7033471-1989_40_08.jpg
Digital In Arbeit

Fragen nach dem Sein

Werbung
Werbung
Werbung

Der Wiederkehr des 100. Geburtstages Martin Heideggers zu gedenken, ohne dabei auf die Diskussion seines politischen Engagements einzugehen, fällt angesichts der jüngsten Veröffentlichungen und Enthüllungen nicht ganz leicht (FURCHE 12/1988). Denn jenseits der gern strapazierten Alternative - Heidegger war entweder ein großer Philosoph oder ein Nazi, da eines das andere ausschlösse - bleibt das Insgesamt des Heideggerschen Oeuvres, das in minutiöser Kleinarbeit der Veröffentlichung des Nachlasses er-

schlossert wird, nach wie vor für eine abschließende Beurteilung offen.

Auch Wenn man mit Epitheta wie „größter“ oder „bedeutendster“ Philosoph dieses Jahrhunderts vorsichtig sein sollte - daß Heideggers Denken die philosophische und intellektuelle Landschaft unseres Jahrhunderts zutiefst geprägt hat, daran gibt es nichts zu rütteln. Die Existential- oder besser Fundamen-talontologie von „Sein und Zeit“ (1927) hat mit ihrer Freilegung der Daseinsstrukturen des menschlichen Seins ebenso Aufsehen erregt wie Heideggers späteres „Denken des Seins“, das in seiner Kritik von Technik und Wissenschaft vieles von dem vorwegzunehmen schien, was sich uns heute als Problem der Folgelasten des technisch-wissenschaftlichen Fortschrittes stellt.

Heidegger war einer jener Vatergestalten der Philosophie, die weit über den engen Universitätskreis hinaus große Wirkung entfalteten: zuerst in den dreißiger Jahren, dann nach dem Zweiten Weltkrieg als „Angst“, „Sein zum Tode“ oder „Entschlossenheit“ zu mißverstandenen Slogans des durch Jean Paul Sartre vermittelten Existentialismus werden konnten. Vergebens versuchte sich der Freiburger Denker von anthropologischen Mißverständnissen zu distanzieren: „Ver-

lassenheit“, „Geworfenheit“, „Entscheidung und Freiheit“ blieben die Leitworte, an denen sich die Heidegger-Rezeption orientierte.

Sein Schülerkreis - von Orthodoxen bis zu Dissidenten wie Karl Löwith, Herbert Marcuse, Hannah Ahrendt oder Hans Jonas - war so vielschichtig geprägt, daß er eo ipso jede Schulbildung ausschloß. Im Grunde war dies auch völlig konsequent: denn abgesehen von der Verpflichtung auf eine strenge, wenn auch modifizierte phänomenologische Methode, konnte es für das „Denken des Seins“ keine Schule geben.

Neben der präzisen und sorgfältigen Interpretationsarbeit an Denkern der Vergangenheit ging es Heidegger vor allem darum, den Sinn der Philosophie, ihr Fragen nach dem Grund im übermächtig gewordenen Konzept der Wissenschaften neu und auf lebendigere Weise zu stellen.

Nicht wenig von dem, was Heidegger ab seinem „Brief über den Humanismus“ in seiner Spätphilosophie entwickelte, ist aufgrund der dunklen Sprache mißverständlich geblieben. Die Auffassung vom Menschen als „Nachbar“ oder „Hirte des Seins“, das Ernstnehmen der Dichtung, die sich in vielen Interpretationen Rainer Maria Rilkes, Georg Trakls, vor allem aber Friedrich Hölderlins niederschlug, der Versuch das Wesen des Menschen aus der Wahrheit des Seins zu bedenken, hat keine konkreten Resultate im Sinne von Orientierungsoder Handlungsanweisungen gezeitigt.

Heideggers berühmt-berüchtigte Aussage aus einem „Spiegel“-Inter-view im Jahr 1966, das erst 1976 publiziert wurde: „Nur noch ein Gott kann uns retten“ - im Kontext der

vom Wesen der Technik und ihren Folgen bestimmten Weltzivilisation - enthält freilich angesichts der herandrängenden Not unserer ökologischen und politisch-sozialen Probleme keine konkreten Hinweise oder Anweisungen. Es entspricht aber der von Heidegger unermüdlich betonten Bereitschaft des Denkens, umzudenken, dem, was ist, zu entsprechen.

Zwischen Heideggers Versuch von 1927 in einer Fundamentalanalyse des Daseins die Grundstruktur unseres In-der-Welt-Seins freizulegen und dem Denken des Seins, das sich in seinem Kern als Andenken versteht, liegt ein ebenso weiter Weg wie zwischen der berüchtigten Rektorsrede von 1933 und dem Versuch nach dem „Ende der Philosophie“ ein ursprüngliches Denken in Gang zu bringen.

Heideggers Weg des Denkens war von Anfang an durchtränkt vom Versuch, die vielfach schon in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts durch Wissenschaft und Technik, aber auch durch die Politik und den gesellschaftlichen Wandel ins Schleudern geratene Philosophie auf einen neuen Boden zu stellen und im Wiederholen der Frage nach dem Sinn von Sein ihm eine wahrhaft universale Aufgabe zu geben.

Seine Analyse des menschlichen Daseins ebenso wie sein Versuch den Menschen aus der Nähe und Nachbarschaft des Seins in seinem Wesen zu- bedenken, läßt freilich viele Fragen offen. Er zeigt aber auch andererseits, daß alle vorschnellen Antworten gerade auf dem Gebiet der Philosophie gefährlich sein können.

Das, was als philosophischer Betrieb an den Universitäten vor sich geht und sich nur zu oft zu einer Aufarbeitung all dessen verdichtet.

was als Geschichte des Philosophierens emsig durchforscht werden kann, verblaßt vor dem keineswegs in ein System gegossenen ursprünglicheren Fragen, zu dem Heidegger aufruft und ermuntert.

Von der Vielzahl der Anregungen, die dieser bäuerliche Denker aus Meßkirch - der sich nicht scheute sich zur Provinz zu bekennen -gegeben hat abgesehen: wer die Strenge des Denkens, die nicht mit Systematik zu verwechseln ist, an Heideggers Denkwegen mitgedacht und erfahren hat, kann nicht umhin, diesem Philosophieren nach dem Ende der Metaphysik größte Achtung entgegenzubringen. Jene Achtung nämlich, die unbeschadet des Widerspruches in den Inhalten einem gebührt, der der Sache des Denkens und nur dieser zu entsprechen versuchte.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Philosophie an der Universität Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung