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Ekstatische Philosophie

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DAS SCHICKSAL DER METAPHYSIK. Von Thomas zu Heidegger. Von Gustav Sie wer th. Johannes-Verlag, Einsiedeln 1959. XXI und 519 Seiten. Preis 36 sfr. - NATUR UND MYSTERIUM. Schöpfungs-kosmologische Prolegomena heute. Von Hans Andre. Johannes-Verlag, Einsiedeln 1959. 257 Seiten

Siewerth und Andre sind nicht nur dadurch verbunden, daß Siewerth im Buch Andres einen Beitrag schreibt, sondern vor allem durch ihre gemeinsame Front gegen den „kritischen Realismus“, den einst Külpe von der Psychologie aus grundlegte und Becher und Wenzl von Biologie und Naturwissenschaft überhaupt. Sowohl gegen eine spekulative Metaphysik (wie Hegel ihr stärkster Ausdruck ist) wie gegen eine Philosophie als reine Erkenntnistheorie (wie Hönigswald sie in reiner Form darstellt) begründet der kritische Realismus eine Philosophie der „letzten Schlußfolgerungen“ aus den exakten Data der Naturwissenschaft. Man wird gewiß die Zulässigkeit solcher „Schlußfolgerungen“ anzweifeln können, weil sie methodisch auf der Ebene der Naturwissenschaft bleiben müssen und darum an einem „Sprung“ ins eigentlich Metaphysische nicht vorbeikommen. Aber wertvoll bleibt beim „kritischen Realismus“ seine nüchterne Betonung des Realen.

Siewerth und Andre setzen gegen diesen kritischen Realismus betont eine apriorische Metaphysik. Andre' spricht von der „Unmöglichkeit des .kritischen Realismus'“ und der „Notwendigkeit, die Physis in ihren qualitativen Wesenstiefen zu eröffnen“, in einem „ehrfürchtigen Verstehen des Wunderbaren und Geheimnisvollen“, aus welchem die „poiesis der bildenden Künste entspringt“. Dein) „die Natur ist geistgeboren und gellt deshalb in ihrer Auflichtung auch für den Geist in göttlichem Wesensreichtum herauf“ (S. 236 f.). Siewerth zielt, auf den Spuren des letzten Heidegger (der mit seinem „Sein als Kunft“ einer philosophischen Eschatologie zustrebt), direkt auf eine Heilsaufgabe der Philosophie, eine „Ankunft des Geistes“ vorzubereiten,

„die sich ... im Innenraum der seligen Stille der Kugel des Seins ... ereignet“ (S. 518 f.). Wenn in Andres Denken Jakob Böhme wohl waltet (worin er mit Hedwig Conrad-Martius einig geht), so ist es bei Siewerth eine Art „transposition“ (wie Marechal seine Methode, Kant und Hegel auf die Ebene Thomas' von Aquin zu überführen und umgekehrt, nennt), Transponierung von Thomas auf die Ebene Heideggers und Heideggers auf die Ebene von Thomas, wie Marechal ihn versteht. Wenn Heideggers Denkstil wohl „Identität“ heißen kann, so übernimmt Siewerth diese „Identität“ ausdrücklich (vergleiche seinen „Thomismus als Identitätssystem“ 1939), gelangt aber damit, wie auch sein Meister Heidegger, in die besondere Nähe Schellings. Damit aber, von Denkstil und Denkinhalt her, tritt in

Andre und Siewerth eine wahre, fast prophetische „Heilsphilosophie“ gegen die Nüchternheit des ehemaligen „kritischen Realismus“. Es geht nicht so sehr um eine „reine Philosophie“ (wie Husserl ihr Meister ist und bleibt), sondern um eine „ekstatische Philosophie“, die durch alle Realismen leidenschaftlich durchbricht ins Überreale, heraus aus den „statischen Beständen“ ins „Aus-Heraus“ selbst (ins „Ek“). Beider Bücher, Andres wie Siewerths, geben sich darum in ihren Ausklängen geradezu „hymnisch“ (vgl. Siewerth, S. 517 ff.). Es ist fast Wiederkehr Schellings, aber ohne seine echte Weite und Tiefe. Es ist der verzweifelte Versuch, aus einem Zeitalter der nüchternen Technik auszubrechen (im „Ek“ aus dem realen „Stand“) in ein neues „pneumatisches“ Zeitalter, wie es die neurussische Gnosis seit langem träumt.

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