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Abenteuer des Geistes

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Kein deutscher Schriftsteller stand seit 1945 so im Kreuzfeuer der Meinungen wie Ernst Jünger. Sein zugleich komplexes und vielschichtiges' Werk bietet breite Angriffsflächeni die Haltung des Autors, der die Parteien ignoriert und sich auch zu keiner „Weltanschauung“ bekennt, wirkt herausfordernd. Jünger stellt nicht nur Fragen, sondern er stellt durch seine Existenz vieles in Frage, zum Beispiel einen Großteil der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur. Das schafft bekanntlich nicht nur Freunde. Daher ist es zweckmäßig, die Kritiker Jüngers kritisch zu betrachten und abzuwägen, ob ihr Standort, von dem aus sie Jünger angreifen, dem Objekt angemessen ist. Da die Auseinandersetzungen mit Jünger fast ausnahmslos polemischen Charakter tragen (als Beispiel sei an den unfairen Angriff Peter de Mendelssohns im „Monat“, II. Jahrgang, 14. Heft, erinnert), werden auch seine Verteidiger polemisch. Jünger selbst liebt die Polemik nicht und meidet sie, gemäß seinem Ausspruch: „Durch jede polemische Bemerkung, die man zurückhält, sammelt man einen Verdienst, und das um so mehr, je mehr an Geist sie enthielt.“ Dagegen nimmt er das Recht in Anspruch, sich zu wandeln, ohne auch nur eines seiner früheren Bücher zu verleugnen. (Aus einem Brief Jüngers: „Uberhaupt muß ich meine Leser bitten, meine Autorschaft als Ganzes zu nehmen, in dem zwar Epochen, nicht aber Widersprüche zu unterscheiden sind. Ich möchte nicht zu jenen Zahllosen gehören, die heute nicht mehr an das erinnert werden wollen, was sie gestern gewesen sind ... Ich darf in Anspruch nehmen, daß ich, obwohl ich im Lande blieb, mich weithin den Tyrannen gezeigt habe .... Es leuchtet ein, daß das gerade den Intelligenzen, die versagten, ein Dorn im Auge ist...“). Ein Dorn im Auge ist er auch dem Durchschnittsdeutschen, der gewohnt ist, sich nur gruppenweise zu ändern und dem individuelle Positionen unsympathisch, zumindest nicht geheuer sind. Jünger dagegen, dessen Weg der eines selbständig denkenden Deutschen vom Patrioten zum Europäer ist, meint, man könne sich heutzutage nicht in Gesellschaft um Deutschland bemühen, man müsse es einsam tun wie ein Mensch, der mit seinem Buschmesser im Urwald Breschen schlägt und den nur die Hoffnung erhält, daß irgendwo im Dickicht andere an der gleichen Arbeit sind.

Zu diesen, die durch die Objektivität ihres Tuns miteinander zu einer neuen, höchst zeitgemäßen Bruderschaft verbunden sind, zählt auch Jüngers Verteidiger Karl O. Paetel. Jahrgang 1906, kommt er aus der Jugendbewegung, war in der Deutschen Freischar tätig, deren Zeitschriften er leitete, mußte als Sozialist 1935 aus Deutschland fliehen, lernte die Emigration in der Tschechoslowakei, in Skandinavien und den USA kennen und gibt drüben einen vor allem für Deutschamerikaner bestimmten Informationsdienst, „Deutsche Gegenwart“, heraus, in dem er seit 1945 mutig für Deutschland eintrat und die These von der „inneren Emigration“ verfocht. Als eine ihrer kräftigsten Stützen erschienen dem Autor Jünger und sein Werk, für die er auch in dem vorliegenden Buch temperamentvoll eintritt. Paetel gibt auf Grund seiner umfassenden Kenntnis der Jünger-Literatur, einschließlich der Artikel in Zeitungen und Zeitschriften (deren Verzeichnis am Ende des Buches etwa 20 Seiten füllt), auch zahlreiche Stimmen anti Jünger wieder, und wir finden hier sämtliche bekannte Schlagworte: vom Aristokraten des Nihilismus, den der Nationalsozialismus beim blutigen Wort genommen habe; vom Schrittmacher der getarnten Reaktion; von dem in sein Laboratorium gebannten kalten Alchimisten der Sprache und seinen kalten, kristallischen Stilpräparaten ... Paetel hebt auch hervor, daß sich an dem Gespräch mit Jünger fast ausschließlich gläubige Katholiken und Protestanten beteiligt haben, während aus anderen „Lagern“ die Gegen-Stimmen kamen. Da der Biograph den Autor persönlich gut kennt, ist auch das Zeugnis wertvoll, daß Jünger, obwohl seine Schreibweise sehr persönlich ist (einen großen Teil seines Opus bilden bekanntlich tagebuchartige Aufzeichnungen), von jeder Eitelkeit und von persönlichem Ehrgeiz frei ist; dies zeigt sich vor allem in der Abneigung Jüngers, nach bekannten Vorbildern einen „Kreis“ zu bilden.

