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Auf einen Stern zugehen..

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Elf Tage vor seinem Tod führte mich eine Vortragsreihe über Peking und Tokio in das japanische Kyoto zu einem Philosophengespräch über den Zen-Buddhismus. Es ergab sich wie von selbst, daß dabei das Denken Martin Heideggers zur Sprache kam. Wir schrieben Heidegger eine Karte, auf der der berühmte Nara-Buddha abgebildet war: vollendeter Ausdruck eines bedeutsamen Denkens, das alles unverletzt in seiner Gestalt mit dem inneren Blick des Herzens zu wahren versucht. Das ist Heideggers Wahrheit als „Wahrnis des Seins“.

Ob Heidegger diese Karte erhielt, entzieht sich meiner Kenntnis. Auch weiß ich nicht, ob er die Art und Herkunft seines Denkens so zu erfahren bereit gewesen wäre.

Karl Löwith schrieb über Heidegger ein Buch mit dem Titel: „Denker in dürftiger Zeit“. Die Gedenkartikel zum Tod Martin Heideggers in den Massenmedien haben diesen Titel vielfach bestätigt — nicht nur durch ein Schwelgen in Anekdötchen an der Bahre, sondern auch in Zerrbildern des Menschen und seines Werkes. So war von Existenzphilosophie und Existentialismus die Rede und mit keinem Wort der Titel erwähnt, den er selbst für seinen „Denkversuch“ gewählt hat: das Wort „Fundamentalontologie“. Und nur dieses Wort sagt das Bedeutende und Bewegende dieses Denkens aus.

Mitten in der wissenschaftlichen und technischen Beherrschung der Welt der Erscheinung wagt dieses Denken diese Welt des Menschen vom Sein her radikal in Frage zu stellen. Auf dem Totenacker der Menschheit, aus zwei Weltkriegen und der Drohung eines dritten, auf dem immer stärker schwankenden Krisenboden unserer Existenz wird hier „Sein oder Nicht-Sein“ zur entschiedenen und entscheidenden Hamletfrage einer schon verknöcherten Vernunft, gegen die Heidegger mit der Seinsfrage Stellung nimmt. Wie lächerlich nehmen sich die sich ständig selbst frustrierenden Versuche, die Gesellschaft zu verändern, die im besten Falle nur Symptome beseitigen oder eine Unterschicht zur Oberschicht, also Umschichtung machen und einen schon biologisch verfehlten materialistischen „way of life“ nicht verlassen wollen oder können. Denn nicht um eine Gesellschaftsveränderung geht es in der Zukunft, sondern um Weltveränderung aus dem letzten Grund und Ursprung menschlicher Existenz. Denn was herankommt, ist eine in inständiger polarer Spannung lebende und darin zu gestaltende Welt globaler Einheit. Die Forderung, auf das Sein zu achten, auf diese Stimme zu hören und sich ihr zu öffnen, auf den Urgrund des Seins zu blik-ken, aus dem das Dasein, das heißt: der Mensch in seiner Existenz als Homo humanus, erst seine Wirklichkeit gewinnt und erfährt, ist Heideggers Imperativ einer Denknotwendigkeit für unsere Zeit und Zukunft.

Unsere Existenz ist nach Heidegger, soferne sie als „Eksistenz“ aus allen Dingen der Welt heraussteht, erst in der Lage, einen Horizont zu gewinnen, um das Sein als das tragende Fundament unseres Daseins in den Blick zu bekommen, wenn wir das Sein als aus allen Dingen, die auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnis produziert und konsumiert werden, also aus dieser Produktion und Konsumwelt uns zu einem Verständnishorizont erheben, unser wahres Selbst gegenüber dem kollektiven „Man“ verwirklichen. Dies bedeutet ferner, daß das auf uns Zukommende, also Zeit und Geschichte, nicht berechenbar und aller Futurologie zum Trotz nicht voraussehbar ist, weil es ein nicht rationalisierbares Unverfügbares enthält, das in jedem Leben wie in der Geschichte als Geschick und Schicksal enthalten ist, weil im Grunde der Mensch vom Sein in der Zeit „geschickt“ ist als zeitlich begrenztes geschichtliches Dasein: „Sein zum Tode.“ Heideggers Seinsphilosophie ist demnach eine Schicksalsphilosophie, Philosophie der „Moira“, die den Sinn und Gehalt des Daseins als existentielle geschichtliche „Notwendigkeit“ bestimmt, sicherlich eine Entfaltung des Mythischen, das im Denken der Zeit allenthalben intensiv spürbar ist. Denn auch Wissenschaft und Technik werden heute in einer Art absoluter Schätzung im Bewußtsein des Menschen zum Mythos des 20. Jahrhunderts als solche erlebt, gelebt und in entsprechenden gesellschaftspolitischen Ideologien ausgedrückt. Daß Heidegger diese mythische Grundstimmung in seine Seinsdeutung des menschlichen Daseins vertieft aufgenommen hat, in seiner unübertroffenen Aussagekraft, begründet die hohe Wirkung seines Denkens. Das griechische Wort Mythos heißt Wort, heißt Sprache, in der sich von alters her und von Anfang an der Seinsgehalt der Welt und der Menschen ausgesprochen hat. Auf dieses archaische Sein bezieht sich das Denken Martin Heideggers in seinem Satz „Man weiß und wagt nicht das Andere, das künftig das Eine sein wird, weil es am Anfang unserer Geschichte west, wenngleich unbegründet die Wahrheit des Seins“. — Und doch ist das Sein zum Tode nicht die ganze Wahrheit, die Wahrheit des Ganzen, sondern von dem „Stirb und Werde“ der Daseinserfahrung nur die eine Hälfte: das Werden eines neuen menschlichen Menschen.

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