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Der Gordische j Knoten

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Ernst Jünger hat ein neues Buch geschrieben: „Der Gordische Knoten“ (Klostermann-Verlag, Frankfurt am Main). Es beschäftigt sich mit dem Thema aller politischen Themen: dem Ost-West-Konflikt, von dem der Autor schon im ersten Satze behauptet, daß er nicht nur eine Begegnung ersten Ranges sei, sondern auch die politische Hauptrichtung, die Achse, die sich nach der Sonnenbahn richtet. Sein Inhalt sei Freiheit und Schicksalszwang. Allerdings liegt es an unserer Optik, daß sich vor allem die Despotie aufdrängt. Wir fühlen die Schwerkraft des Kontinents, hören das Klirren der Ketten vom Kaukasus. Die persischen Könige und ihre Satrapen, die Schahs und Khane, die Anführer unermeßlicher Geschwader und Heersäulen, über denen die fremden Banner aufsteigen: Roßschweife, Drachen, rote Sonnen, Sterne, Sicheln und Halbmonde — es bleibt immer derselbe Schrecken. Mit den schlitzäugig Dunklen, den kleinen, lächelnden Gelben, den pferdehaarigen Reitern, den breitbackigen Riesen, zieht eine andere Sonne auf. Die großen Brände dampfen ihnen als Opferfeuer, das Blut von Massenmorden, der Schrei der Geschändeten, verkündeten die Geburt, den Anbruch ihrer Macht. Dagegen hat das Abendland zu beweisen, daß freier Geist die Welt beherrscht. Und das ist eine Prüfung, die im Opfergang bestanden werden muß. In ihr ist zu beweisen, daß freie Führung Despotien überflügelt, daß freie Kämpfer der Schwerkraft der Massen überlegen sind. Das so geführte Schwert ist geistig. Es ist das Mittel freier, trennender Entscheidung, aber auch herrschender Macht. Auf diesem Schwert, das den Schicksalsknoten scheidet, blinkt Goldglanz; es ist ein Lichtsymbol. Der Gordische Knoten wird als ein Sinnbild der Erdmacht und ihrer Fesseln bei jeder Begegnung zwischen Europa und Asien vorgewiesen und muß immer wieder zertrennt werden. Wir können über Rang und Macht der beiden Partner im Zweifel sein, nicht aber über ihren Altersunterschied. Immer noch hat, wer nach Osten vordringt, das Gefühl, daß er sich zu einem Früheren zurückwendet. Demgegenüber sind europäische Bildung und europäische Freiheit etwas Späteres und Jüngeres.

Diese Auffassung der Freiheit erscheint bei jeder Auseinandersetzung zwischen dem Osten und dem Westen als der wichtigste Unterschied. Das Wort Orient führt zwar den Geist in südöstlicher Richtung, doch liegt nicht nur der Südhang des Kaukasus, sondern liegen auch Städte, wie Astrachan, Moskau, Kiew und Samarkand in orientalischem Glänze. Es gibt aber unter allem Wechsel räumlicher Machtverhältnisse eine unfehlbare Kenntnis des Unterschiedes von Ost und West. Sie hängt eben mit der Wertung der Freiheit zusammen.

Dabei stellt das geistige Element an sich, durch seine Strahlung, eine Waffe dar. Wo dagegen auf dem Gehorsam das Gewicht ruht, wird eine andere Form der Elite sichtbar, die gleichfalls hohen Rang erreicht: die der Leibwache. Allerdings ist es ein sich durch die Zeiten ziehender Irrtum, daß Rittertum auf Gegenseitigkeit beruhen müsse: das Gegenseitige gehört eher seinem Eros als seinem Ethos an. In den letzten Monaten des Krieges hat Hitler nur mit Mühe abgehalten werden können, den Westmächten die Genfer Konvention zu kündigen. Daß aus den japanischen Stellungen kein Widerstand mehr zu erwarten ist, erkennt man nicht daran, daß sich weiße Fahnen oder erhobene Arme zeigen, sondern an der Fliegenwolke, die sie umschwebt.

Heute beginnen sich Osten und Westen die Welt nun zu teilen; der Osten unter der Hegemonie Rußlands, der Westen unter der Amerikas. Doch scheint es fraglich, ob jemals ein Ende, eine Entscheidung, kommen wird. Daraus läßt sich allerdings kein Einwand gegen die Prophezeiung eines WeltStaates ableiten, dessen Notwendigkeit sich immer dringender ankündigt.

