6675491-1961_19_12.jpg
Digital In Arbeit

Evangelium und Erkenntnis

Werbung
Werbung
Werbung

ORIGENES: DAS EVANGELIUM NACH JOHANNES. Übersetzt und eingefühtt von Rolf Gögler. Benziger-Verlag, Einsiedeln 1959. 406 Seiten. Preis S 97.70.

Origenes ist der bestimmende Theologe der christlichen Antike und zugleich der Ursprung aller Spiritualismen. Als bestimmender Theologe (bis heute) ist er der Klassiker einer wahren biblischen Theologie, wie sie auf der objektiven „analogia fidei“ aufruht, das heißt nicht nur auf dem steten Zueinander zwischen Altem und Neuem Testament (im Verhältnis zwischen „Typus“ und „Erfüllung", „Schattenwurf“ und „Leib-Wirk- iichkeit“), sondern auf dem durchgehenden Beziehungsverhältnis zwischen allen, noch so gegensätzlichen Aussagen beider Testamente überhaupt. Vatikanisches Konzil und der Antimodernisteneid betonen darum diese „analogia fidei" als kirchliche Norm. Von ihr streng zu scheiden ist die subjektive „analogia fidei", die Karl Barth und Söhngen der „analogia entis“ des Verfassers entgegenzusetzen unternahmen, als Betonung des Glaubenscharakters einer Erkenntnis Gottes (mehr oder minder im Sinn eines Fideismus). Derselbe Origenes muß aber auch als Vater aller Spiritualismen gelten. Denn sosehr er eine wahre Menschwerdung und Fleischwerdung Gottes betont, so liegt doch für ihn der Akzent auf dem Aufstieg aus der Sphäre des Sinneshaften ins rein Intelligible, aus der zufälligen Realität in die ewige Welt des Logos und des Pneuma. Unüberwunden bleibt in ihm das platonische Schema, wie es in Hegel seine Zuspitzung erfuhr (so daß Hegel als höchster Schüler des Origenes gelten muß): daß sinneshafte Realität Abfall aus dem Geist ist und in den Geist wieder rück- kehren muß. Mitleben mit Christo wird so logosförmiges und pneumaförmiges Leben, das sich kaum noch yon allgemeiner „Vergeistigung“ unterscheidet. In bezug auf die objektive „analogia fidei“ ist Augustinus zum Vollender des Origenes geworden: bis dazu, daß seine Theologie geradezu Schriftmosaik ward — während die spätere hochscholastische und neuscholastische Theologie einzelne „Schrift- steilen“ zum Ansatzpunkt aristotelischer Spekulationen nahm. In bezug auf den Spiritualismus aber ward Origenes der fruchtbare Vater nicht nur spiritueller östlicher Theologie, sondern auch (bis heute) aller westlichen „Verklärungs“- theologien (in allen Liturgismen und Eschatologismen). Der Johannes-Kommentar, den Gögler mit Erzählungen aus den Fragmenten des Origenes vorlegt, ist ein gutes Beispiel des Sichdurchdringens die-serbeidenOrigenes.

VOM SINN DER SELBSTERKENNTNIS. Von Katharina Kanthack. Walter de Gruyter & Co., Berlin. 211 Seiten. Preis 18 DM.

Die Arbeit nennt als den Ort ihrer Entstehung ausdrücklich einen Kreis von Besinnungen, die „von der umstürzenden Fragestellung Martin Heideggers ausgehen“, „dies aber doch in einer Sprache, die auch ein ehrfurchtsvoll Folgender als seine eigene zu sprechen nicht ganz vermeiden kann" (1). In der Gewunden- heit des Stils dieser Sätze, die für das ganze Buch bezeichnend bleibt, offenbart sich das wachsende Problem einer „Heidegger-Gefolgschaft". Es ist keinem aus dieser Gefolgschaft gelungen, eigenständig dem Meister nachzufolgen. Aber es ist auch keinem gelungen, trotz vieler Bemühung, aus dem magischen Zauberkreis des Meisters sich wirklich zu befreien. So schreibt die Verfasserin eine Sprache, die einerseits nicht anders als echt „fraulich“ sein kann, die aber anderseits männliche „Holzwege", als „Holzfäller” im Wald der Sprache, gehen möchte (wie Heidegger im Vorwort zu seinen „Holzwegen" den Ansatz einer Analyse seines Stils macht). So mündet das Buch in eine Definition des Menschen, die im Stil „heideggerisch“ ist, im Inhalt aber gegen Heideggers hart-männliche „Sorge im Besorgen“ die weiblich synthetisierende Formel setzt: „Inständigkeit von Zusammenführung in nichts- auslassender Schonung“ (210).

