jüngers herangewagt hat? Und doch liegt vielleicht da gerade oder gar einzig da der Kem der Suggestion? Man sollte einmal ein paar Seiten Nietzsche lesen und sich dann Jüngers Stil zuwenden. Das Sprachbild Nietzsches formte sich, angemessen den eruptiven Ideen, glühend vor innerer Leidenschaft. Jüngers Sprache leuchtet zuweilen auch, aber sie hat keine Wärme, geschweige denn Glut. Sie gleicht dem Elmsfeuer, das versprüht, ohne zu zünden. Sie besitzt nicht den wannen Schein echten Goldes, sondern den beunruhigend-kalten, irritierenden Schimmer des Quecksilbers. Der «Sternpilot“, der «Mann im Mond“, schätzt das lunarische Licht. Vergleichbar den Neonröhren, strahlt Jüngers Sprache technisches Kaltlicfat aus. Durch alle Filter des Intellekts getrieben, ist sie ausgeblutet. Hinter Glanzfassaden spürt man wie bei Filmfronten die stützende Technik. Man sieht, wie es «gemacht“ wird. Was Jünger in den «Strahlungen" am Stil eines Franzosen feststellt, kann man auf ihn selber anwenden: «Eine Art von Metallismus, von technischer Pracht und Sicherheit. Es herrscht ein schmerzloser Stil, wie etwa auf einem schönen, schnellen und menschenleeren Schiffe, auf dem statt der Elektrizität Bewußtsein den Antrieb liefert." Der literarische Ornamentiker Jünger ist sich der Macht des von ihm gepflegten «Stile image", dieses intellektuellen Stils, der den Leser zugleich blenden und demütigen soll, wohl bewußt. Jürgen Rausch untersucht in einer ehrerbietigen Schrift, „Ernst Jüngers Optik“ (1950), die besondere „Stereoskopie seines Meisters, als deren Zentrum er das Bemühen um eine Zusammenschau der Gegensätze Objekt und Wunder, Realität und Traum erkennt. Rausch verkennt, daß dies mit Optik nichts zu tun hat, sondern das Ergebnis einer Wesens- und Bewußtseinsspaltung ist, die eine Zusammenschau immer vereitelt. An sich ahnt ja auch Rausch etwas von solcher Wesensspaltung, ohne ihren Inhalt richtig zu deuten. Es handelt sich um den unbewußten Konflikt zwischen Ich und erträumter Sendung, wo das Ich zwangsläufig die Oberhand behält, denn die Quellen aller Unstimmigkeiten liegen bei Jünger an den unbewußten Wurzeln der Persönlichkeit. Wenn er auch in den «Afrikanischen Spielen“ anmerkt: «Das Feld, auf dem wir uns zu schlagen haben, ist mit geometrischer Schärfe abgesteckt; es gibt hier kein Ausweichen“, so straft er sich selber Lügen, denn für ihn gibt es ein Ausweichen. Zuflucht, Ausfluch und geheime Wunscherfüllung heißen. Form und Sprache, Virtuosentum. Darom auch die fortwährende ängstlich-gespannte, nervöse Selbstbespiegelung, diese« irritierende Sichtarnen mit immer prächtiger bestickten Sprachmänteln, die Flucht auch ins Abstrakte und Allegorische wie in „Marmorklippen“ oder „Heliopolis" (aber nicht nur dort), das Ausbrechen in die Tagebuchform, die hemmungslose Selbstbeschau am großzügigsten gestattet. In dieser Hinsicht schon ist Jünger ein typischer Repräsentant unseres feuilleto- nistischen Zeitalters, um mit Hermann Hesse zu reden, das zugleich auch das Zeitalter der Fragmente, des Hin- und Halbgesagten, Vieldeutigen und Vieldeutbaren ist, redselig und arm an wirklicher Tätigkeit.

