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Auferstehung

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Die geistige Entwicklung des Volkes, dem Europa sein Antlitz verdankt und das wie wenige der Weltgeschichte schöpferisch genannt werden darf, die Entwicklung der Griechen ging vom Mythos zum Logos. Die Klarheit des Denkens, die oft unerhörte Fähigkeit, das menschliche Dasein philosophisch zu begreifen, war das Ergebnis eines langen Prozesses. Bis die Höhe der klassischen griechischen Philosophie erreicht war, dauerte es viele Jahrhunderte. Am Anfang stand eine “Welt der seelischen Abgründe und unergründlichen Tiefen, ein Kosmos voll Düsternis — ein tragisches Zeitalter. Und als die Klarheit des Denkens erreicht war, als Plato und Aristoteles die Ordnung der Dinge und Seelen, die gültigen Maße dem geistigen Menschen der damaligen Zeit gezeigt hatten, begann — teils aus inneren Gründen, teils bedingt durch die Berührung mit der orientalischen Welt — ein Prozeß des Zurikksinkens in ein mythisches Halbdunkel, der den ganzen Bau der antiken Kultur hätte zusammenbrechen lassen, wäre nicht damals jene Zeitenwende eingetreten, die für uns zum Schnittpunkt der Koordinaten unseres Daseins“ geworden ist, wäre nicht damals der Logos Fleisch geworden in unserem Herrn Jesus Christus, der für uns am Kreuze litt und am dritten Tage von den Toten wieder auferstand und durch das Mysterium des Gottmenschen der Menschheit für immer den Weg wies, sich von den gefährlichen verdüsternden Mythisierungen zu befreien.

Das Christentum bedeutete nicht die Zersetzung und Zerstörung einer Welt leuchtender Helle und Freudigkeit durch ein den Lebensschwachen gemäßes Prinzip, wie es vor Jahrzehnten eine vielleicht geniale, aber sicherlich falsche Philosophie des Willens zur Macht lehrte. Im Gegenteil, das Christentum, der Glaube an Christus, den- gekreuzigten und auferstandenen, als den Sohn Gottes, rettete die Menschheit vor dem Untergang, ließ sie einem Phönix gleich aus der Asche emporsteigen, den im Innern lauernden Tod des Hinabsinkens ins Vorhumane überwinden.

Ein gewaltiger Kulturprozeß setzte ein. In jahrhundertelangem Werden bildeten sich die Elemente heraus, aus denen langsam die wunderbare Formung des Abendlandes emporwuchs, dem wir uns, allen Schrecken des Heute zum Trotz, noch immer verbunden fühlen und an dessen Erneuerung wir glauben. Fast zwei Jahrtausende sind seit jener Zeitenwende vergangen, in der Gottfes Sohn auf der Erde wandelte, litt, starb und auferstand. Und wieder setzte, ähnlich wie in der Antike, ein Prozeß des Zurücksinkens in ein mythisches Halbdunkel ein, wieder sollte es Abend werden in der Welt, die Fratze des Unmenschlichen grinste aus allen Ecken hervor und schließlich kam es zu dem Inferno der beiden Weltkriege. Wo gab oder gibt es jetzt die' Rettung aus dem drohenden Chaos? Leben wir wieder in einer Zeitenwende, wo von uns das Leiden der Sinnlosigkeit des Daseins genommen werden soll? Wer vermag in dieser Situation das Humane vor dem Absinken ins Zoologische zu bewahren?

Der unterSchutt undTrümmern begrabene Nationalsozialismus war im tiefsten nur die entsetzlichste Form, die der europäische Nihilismus hat annehmen können. Diesen Nihilismus selbst aber hat es schon lange vor dem Nationalsozialismus gegeben. Seit Jahrzehnten ist er wie feiner Staub in alle Poren des abendländischen Körpers gedrungen, hat er das ganze Dasein vergiftet und durch die Abwendung vom Geistigen den Boden reif gemacht für die Umwälzungen, die unsere Generation erleiden mußte. Verbrämt aber war dieser Nihilismus durch die Heraufkunft von Mythen, die gleich flimmernden und glitzernden Phantasmagorien die Klarheit

des Denkens umnebeln und zu einer Dämonisierung des Daseins führen sollten; die tatsächlich unsere, Kultur in Todesgefahr brachten. In einem der berühmtesten Wer-, ke des 19. Jahrhunderts, in.Friedrich Albert Langes . „Geschichte des Materialismus“, lesen wir den uns durch die Erfahrungen der letzten Jahre hindurchgegangenen Men-

schen geradezu unheimlich berührenden Satz, „komme es zum. Zusammenbruch unserer gegenwärtigen Kultur, werde aus irgendeinem Winkel, an den niemand denke, etwas möglichst Unsinniges auftauchen, wie das Buch Mormon oder der Spiritismus, mit dem sich dann die berechtigten Zeitgedanken verschmelzen, um einen neuen Mittel

punkt der allgemeinen Denkweise vielleicht auf Jahrtausende hinaus zu begründen“. Dieses Unsinnige „aus irgendeinem Winkel“ haben wir erlebt in der Ideologie des Nationalsozialismus, wie sie uns in Hitlers „Kampf“ und Rosenbergs „Mythus de 20. Jahrhunderts“ etwa entgegentrat — aber beklemmender als das Auftauchen solcher Bücher des Teufels scheint uns die Tatsache, daß führende Denker glauben mochten, daß solch abstruse Gebilde jemals wirklich die Mitte für kommende Kulturen abgeben könnten.

Die Ähnlichkeit unserer abendländischen Krise mit den großen vorhergegangenen Krisen der Weltgeschichte mag dazu verlocken, derartige Vergleiche und Prognosen anzustellen. Sie gehen aber alle von einer wesentlich falschen Voraussetzung aus, nämlich, daß es noch ebenso wie vor dem Erscheinen des Herrn mehrere Möglichkeiten einer Formung des Humanen gebe. Darauf beruht aber das Einmalige des Christentums, daß es nicht eine Wahrheit neben anderen, sondern eben die eine ist, daß mit dem Tode und der Auferstehung des Herrn der eine absolute Punkt im Weltgeschehen gegeben ist, der von jedem Zeitgeist und System unabhängig ist. Dies mag auf den ersten Blick als eine Einengung geschichtlicher Entfaltungsmöglichkeiten erscheinen, tatsächlich aber ist erst durch das Ereignis des Opfertodes Christi Weltgeschichte im geistigen Sinne, eine Weltgeschichte, die sich über eine Abfolge naturbedingter Epochen ähnlicher Struktur erhebt und das Biologische überwindet, möglich geworden. Ohne Christus bleiben wir im Biologischen stecken — mehr noch,. steigen wir in den Bereich des Zoologischen hinab.

So ist denn ' das Osterfest, die Feier der Auferstehung des Herrn, der gegebene Anlaß, zu erwägen, welche geschichtliche Bedeutung diesem zentralen Ereignis zukommt. Wie es ohne Christus, ohne den fleischgewordenen Logos kein Heil für den Einzelmenschen gibt, so gibt es auch für das Leben der großen geschichtlichen Gebilde, der Staaten und Nationen, keine Auferstehung aus dem Kerker des Biologischen, keine Überwindung der Gefahr furchtbarer Dämonisierungen und keinen echten Humanismus ohne die Anerkennung und Bejahung , des Erlösungswerkes und der Fortdauer des Gottessohnes in der Kirche. In ihm und durch ihn gibt es eine Auferstehung auch dort, wo der Ungläubige sich dem Tode preisgegeben glaubt.

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