DIE PHILOSOPHIE IM 20. JAHRHUNDERT. Von Fritz Heinemann. Emst- Klett-Verlag, Stuttgart 1959. 600 Seiten. Preis 34.50 DM.

Der Haupttitel dieses Gemeinschaftswerkes entspricht leider nicht dem, was Fritz Heinemann, der Herausgeber, im Vorwort als Absicht und Sinn des Werkes darlegt: Philosophie überhaupt itt ihrem „Alternieren“ deutlich zu machen, das heißt in ihren „je anderen“ Möglichkeiten. Ein solches Unternehmen hat es mit einer „Philosophie des 20. Jahrhunderts“ nur insofern zu tun, als in diesem Jahrhundert alte, klassische Möglichkeiten, wie Platonismus-Aristotelismus (in all ihren Variationen) ins Ende gehen, um nur eine Sachaporetik oder gar die Apo- retik einer „Sprachanalyse“ übrigzulassen. Gewiß will Heinemann mit seinem Sammelwerk Schicksal und Aufgabe der Philosophie im 20. Jahrhundert sich sowohl aus einer Geschichte der Philosophie wie aus der Sachproblematik der einzelnen philosophischen Disziplinen entwickeln lassen. Aber dafür zeigen die einzelnen Abhandlungen zuwenig Zusammenhang miteinander, so wohlgelungen die meisten in sich selber sind. Es ist sicher ein guter Weg, an Stelle eines „geschlossenen Systems“ die „Grundrichtungen philosophischen Forschens, die unbegrenzt offen sind", aufzuzeigen, wie es von der „Religionsphilosophie’’ (1925) an meine eigene Methode war und ist. Aber hierfür wäre ein, wenngleich dynamisches Strukturprinzip vonnöten gewesen (wie ich hierfür die „Analogie der je immer größeren Unähnlichkeit" in Sein und Denken nahm). So bleibt einzig das Wertvolle der einzelnen Abhandlungen in sich selbst, unabhängig voneinander. Aber auch diese, in sich selbst, verwirklichen allzu wenig die vortreffliche Absicht Heinemanns. So legt sich Duyvendak in seiner Darstellung der chinesischen Philosophie einseitig auf den Typus des; Kung-Tse fest, demgegenüber La.o-Tsc als irrationales Nebenbei erscheint, ja demgegenüber der J Ging, das eigentliche chinesische Urbuch, ganz in den Hintergrund gerät (offenbar durch den westlichen praktischen Rationalismus des Verfassers). Und (unter den sachhaften Abhandlungen) verrät die Arbeit Rintelens über „Wertphilosophie", daß dem Verfasser nur eine unproblematisch lineare „Wertgläubigkeit" liegt, aber nicht eine echte Aporetik des mehr als zweifelhaften Begriffs „Wert", die allein in einem solchen Werk ihren Sinn gehabt hätte.

KARL LÖWITHt GESAMMELTE ABHANDLUNGEN. W.-Kohlhammer-Verlag, Stuttgart. 256 Seiten. Preis 24 DM.

Karl Löwith, der einst präsumtive

Nachfolger Heideggers (ehe Heidegger seine Philosophie zum Nationalismus hin zu interpretieren unternahm), schreibt darum auch in dieser Sammlung die beste Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Meister, indem er ihn jenem Franz Rosen zweig gegenüberstellt, der in seinem „Stern der Erlösung“ eine Renaissance jüdischer Tradition unternahm, aus derselben neuzeitlichen Problematik heraus, wie es auch Heidegger tut. Es ist das Zentralproblem einer neuen Einheit zwischen Philosophie und Theologie, sowohl bei dem „ungläubigen christlichen Theologen" Heidegger (wie Löwith paradox, aber richtig formuliert) wie bei dem echten Theologen Rosenzweig, der altjüdische Theologie Aug zu Auge stellt zu den offenen Fragen der Philosophie von Marx und Nietzsche her. Sosehr Löwith in seiner „Weltgeschichte und Heilsgesdhehen“ (vergleiche Etudes VI1960) sich durch Ernst Troeltsch geformt zeigt, dessen Geschichtssicht er fortsetzt, tiefer doch ist es die Antinomik zwischen Marx und Nietzsche, die ihn geradezu „existentiell“ bewegt, als Antinomik zwischen einem Denken auf der Ebene der „Wirtschaft“ und einem solchen auf der Ebene (apokalyptischer) „Humanität“. Löwith ist gegenüber dem „spiralischen Abstrakti- vismus“ seines Meisters Heidegger der echte Denker im lebendig Konkreten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung