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Wege und Irrwege des Geistes

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DER DIALEKTISCHE MATERIALISMUS UND DAS PROBLEM DER ENTSTEHUNG DES LEBENS. Von Gustav A. Wetter. Verlag Pustet. 71 Seiten. Preis 4.40 DM. - ROMANO GUARDINI. Der Mensch und das Werk. Von Helmut Kuhn. Kösel-Verlag, München, 1961. 111 Seiten. Preis 6.80 DM. - SPRACHE UND VERANTWORTUNG (Geleitwort von Romano Guardini). Von Fritz K1 a 11. Amandus-Verlag, Wien, 1960. 125 Seiten. Preis 7.80 DM.

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DER DIALEKTISCHE MATERIALISMUS UND DAS PROBLEM DER ENTSTEHUNG DES LEBENS. Von Gustav A. Wetter. Verlag Pustet. 71 Seiten. Preis 4.40 DM. - ROMANO GUARDINI. Der Mensch und das Werk. Von Helmut Kuhn. Kösel-Verlag, München, 1961. 111 Seiten. Preis 6.80 DM. - SPRACHE UND VERANTWORTUNG (Geleitwort von Romano Guardini). Von Fritz K1 a 11. Amandus-Verlag, Wien, 1960. 125 Seiten. Preis 7.80 DM.

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Gustav A. Wetter SI. hat sich als Pro' fessor de Päpstlichen Orientalischen Instituts die Aufgabe gestellt, sich mit dei Philosophie und der Geschichte des heutigen Rußland auseinanderzusetzen Auel in dem vorliegenden kleinen Büchlein zeig er auf, welch ungeheure Gefahr datin liegt die marxistisch-leninistischen Theorien zt simplifizieren und mit einem primitivei mechanistischen Materialismus gleichzueet zen. Noch immer herrscht bei uns davoi Furcht, sich mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen des kommunistischer Systems auseinanderzusetzen. Und da: führt zu einem Scheinbekämpfen mit falscl verstandenen Schlagworten. Ein Überwinden des dialektischen Materialismus ist abei nur durch ein Durchschauen seiner Voraussetzungen möglich und das setzt eber ein eingehendes Studium voraus.

In der vorliegenden Schrift setzt icl G. A. Wetter vor allem mit der TheorU des sowjetischen Biplogen A. I. Oparir über die Entstehung des Lebens auseinander.

Es ist also die Frage aufgeworfen: wai ist der letzte Urgrund, daß auf unserei Erde pflanzliches und tierisches Leben entstanden ist und wie ist dies geschehen' Hier distanziert sich der dialektische Materialismus eindeutig von der naiven Art dei Materialismus westlicher Prägung. Nocl immer gibt es einzelne Wissenschaftler, di behaupten, man könne Lebensvorgänge oder gar seelische und geistige Handlunger auf mechanische (physikalisch-chemische! Bewegungen zurückführen. Es ist zwar richtig, daß für alle Lebensäußerungen, füi Fortpflanzung, Wachstum usw. auch mechanische Mitursachen erforderlich sind aber gerade das, was das Leben ausmacht, die aus sich heraus immer wieder stattfindende Selbsterneuerung, das Lebendige ah solches wird dadurch nicht erklärt. Ein mechanistischer Materialismus ist nicht nui Utopie, sondern auch Unsinn, genauso wii der Glaube an eine Evolution aus zufälligen, physikalischen Geschehen.

Aber auch die Gefahr und Schwäche dei Vitalismus wird erkannt und durch der dialektischen Materialismus überwunden. Es gibt keine Leben-als-Solche-Teilchen, die seit Urbeginn im Raum schweben und dort, wo sie mit der Materie zusammenstießen, Leben erzeugten. Natürlich drückt man sich heute nicht mehr so bildhaft aus, sondern faßt das Ganze in ein wissenschaftliches Mäntelchen, aber die Grundidee des Vitalismus wird noch heute von einer Reihe von Wissenschaftlern geglaubt. Alle ontho-logischen Schichtentheorien laufen im Grunde daraiiiffifrialfe, was dä*ei''tabtr'völlig unerklärt bleibt (und von hier aus auch unerklärbar ist), ist das, was Entwicklung heißt. Wie kam es überhaupt zu der physikalisch-chemischen, der biologischen und der psychologischen Seinsschichte? Die abendländische Philosophie hat eigentlich seit Kant den Mechanismus-Vitalismus-Streit als Scheinproblem aufdecken können. Aber die Wissenschaft hat davon nicht Kenntnis genommen. Zum ersten Male finden wjr nun im dialektischen Materialismus den Versuch im Großen, Wissenschaft und Philosophie auf eine einheitliche Grundlage zu stellen.

Die Stellung des Marxismus-Leninismus kommt schon im Wort Dialektik zum Ausdruck. Es besagt, daß es sich im Weltablauf (deshalb Materialismus) um eine Entwicklung, einen gerichtlichen Prozeß (im Gegensatz zum Vitalismus) über „Widersprüche“, verschiedene Qualitäten hinweg (im Gegensatz zum Mechanismus), handelt. Die ganze Weltgeschichte wird als ein ich selbst bewußtes Fortschreiten aufgefaßt, das mit Notwendigkeit und damit mit innerer Gesetzmäßigkeit sich vollendet. Die physikalisch-chemischen Prozesse drängen zu einem Punkt hin, bei dem ein weiteres Verkomplizieren nicht mehr möglich ist. Hier ändert sich in einem dialektischen „Sprung“ die Qualität, das heißt, es führt mit Notwendigkeit zum Auftreten von Leben. In der Gesetzmäßigkeit der ietzt „biologischen Bewegungsform“ schreitet der Entwicklungsprozeß weiter, bis es zu einem erneuten, die ersten beiden Bewegungsweisen aufhebenden „Sprung“ kommt: der Entstehung des menschlichen Geistes.