Ein gedankenreiches, von gründlicher Kenntnis des Jüngerschen Werkes zeugendes Buch ist die Monographie Gerhard Nebels, die in der Art eines „Sentenzenkommentars“ angelegt ist: nach seitenlangen Zitaten aus Jüngers Werken, von den „Stahlgewittern“ bis zu den „Strahlungen“, gibt der Autor ausführliche Erklärungen, welche die einzelnen Phasen von Jüngers Entwicklung erhellen. Obwohl Nebel die Einheit von „Sache“ und „Sprache“ nachdrücklich betont, ist vor allem von ersterer, das heißt vom Gehalt die Rede, der unter „metaphysischem Gesichtspunkt“ interpretiert wird. — Im Rahmen einer gedrängten Besprechung können nur einige der Hauptanliegen Nebels angedeutet werden. Etwa die Widerlegung der These von Jüngers Nihilismus und die metaphysische Deutung von Jüngers Kriegserlebnis; die Definition Jüngers als einer „Gestalt und Quelle des Mutes“ auf „krypto-christlichem“ Grund und seiner „Ritterlichkeit“ im Gegensatz zum Feindhaß und der Grausamkeit des ideologischen Parteigängers und Partisanen; die Charakterisierung seiner Werke als „Ketten und Kränze eines entzückten und heiteren Erstaunens, das wie von einem Jenseits herkommt“ ; Jüngers Einschätzung der Technik als ein Index, an dem sich seine Ferne oder Nähe zum Religiösen ablesen lasse (daher sieht Nebel im „Arbeiter“, der ihm zu preußisch, zu sehr Kiefernwald und Generalstab ist und bei dessen Niederschrift Jünger seinem besten Teil Gewalt angetan habe, einen Tiefpunkt seiner metaphysischen Entwicklung, dagegen in den „Marmorklippen“ den Ansatz zu einem neuen „theologischen Roman“); schließlich die Entwicklung des Jüngerschen Stils vom „ Allerweltsdeutsch und manchmal schauerlichen Bombast“ — Tribut an den Expressionismus! — der Kriegsbücher über die „helle und nervige Prosa“ des „Arbeiters“ bis zu dem an Heilsstrahlen reichen Stil der letzten Tagebücher. Eine Zeittafel stellt die Bücher und Aufsätze Jüngers neben die in Buchform erschienene Literatur über ihn, vermerkt die Reisen und nennt die wichtigsten Lebensstationen. — Daß Jüngers Büdier, in denen nicht nur der Leser nicht geschont wird, und daß Nebels kräftig nach allen Seiten ausfallender Kommentar im Druck erscheinen konnten, spricht für die Großzügigkeit der alliierten Zensur in Westdeutschland.

Dr. H. A. Fiechtner

Studenten, Liebe, Tscheka und Tod. Von

Alexandra Rachmanowa. Verlag Anton Pustet, 447 Seiten.

Dieses 1931 erschienene Buch präsentiert 'sich jetzt, nach zwanzig Jahren, als Neuauflage (124. bis 128. Tausend) und wirkt durchaus aktuell. Es ist in Tagebuchform geschrieben, stützt sich vielleicht auch auf wüküche Tagebücher, und schildert das Aufblühen einer jungen russischen Provinzstudentin und deren Untergang im Strudel der Bolschewikenrevolution. Der Wert des Buches Hegt nicht in der Charakterzeichnung: die handelnden Personen, selbst die Eltern der Heldin und diese selbst, gewinnen kein Fleisch und Blut, wohl aber einige mit zwei, drei Sätzen um-rissene Nebenfiguren. Dagegen ist die Milieuschilderung, der weiblichen Begabung entsprechend, so gut, daß man sie nicht mehr vergißt, wobei eine Fülle von Einzelheiten ganz offensichtlich aus dem Leben gegriffen würde. Der Wert des Buches ist also ein dokumentarischer, und dieses Dokument ist grausig genug. Durch das gewaltige Hintergrundsgeschehen von Krieg, Revolution und Bürgerkrieg erhält das Ganze einen epischen Zug: ein Epos der entfesselten bösen Leidenschaften, in denen eine Kultur selbstmörderisch zugrunde geht. Interessant, wie manche Züge der russischen Katastrophe sich in der deutschen Katastrophe wiederholt haben, so zum Beispiel wie die Leute auf den Bahnstationen sich in behaglicher Ruhe die jammervollen Flüchtlingszüge betrachten, ohne daran zu denken, daß auch sie bald drankommen könnten. Wörtlidi dasselbe erzählte mir eine deutsche Flüchtlingsfrau 1945: „Die Leute, bei denen man übernachtete, ließen sich alles erzählen, aber auf den Gedanken, daß auch sie selber flüchten müßten, ja, daß es für viele schon hohe Zeit war, schienen sie gar nicht zu kommen.“ Sicher, eine russische Revolution ist noch furchtbarer als eine französische! Puschkin schreibt einmal fast neidisch von der Pariser Julirevolution 1830: „... wo nach drei Tagen die neue Verwaltung bis zum letzten Konzipienten fix und fertig dasitzt und funktioniert.“ Und weiter schreibt er in seiner Gesdiichte des Pugatschoffschen Aufstandes: „Gott schütze uns davor, eine russische Revolution mit Augen zu sehen!“ Denn er kannte seine Landsleute. Hier hat ein junges Mädchen das alles ansehen müssen, und daraus wurde das Buch.

Das Haus der Erde. Von Pearl S. B u c k. Romantrilogie (Gesdhenkausgabe in einem Band). Paul-Zsolnay-Verlag, Wien. 1085 Seiten

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