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Der Irrtum Engels'

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Welches Ehebild ist gewollt? fragte Steiermarks Bischof Johann Weber in der sozialistischen „Neuen Zeit“. Jenes, das die unauflösliche Ehe anstrebt, die Vollfamilie, Eltern mit Kindern? Als der Katholische Fami-lienverbande zu einer Enquete über die bevorstehende Scheidungsreform einlud, schien diese Frage ausgeklammert. Abgesehen von den Analysen und Prognosen Johann Millendorfers (die die FURCHE zur gleichen Zeit veröffentlichte) —; abgesehen von der einleitenden Feststellung des Verbandspräsidenten Helmut Schattovits, gute Ehen und Familien seien Garanten einer gesunden Gesellschaft, der Staat dürfe ihnen nicht neutral gegenüberstehen — die Juristen selbst sagten „Ja“ zur Scheidung, mit mehr oder weniger Unbehagen. Sie hoben die Nachteile -unsanierbarer „Papierehen“ hervor oder die Mängel des Reformentwurfs, sie diskutierten Verschuldens- und Zerrüttungsprinzip. Die Frage nach der Zielvorstellung, nach dem anzustrebenden Modell der Ehe blieb unbeantwortet.

Oder schwang — nicht in den konkreten Argumentierungen der Referenten, aber doch im Hintergrund der ganzen Reformdiskussion — die Anschauung mit, die Marx und En-

gels schon vor 100 Jahren vertreten hatten: daß mit dem Verschwinden des Kapitalismus auch die bürgerliche Familie verschwinden müsse? Oder Engels' Ergänzung aus den achtziger Jahren, daß die Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie auch die Beseitigung der Einzelfamilie als wirtschaftliche Einheit der Familie erfordere?

Auch die deutschen — katholischen und evangelischen — Bischöfe haben erst vor kurzem in einer Stellungnahme zur deutschen Diskussion um die Scheidungsreform — die viel Ähnlichkeiten mit der österreichischen aufweist — hervorgehoben, „daß heute in der Öffentlichkeit ein weltanschaulich bestimmtes, gesellschaftspolitisches Leitbild von der Frau propagiert wird, das der erwerbstätigen Frau und Ehefrau gegenüber der nicht erwerbstätigen Hausfrau einen Vorrang einräumt. Aus einem solchen Leitbild werden Unterhaltsregelungen abgeleitet, die die Lebensumstände und die beruflichen Voraussetzungen einer nichterwerbstätigen Hausfrau im Fall der Ehescheidung nicht ausreichend berücksichtigen ... Die Regelung von Scheidungsfolgen wird dabei als ein gesellschaftspolitisch wirksames Instrument benutzt.“

Doch zurück zur Enquete. Die Formulierung vom „sozialen Übel“ kam mehrfach vor. Der Sprecher des Justizministeriums sah es im Vorliegen zahlreicher gescheiterter Ehen und ihnen gegenüberstehender eheähnlicher Lebensgemeinschaften der ausgebrochenen Partner mit neuen Lebensgefährten, von Gemeinschaften, die nicht saniert werden können, solange der frühere Partner „Nein“ sagt. Rechtslehrer und Scheidungsanwalt wollten eher in der Tragik des Scheiterns der Ehe und der folgenden Trennung das Übel sehen. Daß beides von Übel ist, steht außer Debatte. Das Auseinanderleben der Ehegatten, ob durch ein plötzliches Versagen, ob durch einen langdauernden Zermürbungsprozeß, ebenso wie das krampfhafte Suchen nach Scheidungsgründen, wenn man ohnehin bereit ist, auseinanderzugehen, das Ausbreiten der Schmutzwäsche vor Gericht, das Feilschen um Geld und Ansprüche. Von den Kindern wurde hierbei relativ wenig gesprochen. Es sind 10.000 unter 14 Jahren in jedem Jahr. Aber sicherlich muß auch an jene gedacht werden, die unehelich bleiben müssen, weil ihre Eltern nicht heiraten können, obwohl sie es wollten.

Nicht gesprochen wurde von den Übeln der Rücksichtslosigkeit, der

Treulosigkeit, dem Egoismus, der mangelnden Du-Bezogenheit, die die Ursachen jener anderen Übel waren und ohne die es wohl kaum zum Scheitern so vieler Ehen käme. Sie fallen nicht in den Aufgabenbereich der Juristen, die denn auch mit Recht auf die Notwendigkeit von Eheberatung, von Familienberatung, von Seelsorge — viel zu wenig von charakterlicher Erziehung — sprachen.

Und doch kritisierten die Juristen die Loslösung dieser „kleinen Reform“ von der Gesamtmaterie des Familienrechts, ja ihre Konzipierung ohne Rücksicht auf die Familie als Ganzheit. Das gebannte Starren auf das Detailproblem hat auch hier wieder den Blick für das Ganze verloren gehen lassen.

Die Kirche denkt nicht daran, sich „des staatlichen Armes zu bedienen, um ihre Ansprüche via Gesetz durchzusetzen“, betonte Bischof Weber im bereits zitierten Interview. Es geht ihr um die Menschen, für deren geistiges Wohl sie die Verantwortung trägt. Auch die deutschen Bischöfe erklärten, sie wollten dazu „beitragen, daß auch das staatliche Eherecht dem Menschen dient und der Sozialfunktion des Rechts Rechnung tiägt.“

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