Allerdings gibt es auch bei einfachen Menschen die Ueberzeugung, daß das letzte Wort über den Osten noch nicht gesprochen ist. Sie wird geteilt von jenen, die den Osten kennen und meinen, daß alles, was sich bisher zeigte, noch auf der Kruste spiele. Es sei möglich, daß, wenn das Tor sich öffnet, ein Unvergleichliches erscheine.

Der Gordische Knoten ist als Schicksalsfrage aufzufassen; im Alexanderschwert erscheint ein neues Licht, Aufklärung im höheren, sonnenhaften Sinn, Zweifel, geistige Macht. Die Waffen der großen Bezwinger, Herakles Bogen, Perseus Schild und Sigurds Schwert, sind Lichtzeichen.

Soweit Jünger.

Wenn man sich heute anschickt, einen kritischen Bericht über ein neues Jünger-Buch zu schreiben, so muß man gewisse Vorkehrungen treffen. Nach der großen Jünger-Mode des Nachkriegs schlug die öffentlich gemachte Meinung ziemlich gründlich um, und heute fühlt sich bald einer besonders „auf Draht“, wenn er sich von oben herab gegen Jünger ausläßt. Das war in diesen Jahren auch mit anderen großen Namen ähnlich. Schlimm genug, aber nun, wenn eine solche Tendenz einen sachlichen Anhaltspunkt findet. Bei Jünger etwa den, daß ihm gegenüber seinen früheren großen und radikalen Ansätzen schon seit der Krie'gsschrift „Ueber den Frieden“ sowohl in der Wahl wie in der Behandlung der Themen offenbar weniger Originalität eignet. Deshalb kann man aber noch immer nicht ohne Nachteil seine Stellung in der deutschen Geistesgeschichte unseres Jahrhunderts vergessen. Wir wollen uns unsererseits darauf beschränken, unsere Bemerkungen in Thesenform vorzutragen.

1. Die Arbeit definiert (auch mit den angeführten Stellen) ihren Gegenstand, den Osten, keineswegs. Mit einigen poetischen Wendungen wird keine geistige Grundlage sichtbar, auf der das Indien Buddhas und Gandhis, das China Laotses und Kungfutses, das Persien Zarathustras, die Mongolei des Dschinghis-Khan und das Rußland Stalins gemeinsam stehen könnten.

2. Jünger verfällt auch seinerseits, wie so viele seiner Zeitgenossen, jenem Vulgär-Hegelianismus, der eine historische Erscheinung, wie etwa Morgenland und Abendland, einer universalen Idee, wie der Freiheit und der Despotie, zuzuordnen versucht, ohne das universale System Hegels noch im Auge zu haben. Dies führt dann zu dem schwarzweißen Partisanen-Weltbild, in dem auch Jüngers Ritterlichkeit keinen Boden mehr findet.

3. Diese Subsumptionen werden durch die Mängel der vorausgegangenen Unterscheidungen besonders widersprüchlich. Wenn man dem' Osten Chaos, Gewaltherrschaft, Dunkel und Tyrannei zuschreibt, wirkt es nahezu komisch, wenn man eine solche Gegenüberstellung auch auf Indien und China bezieht, die zu gewissen Zeiten eine gesellschaftliche Ordnung, Delikatesse und Gewaltlosigkeit entwickelten, denen gegenüber unser Abendland noch bis zum heutigen Tage barbarisch wirkt. Hatte es denn niemals und nirgends Bedeutung, wenn man sagte, daß aus dem Osten das Licht kommt?

4. Jünger hat offenbar keinen Begriff von jener Zukunftsmöglichkeit des Russentums, die von allem Bolschewismus unabhängig ist, wenn er es mit den großen historischen Abtragungen der indischen und chinesischen Reiche verwechselt, die wirkliches Uralter haben.

5. Der Ost-West-Gegensatz war keineswegs immer die Achse der Weltgeschichte, mindestens wurde sie immer wieder durch die Richtung von Norden nach Süden abgelöst — von den Dorern über die Germanen bis zu den Protestanten.

6. Dieses Vakuum an Originalität bei Jünger schafft dem Leviathan Platz. Wahrscheinlich wird Jüngers Schrift nirgends mehr Befriedigung auslösen als bei den Geheimdiensten aller Seiten Endlich kann man ihn positiv-negativ einordnen.

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