Niemand wird leugnen, daß Jünger eine Menge eindrucksvoller Beobachtungen und literarisch treffende Formulierungen gelungen sind; aber am ganzen Opus gemessen darf man wohl auch von ihm sagen, was er selber über die Prosa Huxleys bemerkt: Huxleys Prosa „gleicht einem Netze dünn ausgesponnener Glasfilamente, in dem vereinzelt schöne Fische gefangen sind“. Welche intensiven Stimmungen strahlen dagegen etwa Kafkas Aufzeichnungen ausi Das Weltbild des unruhevollen Fragestellers Jünger hat sich mit den wechselnden Ansichten der Jahre vielfältig gewandelt, doch erscheint es unzweckmäßig, in diesem Zusammenhänge Konfrontierungen vorzunehmen. Uns kann nur das „neue“ Weltbild Jüngers interessieren, mit anderen Worten, seine Nihilismustheorie, die am reinsten in den Schriften „Uber die Linie“ und „Der Waldgang ausgesprochen wird. Jünger befindet sich nach eigener Aussage mit seiner Nihilismustheorie im Bezirk des „Unvermessenen", da schon eine befriedigende Definition des Nihilismus ihre Schwierigkeiten hat. Die Kampfstellung des Leviathan ist gut getarnt, wie es scheint! Jünger meint: „daß in der Welt der Tatsachen der -Nihilismus sich den letzten Zielen annähert. Nur war beim Eintritt in seine Zone der Kopf bereits gefährdet, der Leib dagegen noch in Sicherheit. Nun ist es umgekehrt. Das Haupt ist jenseits der Linie". Im „Waldgang" überschreitet Jünger aus eigener Kraft (oder im Schlepptau des Heidegger- schen Existentialismus?) den magischen Nullmeridian. Der Schweizer Ludwig Paneth kam zu einem entgegengesetzten Urteil, das angesichts der realen Entwicklung der Welt überzeugender erscheint; auch er erkennt die Grenzlinie, aber für ihn liegt nur noch ganz wenig „menschen- seits“, das meiste bereits unterhalb der Linie, sich rapide einer „pubertären Menschengrenze nähernd. Wie unzuverlässig bei Jünger selber die Peilung schwankt, kennzeichnet seine Bemerkung, „daß bei hinreichender Kraft des Geistes weder zum Optimismus noch zur Verzweiflung Anlaß gegeben sei". Gerhard Nebel sieht gar in Heidegger und Jünger die „beiden Rammblöcke, die dazu verhelfen, zur objektiven Transzendenz durchzubrechen'. Rammblöcke? Das ist es ja: trotz aller philosophischen Voll- und Vieltönigkeit geschieht eben kein Durchstoß, sondern nur dichtere Vernebelung. Man stelle nur die dunstige „Religionsphilosophie“ Jüngers den praktisch diskutierbaren Untersuchen Kütemeyers in „Die Krankheit Europas" gegenüber, und man wird den Unterschied erkennen. Welche Abwehr gegenüber dem Nihilismus empfiehlt Jünger unserer Generation? Keine. Er wendet sich gar nicht an eine Gemeinschaft irgendwelcher Art; er sieht — zwangsläufig — immer nur das Individuum, den Individualisten, das Ich. Er rüstet mit seinen Verhaltensweisen lediglich den Einzelgänger aus. „Die eigene Brust: das ist das Zentrum der Wüsten- und Trümmerwelt.“ Das ist wahrlich keine neue Erkenntnis („Ungefähr sagt das der Pfarrer auch“, heißt's im „Faust"). Wir brauchen etwas, was sich an die Menschen wendet — ja, an die Menschen! —, die im „Zentrum des Nihilismus“ leben (das „jetzt und hier“ vermutlich gar nicht oder nicht mehr die eigene Brust ist). Ist die Beschäftigung mit dem Nihilismus bloß ein amüsanter Flirt der Intellektuellen (dann wäre der ganze Leviathanrummel recht uninteressant), oder geht der Nihilismus auch den Bauern an, den Arbeiter, die .Jugend? Wenn ja, dann hätten die Wissenden die Pflicht, zu Menschen menschlich zu sprechen, wenn sie helfen wollen. Wer sich aber in den Elfenbeinturm zurückzieht, in die leidlich gesicherten Bunker unnahbarer Geistigkeit, kann keine Hilfe leisten. Die Leitsätze des Feldzugsplans des zur Freiheit berufenen Individuums im „Waldgang“ (Hallo — hier Sartre!), des „Freien", des letzten Endes von der Gesellschaft Geächteten, eine erdichtete Elitefigur echt Jüngerscher Prägung, haben keinerlei Wert für eine allgemeine Therapie. Alles bleibt ästhetische Vision. Jünger ist zum Idylliker des Nihilismus geworden, in dem er sich nicht ohne Behagen als Heldenspieler interessant macht.

Wer wollte verkennen, daß Jünger Schwingungen der kranken Zeit aufgenommen und registriert hat. Er ist mit solcher seismographischen Empfindlichkeit nicht der erste und einzige; aber seinen Feststellungen und Empfehlungen eignet ein durchaus privater, quietistischer Zug.

Wer in intellektuellen Scheinwelten, in Illusionen beheimatet ist — im „Waldgang“ weht heidnische Islandluft (oder sind wir etwa unversehens .wieder im „Wäldchen 125"?) —, vermag kaum bedrohte Lebenswerte zu retten. Das Ergebnis der Substanzprüfung der Jüngersehen Prophetie kann nur diese sein: sie stellt nur eine der vielen magischen Verführungen dar, denen unsere Zeit so willig und hilflos erliegt. Was Jünger zu sagen weiß, reicht nicht hin, eine echte Gemeinde zu begründen. Wohl reicht es zu einer Pseudo-Mystik oder Sektenbildung, und die scheint im Augenblick noch fortzuschreiten, wenn auch wohl der Zweifel am Propheten nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. „Ein Erwählter ist ein Mensch, den Gott in die Enge treibt“, sagt Sartre…

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