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Dichter in der Opposition

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STAAT UND DICHTUNG. Von Arnold Bergstraesser. Verlag Kombach, Freiburg im Breisgau. 397 Seiten. DM 32.-. — EXIL UND LITERATUR. Von Matthias Wegner. Athenäum-Verlag, Frankfurt am Main. 247 Seiten. DM 28. — DEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND UNTER ANDEREM. Von Hans Magnus Enzensberger. Edition Suhrkamp Nr. 203. 178 Seiten. DM 3.-.

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STAAT UND DICHTUNG. Von Arnold Bergstraesser. Verlag Kombach, Freiburg im Breisgau. 397 Seiten. DM 32.-. — EXIL UND LITERATUR. Von Matthias Wegner. Athenäum-Verlag, Frankfurt am Main. 247 Seiten. DM 28. — DEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND UNTER ANDEREM. Von Hans Magnus Enzensberger. Edition Suhrkamp Nr. 203. 178 Seiten. DM 3.-.

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Von der Art, wie der Dichter seine Aufgabe als der Anwalt des Menschen empfindet, hängt auch seine persönliche und literarische Stellung zum Staat ab. Die feudale Vorstellung vom Dichter, der Staatsamt und Lorbeer auf seinem Haupte vereinigt, der quasi den poetischen Gottesstaat in Personallunion verwirklicht, ist nur für die , europäischindividualistische Phantasie heute absurd. Gestalten wie Mao Tse-tung und L. S. Senghor beweisen zur Genüge, welche Konstellationen heute totalitär oder demokratisch möglich sind. In unserem Europa und seinem Kulturkreis allerdings ist nicht mit der Leier zu fechten. Es sei denn als freier Linksaußen ohne Mandat, wie Günther Grass. Die Rechte hat bestenfalls Platz an der Sonne einer milden Kulturpolitik.

Die Erwartunoen, die der Leser in ein Werk zum Thema „Staat und Dichtung“ in der repräsentativen Ausstattung von Professor Berg-straessers Buch setzt, können an Hand solcher Überlegungen leicht falsch ausfallen. Der Autor gibt keine Analyse der Gegenwart. Als Nationalökonom, Soziologe und Politologe richtet er seine Fragen primär an klassische Dichter, an Goethe, Schiller, Hofmannsthal. An Geister also, deren bei Lebzeiten mitunter aktuelle Opposition längst philologisch tiefgekühlt ist. Bei aller Schärfe ist ihre Kritik am Staat und seinem Recht immer konstruktiv. Sie stellen nie das System an sich in Frage. „Staat und Dichtung“ ist außerdem nur ein roter Faden, an dem die posthume Veröffentlichung von 14 verstreuten Reden und Essays aufgereiht ist. Das jeweils angeschlagen Spezialthema, etwa „Religiöse Motive des universalgeschichtlichen Denkens“, wird mit Gelehrtenakribie und allen wissenschaftlichen Belegen tiefgründig abgeleuchtet. Eine Einordnung der Etfnzelergebnisse in eine Gesamtübersicht zum Werkthema fehlt jedoch. Das Buch ist daher fragmentarisch. Es ist ein Beitrag zur Literatursoziologie, die heute allenthalben die herkömmliche Literaturgeschichte abzulösen beginnt. Berg-straessers deutscher Gelehrtenstil verlangt vorgebildete Leser.

Anders und in weitaus aktuellerer Weise stellt sich das Thema „Staat“ dem Schriftsteller, der aus rassischen oder politischen Gründen mit ihm in Konflikt gerät. Die Antwort, die ihm da abverlangt wird, betrifft nicht nur sein Werk allein. Das Thema „Staat“ wird für den Dichter zur Schicksalsfrage, zur Entscheidung auf Leben und Tod. Wenn der Staat dien Boden des Rechtes verläßt, wird der Dichter zur Stimme des verwundeten Gewissens. Und der Staat erweist dem Dichter Reverenz, wie er es sonst nie tut: er nimmt ihn so ernst, daß er jedes seiner Worte überwachen läßt. Es kommt zum offenen Bruch. Der Dichter, einzig mit dem Wort bewaffnet, steht auf gegen den Diktator. Die Werke, die in und aus solchen Situationen entstehen, mögen formal nicht immer vor der Ewigkeit bestehen. Der Feueratem der Wirklichkeit verleiht ihnen Leben. Der Dichter gerät dn die Nähe des religiösen Zeugen. Das Martyrium heiligt die literarische Äußerung.

