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Philosophisches Denken

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Nicolaus Cusanus. Von K. H. Volkmann. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main. XVII und 190 Seiten. Preis 14.50 DM.

Es ist das unleugbare Verdienst dieser Arbeit, daß sie den großen Kardinal in seiner Stellung im Wendepunkt zwischen scholastischer und moderner Philosophie und im Wendepunkt zwischen Mittelalter und Renaissance herausstellt: gleichzeitig von der Tradition Thomas' von Aquin her und zum neuen Anfang Descartes' und Leibniz' hin (wobei die Gegenüberstellung des Kusaners zu Descartes am Schluß dankenswerte Perspektiven auftut). Aber es ist sehr zu bedauern, daß der Verfasser in seinen Formulierungen und in seinem Stil überhaupt sich geradezu als magisierter Heideggerianer verrät. Diese, zum Großteil unbewußte, Transponierung des Denkens des Kusaners auf die Ebene Heideggers ist dann wohl auch der Grund, daß der Verfasser kaum einen Blick dafür hat, wie der Kusaner der große Erbe der deutschen Mystik ist und wie sehr er in der Tradition der großen „Denker im Gegensatz der Dinge“ steht, wie sie in Heraklit und Augustinus gründet und im Kusaner einen kühnen Höhepunkt erreicht.

*

Der Gott der neuzeitlichen Metaphysik. Von

Walter Schulz. Verlag Günther Neske, Pfullingen. 119 Seiten.

Zwischen Nikolaus von Kues, dem kühnsten christlichen Denker einer „Philosophie der Gegensätze“, und Nietzsche, der eine ebenbürtig kühne hymnische Kosmosophie der Gegensätze, aber radikal antitheistisch, schuf — in der Ebene dieser sachlichen Feind-Freundschaft zwischen dem römischen Kardinal und dem „Antichrist“ bewegt sich diese gute Studie. Sie geht den Weg, den seinerzeit meine Leipziger Vorlesungen „Gott“ (München 1925) einschlugen: in einer scheinbar atheistischen Philosophie der Neuzeit das geheime Gottesbild aufzudecken. So ist es nicht auffallend, daß Schulz am Schluß in das gleiche Resultat vorstößt: diesen verhüllten Gott der neuzeitlichen Philosophie als solchen aufzuhallen, „der sich zwischen den Extremen der Gegensätzlichkeit zu mir und der Einheit mit mir bewegt“ (S. 115). Wenn Schulz dann nach einer Antwort auf diese scheinbare Antinomie fragt, so ist in seiner Frage diese Antwort bereits vorgegeben: in der ari-stotelisch-lateranensischen „Analogie der je immer größeren Unähnlichkeit in noch so großer Aehnlich-

keit“, wie sie die wesensgemäße Ebene zwischen Gott und Kreatur ist (vgl. meine „Analogia entis“, München 1932, und die Abhandlungen im „Archi-vio di filosofia“ von 1956, „Metaphysik, Religion, Analogie“ und „Bild, Gleichnis, Symbol, Mythos-Mysterium, Logos“).

Der Satz vom Grund. Von Martin Heidegger. Verlag Günther Neske, Pfullingen. 211 Seiten.

In diesem „unveränderten Vorlesungstext“ von 1955/56 und einem Vortrag von 1956 gibt Heidegger praktisch eine Neuform jener Studie über das „nihil sine ratione“ Leibniz', die er in der von ihm herausgegebenen Festschrift zum Jubiläum seines (von ihm später radikal verleugneten) Meisters Husserl geschrieben hatte. Frühere und jetzige Studie über jenes Leibnizsche Prinzip, das eine rational optimale Welt grundlegen sollte, sind ein gutes Symbol für Heideggers „Kehre“ (wie Löwith sie nennt): zwischen seiner ersten Periode, in der er vor 1945 Gott ins „Sein des Seienden“ verwandelte, um es nach 1945 wieder zurückzuverwandeln (vgl. mein „In und Gegen“, Nürnberg 1955, S. 55 bis 61). Entsprechend zu dieser Periodik ist nun der „Satz vom Grund“ für Heidegger in der eigentlichen Tiefe „der Zuspruch des Wortes vom Sein“ (S. 209), und es kommt darauf an, daß „man im Lärm“ den „Zuspruch“ nicht „überhört“ (ebenda). Zwar wird „der Grund“ als ratio, Rechenschaft, gedeutet, aber unter „der Raserei des ausschließlich rechnenden Denkens“ kommt es darauf an, daß das „Wesen des Menschen“ als „seine Zugehörigkeit zum Sein“ und darin „das Wesen des Seins“ selbst „das . . . bestürzende ... Denkwürdige“ sei (S. 210 f.). So ist diese neue Fassung der Studie über den „Satz vom Grund“ ganz passend zu jener adventischen Mystik von einer „Kunft des Sein“, die Heideegers neue Periode kennzeichnet. Die adventische „Kunft des Sein“ ist vorweggenommen präsent als „Zuspruch des Wortes vom Sein“ Ein eschatologisches Christentum, das zugleich ein pneumatisches des „Zuspruch“ ist (wie christlich der Heilige Geist „parakletos“ heißt, das heißt der „Zusprechende“), das scheint die neue Botschaft, wenn auch noch so sorgsam verhüllt, des letzten deutschen Philosophen zu sein, der zum „mystischen Magier“ ward.

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