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Maf des Wagen

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LITERARISCHE AUFSÄTZE. Von Ernst Bloch (Band 9 der Gesamtausgabe). Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main. 581 Seiten, Leinen. DM 34.—.

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LITERARISCHE AUFSÄTZE. Von Ernst Bloch (Band 9 der Gesamtausgabe). Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main. 581 Seiten, Leinen. DM 34.—.

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Als neunter Band der vom Suhr-kamp-Verlag besorgten Gesamtausgabe der Werke Ernst Blochs sind die „Literarischen Aufsätze“ erschienen. Ein Sammelband, der Arbeiten aus fünf Jahrzehnten enthält, die bisher nicht oder schwer zugänglich waren; abgesehen von den in den Abschnitten „Verfremdungen I“ und „Verfremdungen II“ zusammengefaßten Aufsätzen, die in den Bänden 85 und 120 der Suhrkamp-Bibliothek schon vorliegen. Der Titel „Literarische Aufsätze“ bezieht sich allein auf die Form der Beiträge; von der Thematik her ist der Rahmen viel weiter gespannt. Philosophie, Politik, Technik, Musik, Bildende Kunst, Film, Erinnerungen an Menschen, Landschaften und Städte Bind ebenso einbezogen wie speziell literarische Probleme und die Auseinandersetzung mit Dichtern und Denkern. Kostbar und in hohem Maß eigenständig ist jedes einzelne dieser Prosastücke, ob es sich nun um die großen Essays, um Aphorismen, kurze Skizzen oder Anmerkungen zum Tages- und Alltagsgeschehen handelt. Bei dem Versuch, „Glanzstücke“ anzupreisen, kommt man sofort in Verlegenheit. Denn Glanz, ebenso wie Dichte und Tiefe, findet sich überall. Schneidende und immer treffsichere Kritik und Polemik — etwa in der Auseinandersetzung mit „Steiners Ura-Linda-Chronik“ und „Lenards Deutscher Physik“, oder in der Studie „Nobelpreis und Ausbürgerung“ (Ossietzky und Thomas Mann betreffend) — stehen neben behutsamer Deutung, und, bei aller sachlichen Schärfe, liebevollem Einfühlungsvermögen. Musterbeispiele dafür: Da Nachwort zu Hebels Schatzkästlein und der große Essay über „Hebel, Gottheit und Bäurisches Tao“. In ihr kommt Bloch auf ein altes schweizerischalemannisches Dialektwort zu sprechen: das „Wäge“, das das im natürlichen Lot Befindliche meint. Es scheint uns dies eine Gabe, die für Bloch selbst charakteristisch ist: ein scharfer, souveräner Geist, der über das „Maß des Wägen“ verfügt.

Das gilt auch für die Freiheit eines Urteils gegenüber dem Marxismus, von dem er ja ausgegangen, dem er in mancher Hinsicht verbunden geblieben, über den er in anderer hinausgewachsen ist. Unvergleichlich, wie er, den Martin Walser einen Propheten nennt, der „mit Marx- und Engels-Zungen“ redet, gegen den Vulgärmarxismus wettert, wie ihm ein Vortrag über „Marxismus und Dichtung“ zum Plädoyer für die Poesie wird!

Für Bloch ist jedes Schema, jedes Programm zu eng; seine geistige Unabhängigkeit sprengt alle Grenzen dieser Art; aber sie schwebt nicht im leeren Raum. Er fühlt sich mitverantwortlich für das Schicksal der Welt und des Menschen unserer Zeit, ist ein immer wahrer Mahner, der helfen möchte, die Dinge zum Besseren zu wenden. Gewiß nicht mit aufgehobenem Zeigefinger, sondern durch, man möchte sagen „poetische“ Enthüllung der Wahrheit, die er nicht im vordergründigen Ereignis findet.

Wie hinreißend auch ist Blochs Sprache, mit der er noch das Abstrakteste greifbar macht, indem er es rundherum erfaßt und bildhaft verdeutlicht. Es gibt da neue, ausdruckskräftige Worte: „Mecha-nei“ ist eines, „Nichtgedanke“ ein anderes.

Es ist eine Lust, diese „Literarischen Aufsätze“ zu lesen, obwohl Bloch wahrhaftig nicht verharmlost, seinem Leser einiges zumutet mit seinen Analysen, nicht zuletzt auch intensives Bedenken, eigene Stellungnahme und Entscheidungen.

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