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Martin, der Philosoph, und Fritz, der Narr: Hans Dieter Zimmermann stellt Leben und Denken der Brüder Heidegger nebeneinander.

Es ist schon eine ungewöhnliche und in der Flut der einschlägigen Literatur einzigartige Idee, das verzwickte Denkgebirge Martin Heideggers an die Seite seines Bruders Fritz zu stellen und von dieser ungleichen Paarung her den reichlich konstruiert erscheinenden Titel "Philosophie und Fastnacht" abzuleiten. Doch die Lektüre ergibt Überraschendes.

Der knapp fünf Jahre jüngere Fritz war ein begnadeter Fastnachtsredner. Er eiferte dem aus der Nähe stammenden Ulrich Megerle nach, der sich später Abraham a Sancta Clara nannte. Die Karnevalsrede hatte für Fritz immer auch etwas von einer Bußpredigt an sich. Wundersamerweise war bei diesen Auftritten sein Sprachfehler wie weggewischt. Von den vielen sind freilich nur drei Reden, jene von 1934, 1937 und 1948, erhalten. Dazu gibt es einige wenig ergiebige Briefe und - immerhin - Randnotizen zu Martins Werken. 1938 hatte dieser seinem Bruder zwei Kisten mit Manuskripten anvertraut, einmal um sie sicher über den Krieg zu bringen, zum weiteren, damit Fritz die Werke ins Reine schreiben konnte. Da er keine eigene Schreibmaschine besaß, erledigte er dies in langer Abendarbeit in der Kreditkasse von Meßkirch, wo er zeitlebens angestellt war. Dass es Eingriffe von Fritz, vor allem sprachliche Verbesserungsvorschläge gab, davon geht Zimmermann aus. Eine genauere Rekonstruktion ist indes kaum mehr möglich, das meiste hat sich mündlich zwischen den beiden abgespielt. Doch Fritz, dem man wegen seines Stotterns, das sich durch die Prügel der Lehrer noch verstärkte, eine weitere Ausbildung verweigerte, war ein belesener und gebildeter Mann, der ursprünglich Theologie studieren wollte. Zum Unterschied vom Philosophen blieb Fritz dem Geist des Mesnerhauses stets verbunden. Was aber hat der Fastnachtsredner mit der Philosophie zu tun?

Fritz blieb der Ironiker, der Narr, der in seinem Spott die Eitelkeit des Menschen anprangerte. Und dies war bloß eine andere Art eines ähnlich umstürzlerischen Gestus, der Martins Philosophie durchzog. Dessen Anspruch war kein geringerer als der, die abendländische Philosophie neu zu begründen, die Metaphysik zu verwinden und den Humanismus auf den Kopf zu stellen. Die Ironie und Bodenständigkeit der Karnevalsrede steht gegen die mit Pathos zelebrierte Ambition einer neuen abstrakten Sicht von Welt und Mensch. Der Autor macht nun die Probe, wie sich denn die beiden Zugänge an der totalitären Versuchung bewährten. Martin Heideggers Verstrickung spricht Zimmermann ebenso ungeschminkt wie differenziert an. Gleichsam als dramaturgischer Höhepunkt des Buches muss sich die Wahlrede, die Martin als Rektor von Freiburg 1933 in Leipzig hielt, dem Vergleich mit der Fastnachtsrede von 1934 stellen. Bei Fritz, der die Hand beim Hitlergruß niemals über die Höhe der Hosentasche brachte, war die ironische Ablehnung der neuen Bewegung nicht zu überhören. "Hütet euch vor diesen 100%igen" donnerte er von der Bütt in die Menge.

Dass dieser Vergleich für die Philosophie wenig schmeichelhaft ausgeht, rechtfertigt den Untertitel von Zimmermanns Buch. Trotzdem bleibt das Material für eine wirkliche Einschätzung von Fritz Heidegger dürftig und dessen Credo, dass die Philosophie Martins nur begreifen könne, wer ihn "als in der Sakristei aufgewachsenen Mesnerbuben kennt", ein wenig bemüht. Nichtsdestoweniger sorgt die gewählte Inszenierung für ein außergewöhnliches Lesevergnügen. Man erfährt eine Menge über das damalige Umfeld, über Martins Beziehungen zum Katholischen, zu Hannah Arendt, zu Frankreich, wo er über Jean Beaufret großen Einfluss gewann. Und dies alles auf wenigen Seiten, die schneller verfliegen, als einem lieb ist.

Martin und Fritz Heidegger

Philosophie und Fastnacht

Von Hans Dieter Zimmermann

C.H. Beck Verlag, München 2005

176 Seiten, geb, e 17,90

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