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Geschliffene Dunkelheit

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Die Zeit ist vorüber, da man Ernst Jünger entweder als Autor der „Stahlgewitter“ und „Feuer und Blut“ zum Wegbereiter eines nihilistischen Militarismus stempelte, zum Aufbau deutscher Aggression im Zweiten Weltkrieg; oder im Gegenteil den Jünger von „Auf den Marmorklippen“ und „Gärten und Straßen“ als Künder latenten, aber doch unüberhörbaren Widerstandes gegen ebendieselbe Schreckensherrschaft pries, für deren Vorbereiter er von anderen gehalten wurde.

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Die Zeit ist vorüber, da man Ernst Jünger entweder als Autor der „Stahlgewitter“ und „Feuer und Blut“ zum Wegbereiter eines nihilistischen Militarismus stempelte, zum Aufbau deutscher Aggression im Zweiten Weltkrieg; oder im Gegenteil den Jünger von „Auf den Marmorklippen“ und „Gärten und Straßen“ als Künder latenten, aber doch unüberhörbaren Widerstandes gegen ebendieselbe Schreckensherrschaft pries, für deren Vorbereiter er von anderen gehalten wurde.

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Seither hat sich in zahlreichen Werken ein neuer Jünger profiliert, ein Jünger, der nicht mehr im Kampf ums Dasein des schönen Raubtiers Mensch, also im Krieg die sinngemäße Lebensform, die ultima ratio sieht, oder im Rausch des Nichts und des Untergangs, der, „wenn ein fliegender Mensch als brennende Fackel zur Erde stürzt“, sein ästhetisches Erlebnis hat. In der pubertären Untergangs-Vergottung dieses Nietzsche-Jüngers stecken aber viele Keime des späteren Werkes. Genauer ausgedrückt: die Begriffe des Todes, des Chaos, des Nichts, aber auch die immer bewußter erlebte gegenständliche Welt werden bei dem frühen nihilistischen, wie bei dem späten abendländisch-humanistischen Jünger immer wieder umkreist.

Für den frühen Jünger war der Tod Anlaß zur Steigerung des Lebensgefühls, die mit dem Sterben in der Schlacht geradezu gesuchte enge Tuchfühlung war geeignet, den Menschen im Rang zu erhöhen, ihn zu heroisieren. Der Krieg ist es, der diese Steigerung, diese Aufwertung des Lebens vermag, er ist darum das Leben selbst, seine höchste Verwirklichung: „Leben heißt töten“, lautete dazu die Kurzformel des frühen Jünger. Der späte Jünger, etwa in dem 1974 erschienenen Essayband „Zahlen und Götter — Philemon und Baucis“, urteilt anders: „Der Tod läßt sich als Schatten des Lebens betrachten, dem er nur in der Erscheinung Abbruch leistet; er heftet sich an Vorhandenes.“ Kein Wort mehr von einer Aufwertung des Lebens, des Menschen als Existenz, durch den Tod, im Gegenteil: bei der mythischen Todesverwandlung von Philemon und Baucis in Bäume vermerkt Jünger: „Das ist mehr als ein Gewinn an Dauer: sie können verehrt werden.“ War ehedem nur das Leben ein Wert, so wird es hier der Tod, der nicht nur das Leben, sondern das Weiterleben nach dem Tode steigert. Jünger läßt hiezu in diesem Werk eine andere Möglichkeit offen: früher Verfechter einer dar-winistischen Immanenz, hat er seine Wandlung etwa in diesem Satz dokumentiert: „Man mag an Unsterblichkeit glauben oder mag gie leugnen — jedenfalls widerspricht sie nicht der Vorstellung.“

Das ist eine Wendung, die sich, wenn man genau hinhört, schon „Auf den Marmorklippen“ vorbereitet. Hier setzt Jünger der ursprünglichen Todesverachtung, der „Ignorierung“ des Todes oder seiner Dienstbarmachung für eine Erhöhung des Lebens ein anderes, bisher nicht in seinem Gewicht erkanntes Urphähomen des Menschen entgegen: die Angst. Die Gefahr wird nicht mehr geliebt und aufgesucht, sie wird als Gefährdung der Existenz erlebt und erlitten, als Gefährdung durch eine zur Diktatur ausgeartete Technokratie, die Jünger in seinem „Arbeiter“ ursprünglich unter positiven Vorzeichen sah. In dieser Gefährdung wendet sich die Welt des Arbeiters selbstzerstörerisch gegen ihn selbst.

Das Nichts ist in den Frühwerken der große Rahmen, aus dem das Leben hervorgeht und in den es zurücksinkt, ein Leben, in dem sich der Arbeiter die Welt Untertan macht, um dann wieder in das Nichts einzutauchen. Leben heißt Verwirklichung einer Individualität durch ihre Unterwerfung als Arbeiter unter eine Funktion, der er sich schließlich opfert: „Das tiefste Glück des Menschen besteht darin, daß er geopfert wird ...“ Der spätere Jünger hat diese Hybris als solche erkannt und sich vom Menschenbild des Arbeiters abgesetzt. In dem Essay „Über die Linie“ heißt es, man müsse „Merkzeichen zum praktischen Gebrauch inmitten der nihilistischen Strömungen“ finden, also Wege und Mittel, um den Machthabern der Diktatur und des Terrors als den eigentlichen Wegbereitern und Verfechtern des Nichts entgegenzutreten. Jünger sieht diese Überwindung des Nichts in der Möglichkeit, „daß der Mensch furchtlos wird“. In dieser Möglichkeit liegt für Jünger der Untergang der Diktatoren.

Die Distanzierung vom Nichts ist im Spätwerk noch weiter fortgeschritten. „Der Geist kommt an der Berührung mit dem Nichts nicht vorüber“, heißt es in „Zahlen und Götter“, „er kann sich ihr nicht entziehen, obwohl er zurückschaudert.“ Das Nichts ist nur noch ein notwendiges Übel, dem sich das Sein entgegensetzt, ein Sein in der körperlichen Vitalität des Lebens und im Geiste, um am Ende wieder in das Nichts zurückzusinken, doch nur, um im Sinne von Goethes „Stirb und werde“ im nächsten Menschengeist wieder aufzuerstehen, irb i i * ■. . -

In diesem Vom-Nichts-umdroht-Werden und seinem schließlichen Vergehen im Nichts gibt es für den Menschen dennoch etwas Statisches, Bleibendes, Unangreifbares: die Sprache. Das Werk Jüngers ist aufgebaut auf der Wirksamkeit, auf dem ästhetischen Zauber und auf die Sprengkraft des Wortes. „Wir erkannten im Wort die Zauberklinge“, heißt es in „Auf den Marmorklippen“, „vor deren Strahlen die Tyrannenmacht verblaßt. Dreieinig sind das Wort, die Freiheit und der Geist“. In seinem Essay über Rivarol kündet Jünger von der Sprache „als einer festen Burg“, dem „Kernwerk aller Überlieferung“. Geleistet, kann das nur ..von einer Sprache werde::, die „hellflüssig wird wie Lava“. Dann „springt auch der Quell, in dem Vergangenheit und Zukunft durchsichtig und ungeschieden sind“.

Diese flexible Lebendigkeit der Sprache ist die Vorbedingung ihrer schöpferischen Wirksamkeit. Jünger gebraucht sie als Instrument souverän, er bedient sich ihrer als Meister der Beobachtung, als unbestechlicher Registrator des Lebens, des Daseins, und er bediente sich des Tagebuchs als der hiefür adäquaten Form. Immer wieder ist es die Suggestivkraft von Bildern, die Jünger zur sprachlichen Nachformung anregen, bisweilen allerdings zu einer hochgestochenen, preziösen, die dem Leser selbstgefällig serviert wird. Hier verraten sich an manchen Stellen seines Werkes die Schwächen Jüngers, die oft bis zur unfreiwilligen Komik reichen. So notiert Jünger in den „Strahlungen“, dem Pariser Kriegstagebuch, aus dem besetzten Paris: „Gewogen und gefunden, daß ich sehr abgemagert bin. Jedoch am Bild der Bäume maß ich heute morgen mein geistiges Gewicht.“

p Man hat gegen die „Strahlungen“ eingewandt, daß in diesem Tagebüch Selbstkritik kaum anzutreffen ist. „Zumeist gefällt er sich gut und hat an sich nichts wesentliches auszusetzen“, bemerkt hier Peter de Mendelssohn boshaft. Selbstgefälligkeit und Koketterie mit den eigenen sprachlichen Möglichkeiten ist die Kehrseite einer Mobilität im Wort, und man mag sie auch aus dem Aphorismus herauslesen, in dem Jünger seine Prosa selbst treffend charakterisierte: „Ein Kennzeichen höchsten Stiles ist die geschliffene Dunkelheit. Man gleitet über die Rätsel der Tiefe dahin wie auf Schlittschuhen über einen gefrorenen See.“ *

Zwei Anliegen kann man aus diesem Zitat herauslesen: einmal das einer Bescheidung, die Scheu, an die Rätsel der Tiefe selbst heranzugehen, an ihnen zu rühren. Jünger spricht in diesem Zusammenhang in seinem Essay „Uber die Linie“ vom Denken als einem „Wagnis an den Grenzen des Nichts“, das einerseits einen Freiheitsraum des Menschen schafft und darstellt, anderseits aber sich doch Grenzen setzt.

Dem zweiten Anliegen kann die übelwollende Umschreibung gegeben werden, der Schlittschuhläufer Jünger ziehe sich mit „geschliffener Dunkelheit“ aus einer Affäre, auf die er keine Antwort weiß oder sie nicht geben will. Da er in dieser Situation dem Schweigen die Antwort der „geschliffenen Dunkelheit vorzieht, so mag es sich da auch bisweilen, wie Max Rychner über ihn sagte, um „falsche Perlen, aus Scheintiefen gefischt“ handeln, die da produziert werden.

Aber sind die Antworten derer, die nie um eine Antwort verlegen sind, nicht die billigsten? Ist da die Dunkelheit Jüngers nicht einem mitunter banalem Licht vorzuziehen? Man kann dabei jene barmherzige Dunkelheit in Jüngers Werk ausnehmen, die wirkliche ßlößen bedeckt, oder Leerstellen einer artistischen Wortspielerei aufdeckt. In allen anderen Fällen wirkt Unklarheit noch immer besser als die billigen Klarheiten derer, die sich das Denken ersparen wollen.

Dazu noch ein Satz von Jünger — er steht in dem Aufsatz „Über die Linie“ —: „Jeder, der sichere Rezepte anpreist, zählt entweder zu den Scharlatanen oder zu jenen, die noch nicht bemerken, was die Stunde geschlagen hat.“ Daß dies in Jüngers Werk nicht geschieht, ist sein größter Vorzug.

Die Werke Ernst Jüngers in zehn Bänden sowie zahlreiche seiner Bücher in Einzelausgaben, zuletzt die beiden Essays „Zahlen und Götter“ — „Philemon und Baucis“ sind im Ernst-Klett-V'erlag, Stuttgart, erschienen. Näheres darüber demnächst.

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