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Wagnis einer Vermutung

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WAHRHEIT UND GESCHICHTLICHKEIT. Eine Untersuchung über die Frage nach dem Wesen der Wahrheit im Denken Martin Heideggers. Von Fridolin W i p 1 i n-ger. Verlag Karl Alber, Freiburg-München. 387 Seiten. Preis 30 DM.

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WAHRHEIT UND GESCHICHTLICHKEIT. Eine Untersuchung über die Frage nach dem Wesen der Wahrheit im Denken Martin Heideggers. Von Fridolin W i p 1 i n-ger. Verlag Karl Alber, Freiburg-München. 387 Seiten. Preis 30 DM.

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Immer wieder wird darauf hingewiesen, daß Heidegger sein Hauptwerk „Sein und Zeit“ nicht weitergeführt, den angekündigten zweiten Teil nicht geschrieben hat, sondern in einer Folge von Einzelarbeiten verschiedene Themen angeht. Je nach Einstellung wird dann ein Einwand, Vorwurf, Bedauern und so weiter damit verbunden. Im Buch Wiplingers wird nun der Nachweis erbracht, daß das Denken des Freiburger Existenzialphilosophen trotz allem einen einheitlichen Grundzug verfolgt und immer weiterführt. Der Autor zeigt sowohl, daß Heideggers Spätwerk keineswegs „Sein und Zeit“ überflüssig macht, gar verleugnet, als auch versucht er vom Spätwerk her „Sein und Zeit“ darzustellen und betrachtet alle Schriften als „Versuche einer Vollendung oder zumindestens Weiterführung des dort Begonnenen ... Alle Existenzialien von .Sein und Zeit' vermag man in den späteren Schritten wiederzuentdecken . fcbenso kennt er selbstverständlich alle Einwände gegen Heideggers Denkansätze und vermag auf Grund einer bisher kaum erreichten Einfühlung seines denkerischen Nachvollzuges, ihre Mißverständnisse aufzuweisen, jedenfalls zu zeigen, daß sie, Gegner wie Freunde, Heideggers Standpunkt oft nicht gründlich genug erfaßt beziehungsweise sich zu eigen gemacht haben. Auch wird die ganze abendländische Philosophie von diesem Denkansatz her neu bedacht, mitunter heftig kritisiert.

Wiplinger wagt es außerdem, dem Weg seines Meisters nicht nur nachzuspüren, sondern ein Stück darüber hinauszugehen, allerdings nur im „Wagnis einer Vermutung“, das er jedoch aus der Tendenz Heideggerischen Denkens heraus belegt. Er eröffnet damit Horizonte, die von einem philosophischen „Dialog“ des Mensehen Dialog mit dem Logos verweisen, und zwar anders als die Versuche etwa eines Lötz oder Rahner, die mit der Begriffswelt einer philosophia perennis Heidegger aufzuschließen versuchen und umgekehrt, indem nämlich Wiplinger den Denkansatz Heideggers voll akzeptiert und von ihm aus, unbeschwert von abendländischen Denkkategorien, diesen Weg geht. Er widerlegt also in einer bisher unerhörten Art jeden angeblichen Nihilismus, Atheismus oder Immanentismus von Heideggers Philosophie. Jedenfalls ist es Wiplinger gelungen, aufzuzeigen, daß mit diesen landläufigen, mitunter zu geläufig gebrauchten Schemata, wie Immanenz und Transzendenz, Idealismus und Realismus, subjektiv und objektiv, rational und irrational, Heidegger heute nicht beizukommen ist, sie treffen auf ihn einfach nicht zu, weil er auch hinter sia zurück will, um auch noch ihr gegenseitiges Pro und Kontra zu überwinden.

Eine Diskussion mit dem Buch und seinem Anliegen liefe auf eine Diskussion mit Heidegger selbst hinaus, wofür diese Rezension nicht der Ort ist. Nur andeutungsweise sei gefragt, wie steht es mit dem „Prinzip Hoffnung“ oder mit dem „homo ludens“?

Daß das Buch eine schwierige Lektüre ist, oft schwieriger als Heidegger selbst, ist klar, weil der Autor sich ja bemüht, nicht bloß Heideggers ursprüngliches Denken nacbzuvollziehen, sondern sich auch seine vollkommen eigenständigen Sprechweisen und Sprachschöpfungen anzueignen. Daß Heidegger aus der modernen Philosophie nicht mehr wegzudenken ist, muß nicht erst erwähnt werden, ja man kann sich heute kaum mehr ein von ihm unbeeinflußtes Sprechen und Denken vorstellen; daß er auch ungemein befruchtend, in welchem Sinn auch immer, gewirkt hat, wird wohl ein redlich Denkender ebensowenig leugnen. So ist diese gründlich zusammenschauende Einführung in sein Denken zu begrüßen, und es wäre zu wünschen, daß alle, die sich mit der Existenzialphilosophie, die weitab von der Mode des Existenzialismus liegt, ernstlich auseinandersetzen, sei es in Gegnerschaft oder Nachfolge, sich gleicher gründlicher Strenge befleißigen.

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