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Uberwindung des Nihilismus

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Wer sich anschickt, den Nihilismus zu überwinden, muß wissen, daß Nihilismus, — nach der Definition eines seiner besten Diagnostiker — weder das Chaos, noch das Kranke, noch das Böse ist. Wohl aher bedeutet Nihilismus die Entwertung der höchsten Werte, mit welcher die Unfähigkeit Hand in Hand geht, andere Werte an die Stelle der preisgegebenen zu setzen. Wo dieser Tiefpunkt überschritten ist, zeigen sich neue Möglichkeiten. Ja, bereits die richtige Diagnose des Nihilismus, wie sie etwa in einem der letzten Werke Gottfried Benns vollzogen wird („Doppelleben“), gehört zur Voraussetzung seiner Überwindung, ist aber freilich noch nicht jener Schritt „über die Linie“, den Ernst Jünger getan hat.

Mit dem Problem des Nihilismus beschäftigen sich zwei Abhandlungen in der „Orientierung, Katholische Blätter für weltanschauliche Information“ unter dem Titel „Der absurde Mensch“ und „Überwindung des Nihilismus?“ Als Exponenten des Nihilismus treten uns bedeutende Männer entgegen, deren Haltung aus der Not der Gegenwart verständlich wird. Es sind die Menschen ohne Hoffnung, denen sich der Christ wegen der Ehrlichkeit ihres Suchens und Bemühens trotz aller Gegnerschaft zutiefst verbunden fühlen muß. „Die Zahl der Hoffnungslosen wächst. Aber es ist nicht die Hoffnungslosigkeit der Schwachen, der Verzweifelten, sondern gerade jene der Tapfersten, die sich der ganzen Tragik ihres Standpunktes bewußt sind, und aus dieser Tragik heraus nicht nur reden, sondern handeln. Denn trotz ihrer Hoffnungslosigkeit wollen sie den Kampf um den Menschen nicht aufgeben. Und darum werden sie von einem großen Teil der Jugend verehrt.“ Wohl erscheint für sie jegliche religiöse Lösung unmöglich, trotzdem aber wollen sie nicht auf das Heil verzichten. Nach Andre Mal-r a u x handelt es sich um das Problem, ob in unserem alten Europa der Mensch tot ist oder nicht. „Ich denke unermüdlich an das, was der Faszination des Nichts standhalten könnte.“ In seinem Werk „La Psychologie de l'Art“ betont Malraux stärker als jemals die Beziehung des Menschen zum Heiligen. Im 13. Jahrhundert sei ein christlicher Bildhauer ein Christ gewesen, der Statuen machte, aber auch ein Bildhauer, der in die Kirche ging. Er sieht in der Kunst des hohen Mittelalters die Bejahung des Menschen durch das, was ihn überragt oder — zerstört.

Eine ähnliche Haltung zeigt auch Albert Camus: „Wir stehen vor dem Bösen, und es ist wahr, ich fühle mich vor dem Christentum' etwa wie dieser Augustinus, der sagte: Ich suchte, woher das Böse kommt, aber ich fand es nicht. Aber es ist auch wahr, daß ich mit einigen anderen weiß, was man machen muß, um das Böse, wenn nicht zu verkleinern, so doch um ihm nichts mehr hinzuzufügen.“ Wohl kennt Camus keinen religiösen Glauben und anerkennt keine Ideologie, doch besitzt er „ein Streben nach Wahrheit, das Vergessen der eigenen Person, das Gefühl für menschliche Größe.“ Gerechtigkeit und Freiheit sind ihm das Höchste — und er handelt danach. In seinem Roman „Le Mythe de Sisyphe“ sagt Camus: „Sisyphus ist der absurde Held. Wenn dieser Mythos tragisch ist, dann deshalb, weil sein Held um die Aussichtslosigkeit und Erbärmlichkeit weiß. Wo wäre denn sonst Tragik, wenn die Hoffnung ihn erfüllte?“ Immer wieder ist es die Hoffnungslosigkeit, der sich Camus zwar hingibt, aber nicht um ihr zu erliegen, sondern um sie zum Ausgangspunkt dessen zu machen, was Malraux den tragischen Humanismus nennt: jenen Humanismus, der sich seiner Tragik bewußt ist und sie sogar bejaht. Trotzdem Camus zur Kirche keine Beziehungen hat, ist er — und darin unterscheidet sich der moderne Nihilismus von der Religionsfeindlichkeit breiter intellektueller Kreise noch vor etwa fünfzig Jahren — kein Feind des Christenturas. Camus meint, man solle es nicht nur einem Sokrates überlassen, verbotene Wahrheiten sagen: „Wenn die Christen sich dazu entschließen könnten, würden Millionen Stimmen sich vereinen mit dem Schrei einiger weniger Einsamer, die ohne Unterlaß für die Kinder und für die Menschen bitten.“ Als das Positive dieser Haltung kann, neben ihrer absoluten Illusions-losigkeit und Ehrlichkeit, die Anerkennung der menschlichen Person angesehen werden, die von den „totalen Nihilisten“, etwa vom Typus eines Gottfried Benn, in Frage gestellt, ja völlig geleugnet wird. Bei Benn ist selbst die Frage nach dem Glauben sinnlos, denn er hat sich, wie Reinhold Schneider einmal ausführte, „an einen Ort begeben, wo diese Frage gar nicht aufgeworfen werden kann, da Glaube ja die Person veraussetzen würde.“ Zur Charakteristik dieses Menschenbildes, das David Hume aufgestellt hat, schrieb Hans Pfeil: „Der Mensch ist keine Substanz, die Bewußtseinserlebnisse hat, sondern nur die bloße Summe der einzelnen und jeweils verhandenen Bewußtseinsvorkommnisse ohne eine realsubstantielle Grundlage; er ist ein assoziativ verknüpftes und beständig sich veränderndes Bündel von Bewußtseinsvorkommnissen.“

Die Position Ernst Jüngers bedeutet insofern einen Fortschritt, als die Integrität und Verantwortlichkeit der menschlichen Person nicht in Frage gestellt wird. Ihre Vernichtung, wo sie erfolgt, wird leidend empfunden. Dann aber schlägt das Thema um, zum Widerstand: „Es stellt eich die Frage, wie der Mensch im Angesicht der Vernichtung im nihilistischen Soge bestehen kann. Das ist die Wendung, in der wir begriffen sind; es ist das Anliegen unserer Literatur. Das läßt sich mit zahlreichen Namen belegen — wie, um einige herauszugreifen, mit denen von Wolfe, Faulkner, Malraux, T. E. Lawrence, Rene Quinton, Bernanos, Hemingway, Saint-Exupery. Kafka, Spengler, Benn, Montherlant und Graham Greene. Gemeinsam ist ihnen allen das Experimentelle, das Provisorische der Haltung und die Kenntnis der gefährlichen Lage, der großen Bedrohung; das sind zwei Daten, die über Sprachen, Völker und Reiche hinweg den Stil bestimmen — denn daß ein solcher bestehe und nicht nur in der Technik lebe, darüber kann kein Zweifel sein “

Auch der Weg Jüngers, wie er im Friedensmanifest, in den „Strahlungen“ und in der Abhandlung „über die Linie“ zu verfolgen ist, hat besondere, weil exemplarische Bedeutung: „Ehe ich mit der ganzen Person und ohne jede Einschränkung mich über den Strom der Zeit zu anderen Ufern wage, müssen kunstreiche geistig Brückenschläge, muß eine subtile Pionierarbeit vorausführen. Schöner wäre gewiß die Gnade, doch entspricht sie nicht der Lage und nicht dem Stande, in dem ich bin. Das hat wohl seinen Sinn; ich ahne, daß ich gerade durch meine Arbeit, durch meine Bögen, deren jeden das Widerspiel des Zweifels von Grund auf festigt und tragbar macht — daß ich gerade durch diese Arbeit gar manchen zum guten Ufer mitgeleiten kann. Ein anderer kann vielleicht fliegen oder er führt, die ihm vertrauen, zu Fuß über das Wasser an der Hand, doch scheint es. daß solche das Aon nicht gebiert.“ An diesem Satz schließt die „Orientierung“ die Feststellung, daß sich darin die Begrenzung einer Sendung ausdrücke, die es Jünger nur gestattet, bis in den Grenzbereich eines Landes zu gelangen, das gleichwohl vor seinen Augen ausgebreitet daliegt.

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