Man kann einem Mann, der für ein Gedicht die Heimat, die Freiheit oder gar das Leben verloren hat, nicht später eine unrhythmische Silbe oder eine schwache Metapher vorhalten. Solche Problematik der außerliterarischen Maßstäbe in der Literatur ist heute noch unbewältigt. Wer weiß, wie sie einmal zu lösen sein wird? Matthias Wegner geht in seinem Buch „Exil und Literatur — Deutsche Schriftsteller dm Ausland 1933 bis 1945“ den Spuren der literarischen Emigranten nach. Die Dokumentation ist umfangreich, erstmalig und verdienstvoll. Sie zerstört manche Legenden von poetischem Heroismus. Der Kreuzweg ins Exil wird ohne Pathos angetreten. Das Allzumenschliche schlägt durch. Die mittelmäßigen literarischen Talente halten ihren Charakter oft besser als die Träger großer Namen. Wegner beschäftigt sich eingehend mit den Korrespondenzen der Emigrierten, mit ihren Publikationsorganen und Verlagen, vor allem aber mit der Wirkung des Exilerlebnisses über die Seele auf die Feder. Leid wird zum Lied. Franz Weffel... Stefan Zweig... Österreicher, die im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied zu singen wußten.

Ähnlich wie die Wirtschaft — so glaubt sie zumindest — heute mit ihren Theoretikern durch Kritik an der Gegenwart eine Krise der Zukunft vermeiden will, so glauben auch manche Schriftsteller der Gegenwart, durch scharfe politische Polemik vorbeugend wirken zu können. Die Erkenntnis, das Unheil bereits an der Wurzel zu erkennen und anzugreifen, setzt sich durch. Die Auseinandersetzung zwischen Dichter und Staat tritt in eine neue Phase. Der Dichter nutzt die demokratische Redefreiheit zum politischen Angriff. Er tritt an die Seite des Journalisten. Die überlegene Handhabung des Wortes gibt jedoch seinen Äußerungen mehr Dauer. Schon dagewesen? Natürlich, im Altertum. Schon dagewesen? Karl Kraus. Der größte Dichter unter den Journalisten. Es liegt in der Natur der Sache, daß der Wind von links weht. Hans Magnus Enzensberger geht mit „Äußerungen zur Politik“ unter dem Titel „Deutschland, Deutschland unter anderm...“ in den Clinch. Der Stil hat Schule. Die Schule, zwar verachtet und angegriffen, doch gern zitiert und sicher haßgeliebt, heißt Spiegel. Man trägt diese intellektuelle Masche in Deutschland nun schon ziemlich lange. Zu fragen, was sie gebracht hat, ist sicher nicht richtig. Man muß fragen, was sie verhindert hat. Sie hat die Wiederauferstehung des Heroismus zumindest erschwert. Ob der Preis des totalen Skeptizismus, der dafür bezahlt wird, zu hoch war, müßte man entscheiden, wenn man den dritten Weltkrieg überlebt hat. Man sieht, gewisse Hypothesen vertragen keine Probe aufs Exempel. Enzensbergers Polemiken sind scharf und clever, im Vergleich zu Heinrich Bolls politischen Ausfällen für den österreichischen Leser von einer tragischen Kälte und Herzlosigkeit, Hierzulande tut so etwas weh. Der Österreicher will seinen Haß geraunzt haben. Enzensberger trommelt.

Sind wir jetzt dahinter oder davor? Weil bei uns die Dichter in der Politik (Oh, wir haben Namen, die fast vergessen sind: Zernatto, Hammerstein ...) an ihrem Herzen zerbrochen sind? Weil sich bei uns außer Ernst Fischer von der KP nach 1945 kein ernsthafter Dichter mehr politisch engagiert hat?

Österreichs politische Opposition von links ist jung. Ein wahrer Dichter in ihren Reihen könnte zumindest das Wort im Reiche der Phrasen wieder zur Geltung bringen. Aber der rote Orpheus tritt nicht an.

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