Von hier aus ergeben sich natürlich eine Reihe von Problemen Man muß aber erkennen, daß eine Kritik auch nur auf dieser Ebene möglich ist.

„Guardini ist ein Lebensphilosoph. Er läßt sich die Probleme in konkreter Form von einem praktischen Lebenszusammen-hang geben, um sie dann zu ergreifen, zu durchleuchten und auf letzte Fragen hin transparent zu machen“, erklärt und schildert Prof. Helmut Kuhn seinen Kollegen Romano Guardini mit sympathischen und lebendigen Worten und rundet somit das Bild, das wir aus Guardinis eigenen Veröffentlichungen gewonnen haben, zu einer lebendigen Gestalt. Schon mit der Bezeichnung „Lebensphilosoph“ ist die Richtung gedeutet, aus der und zu der hin Guardini philosophiert. Es ist die lebendige Teilnahme an existentiellen Problemen des Menschen. Damit ist auch schon das Zwi-chenreich und der Berührungspunkt von Philosophie und Kunst aufgezeigt. Guardinis literarisch-philosophischen Interpretationen: „Hölderlin , „Das Licht bei Dante“, „Rainer Maria Rilkes Deutung des Daseins“, „Religiöse Gestalten in Dostojew-skys Werk“, „Der Tod des Sokrates“ und andere, zeugen von dem großen Einfühlvermögen Guardinis in die Nöte, die Freuden und Höhepunkte des menschlichen Daseins. Er stellt sich aber auch allen übrigen philosophischen Problemen und widmet sich den aktuellen Zeitfragen. Nicht um mit Gegenmeinungen zu kämpfen greift er in eine Reihe von Erörterungen ein, sondern um zu klären, um zu ermahnen und den Blick des Menschen auf das Wesen der Dinge zu lenken. Es ist dies der Punkt, den Kuhn zuwenig herausgearbeitet hat. Wenn unter anderem der deutsche Idealismus als die Philosophie der protestantischen Pastorensöhne abgetan wird, und an Hand der „Jugendbewegung“ gemeinsam mit der Existenzphilosophie die Gegenpole zu Guardinis Bemühungen gesetzt werden, 60 leidet darunter das sympathische, vertiefende Philosophieren Guardinis.

Guardinis größtes Anliegen ist es, Brük-ken zu schlagen. Auch zwischen dem philosophischen Fragen und dem christlichen Glauben, um so zu einer ursprünglicheren Einheit zu gelangen.

Die Geschichtsphilosophie Guardinis spricht ein bewußtes la zur Gegenwart, zu der oft verschrienen „Neuzeit“, und das bedeutet für ihn: aufzubauen auf den Werten der Großen vor ihm und weiterzu-wirken in die Zukunft: an dem, was lebendige Tradition heißt, mitzubilden, indem man versucht, mit dem Nächsten, dem Mitmenschen, hier und jetzt ins Gespräch zu kommen.

Um dieses Sich-Wissen in der Tradition, in ihrer Gerichtetheit auf das Kommende und in ihrem lebendigen Sein, einer jetzt wirklichen Gemeinschaft, geht es auch Fritz Klatt in feinem Buch „Sprache und Verantwortung“. Im „lebendigen Wort“ wird das, was wir Tradition nennen, in seiner vollen Sinnbedeutung weitergegeben. Weitergegeben durch einen Verständigungs-wülen den Mitmenschen gegenüber. Sprache ist mehr als ein Zeichensystem, das zur Übermittlung von Willensäußerungen dient. In jedem lebendigen Wort, das in sinnvollen Zusammenhang mit der ganzen Sprache steht, sind „Wahrheitsgehalt“, „Ausdruckstiefe“, „Wirkungskraft“, als jene Elemente, die eine Kultur zusammenklammern, enthalten.

„Sich sprachlich vernachlässigen, et nicht mehr genau nehmen mit der Wahrheit, deutet unfehlbar auf geistigen Verfall“, meint Klatt. Eine Kultur, eine Tradition kann nur leben von der Sprache. Das, was hier unter' Sprache gemeint ist, ist mehr als nur eine lexikalische Sammlung von Worten, mehr als ein grammatikalisches Geflecht von Regeln und Ausnahmen. Es ist das Sprechen von Mensch zu Mensch in seinen vielen vereinzelten Existenzen. Die Totalität dieses Sprechens macht das, was Sprache ist, aus (Wilhelm von Humboldt). Dieses Sprechen, das Sprache ist, entsteht in dem Aussprechen von Sinn, in dem Ansprechen eines Gegenübers, und lebt fort in der „hörenden Bereitschaft“ der Aufnahme „Die Sprache und schon das einzelne Wort will mehr als sich selbst, will Verdichtung und Gestaltung der überschießenden Kräfte des geistigen Lebens“, betont der Autor.

Auch das Schweigen findet hier seinen Platz, als das ruhige In-sich-Aufnehmen, in dem Zuendehören der an einen gerichteten Worte. Wo dieses Schweigen und die Bereitschaft zu hören, verloren geht, gibt es auch kein Sprechen mehr.

Es gibt aber noch ein „Mehr“ über das bisherige hinaus: das Sagen in Dichtung und Gebet. Man ist allein und spricht doch mit jemandem. Man spricht aus sich heraus und doch in gleicher Weise in sich hinein. Hier wird das Wort, die Sprache im Menschen, zum Leben selbst.

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