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Heideggers Schuld

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Victor Farias“ Buch zeigt Martin Heideggerais Wegbereiter der Nationalsozialisten. War der Philosoph „Rassist“? Die Kontroverse könnte das Denken über Ethik erneuern.

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Victor Farias“ Buch zeigt Martin Heideggerais Wegbereiter der Nationalsozialisten. War der Philosoph „Rassist“? Die Kontroverse könnte das Denken über Ethik erneuern.

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Daß sich an Martin Heidegger nicht nur die philosophischen Geister scheiden, hat Tradition. Die offenen und sublimen Wirkungen seines Denkens auf die Philosophie des 20. Jahrhunderts sind so vielschichtig und massiv, daß auch in der Ablehnung die Unumgehbarkeit seines Philosophierens durchscheint. Besonders nachhaltige Spuren hat Heidegger in der französischen Nachkriegsphilosophie hinterlassen, die sich von den frühen Entwürfen eines Jean-Paul Sartre oder Maurice Merleau-Ponty bis zu

Andre Glucksmann und den Hauptrepräsentanten des postmodernen Denkens wie Jean-Francois Lyotard und Jacques Derrida verfolgen lassen.

Gerade deshalb hat das in Frankreich erschienene Buch des in Berlin lebenden chilenischen Sprachwissenschaftlers Victor Farias „Heidegger et le nazisme“ besonders heftiges Aufsehen erregt, zumal nicht nur Heidegger, sondern auch viele seiner französischen Interpreten ins Zwielicht gerückt wurden. Bekanntlich ist der nach 1945 mit Lehrverbot belegte Heidegger schon zu dieser Zeit von französischen Resistance-Angehörigen wie Jean Beaufret oder auch Rene Char besonders geschätzt worden.

Farias Vorwürfe, es handle sich bei Heideggers Affinität zum Nationalsozialismus nicht um eine zeitweilige und vernachlässigbare Verirrung, sondern Heidegger sei bis zu seinem Tod dem Nationalsozialismus und sogar dem Antisemitismus treugeblieben, sind zwar ebensowenig neu wie viele seiner Dokumentationen und Spekulationen. Immerhin hat aber die Heftigkeit der Kontroversen neuerlich die Frage verschärft, ob sich Heideggers Philosophie damit im ganzen desavouiert habe und darüber hinaus, wie es denn mit der Verantwortlichkeit der Philosophie in und gegenüber der Politik stünde.

Der solchen Diskussionen inhärenten Tendenz zu Vereinfachungen, denen Farias inquisitorisch angelegtes Buch Vorschub leistet, ist auch sofort in unzähligen Debatten und Stellungnahmen begegnet worden. Die wesentlichen Fakten der Parteinahme Heideggers sind ohnedies seit langem bekannt und auch seriös aufgearbeitet worden. Vor allem der deutsche Historiker Hugo Ott hat die von Heidegger selbst im Dunkeln gelassenen und auch zum Zeichen „innerer Emigration“ umgemünzten Ereignisse um Heideggers Rektorat 1933 an der Ffceibur-ger Universität sowie um den Rücktritt im Jahr 1934 detailliert dargestellt. Dabei sind sowohl Heideggers Ambitionen zu einer geistigen Führerschaft in Deutschland wie auch seine Distanz und Ernüchterung — ihm wurde unter anderem sehr bald eine Art von „Privatnationalsozialismus“ nachgesagt - klar herausgestellt worden.

Heideggers eher schäbiges Verhalten gegenüber seinem jüdischen Lehrer Edmund Husserl liegt ebenso offen wie die Tatsache, daß er als Rektor sich weigerte, den „udenerlaß“ an der Universität anschlagen zu lassen. Auch liegt — von einem seiner Söhne 1983 herausgegeben — die berüchtigte Rektoratsrede von 1933 ebenso vor wie seine 1945 geschriebene Rechtfertigung.

Daß Heideggers Denken, vornehmlich der in den späten zwanziger Jahren entfaltete Ansatz der Erfahrung der Wahrheit des Seins als Ereignis und die darin implizierte Auslegung des Wesens der •Technik als des unentrinnbaren Seinsgeschickes des Menschen den Nationalsozialismus als Aufbruch deuten und begrüßen konnte, mag für uns Heutige ebenso unverständlich erscheinen wie die Gründe seiner bald darauf folgenden Distanzierung und das darin liegende Eingeständnis eines furchtbaren Irrtums. Hans Georg Gadamer hat jüngst bei einem deutsch-französischen Kolloquium in Sachen Heidegger auf den Geist der zwanziger Jahre verwiesen und auch darauf, daß das Deutschnationale und Völkische nicht einfach mit Nationalsozialismus identifiziert werden kann.

Freilich kann zusammen mit Heideggers auch später bekräftigtem Bekenntnis zur Verwurzelung in der Provinz die Bevorzugung der deutschen Sprache angesichts des hohen Stellenwertes, den Sprache im Denken Heideggers einnimmt, Farias Vorwurf, der Diskriminierung anderer Sprachgemeinschaften plausibel erscheinen. Daraus aber Antisemitismus und sogar „existenzphilosophischen Rassismus“ — wofür es in Heideggers Schriften nicht die geringsten Ansatzpunkte gibt — zu folgern, nimmt Farias“ Buch die Seriosität.

Anders verhält es sich mit dem Vorwurf, Heideggers Denken habe jedenfalls keine Elemente enthalten, die dem Nationalsozialismus gegenüber immunisieren hätten können. Aber auch daraus läßt sich die Frage nach den Voraussetzungen seines politischen Engagements nicht unmittelbar ableiten. Will man nicht zur sicher unzureichenden Erklärung politischer Naivität greifen, bietet sich die Analyse der jüdischen Schülerin Heideggers, Hannah Arendt, an, die in Heidegger den Typus des unpolitischen Philosophen sieht, der auch dann unpolitisch bleibt, wenn er sich dem Politischen zuwendet, weil Politik für ihn ein banales Phänomen darstellt, dem keinerlei eigene Authentizität zugebilligt wird.

Heidegger hat die Frage nach einer Ethik mit dem Hinweis darauf beantwortet, „daß das Denken handle, indem es denkt“ und damit den Bereich der Praxis in den Bezug des Denkens zum Sein hineingehoben.

Jacques Derrida hat in der schon genannten Heidelberger Debatte alle vereinfachenden Urteile scharf abgelehnt und darauf hingewiesen, daß gerade der Fall Heidegger die Verwirrung um traditionelle Kategorien der Ethik bloßlege und eine neue Bestimmung von Verantwortung nötig mache. Ein anderer jüdischer Schüler Heideggers, Hans Jonas, hat diese Verantwortung in den Bereichen der Wissenschaften und der Ökologie neu zu definieren begonnen. Es scheint, daß der Streit um Heidegger, der in seinem berühmte» Spiegel-Interview die Meinung vertreten hatte, daß nur „ein Gott uns retten könne“, sich anschickt, auf diese Herausforderung zu antworten.

Der Verfasser ist Vorstand des Instituts für Philosophie an der Universität Wien.

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