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Kinderfeindliche Scheidungsgesetze

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Warum kann in Österreich bei Scheidungen nur ein Elternteil die Obsorge für das Kind erhalten?

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Warum kann in Österreich bei Scheidungen nur ein Elternteil die Obsorge für das Kind erhalten?

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Daß sich die Mediation international bewährt hat, steht außer Zweifel, und es ist nicht anzunehmen, daß man in Osterreich zu anderen Ergebnissen kommen wird. Allerdings muß jenen, die sich in Osterreich auf dieses Verfahren der Scheidungsvermittlung einlassen, die herrschende Gesetzeslage wie ein Hohn klingen. Tatsache ist, daß laut Paragraph 177 ABGB auch bei einer einvernehmlichen Scheidung die Obsorge nur einem Elternteil allein zugesprochen werden kann (im Regelfall der Mutter), daß die Einvernehmlichkeit hinsichtlich minderjähriger Kinder also auf tönernen Füßen steht.

Das österreichische Gesetz sieht den „Sonntagsvater” als Standard, in der Praxis werden ihm gesetzlich alle 14 Tage einige Stunden eingeräumt. Wird dies von der Mutter verhindert, gibt es so gut wie keine Chance, das Resuchsrecht durchzusetzen. Dasselbe gilt für das gesetzlich verankerte Informationsrecht (Paragraph 154), das sich jedoch im wesentlichen auf Namensänderungen, Staatsbürgerschaft, den Ein-oder Austritt aus einer Religionsgemeinschaft, die Ubergabe in fremde Pflege und die vorzeitige Auflösung eines Lehr-, Ausbildungs- und Dienstvertrages beschränkt. Über Krankheiten, körperliche und seelische Probleme des Kindes oder Schulnoten beispielsweise muß der Vater nicht informiert werden.

Als aufgrund einer Menschen-rechtsbeschwerde eines Elternpaares der Paragraph 177 durch den Verfassungsgerichtshof geprüft wurde, sah dieser keinen Verstoß, da „die Herstellung des Einvernehmens nicht ausgeschlossen wird” und weil „der Ausschluß eines Elternteiles von den elterlichen Rechten durch eine Reihe von Bestimmungen, die ihm eine Mitwirkung ermöglichen, stark gemildert ist'. Das heißt im Klartext: Eltern müssen sich nicht an das negative Gesetz halten, und der Nicht-Obsorgeberechtigte soll das Informationsrecht als Mitwirkung ansehen.

Unabhängig von der Mediation gibt es die gesetzliche Möglichkeit des gemeinsamen Sorgerechtes nach einer Scheidung schon in vielen europäischen Ländern: in Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, in Spanien, Finnland, Norwegen und Schweden. Darüber hinaus heißt es im Artikel 18 des „UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes” (1989), daß beide Elternteile auch im Falle einer Scheidung gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich sind, „da die Trennung der Partner nicht die Auflösung der Elternschaft bedeutet”.

Fachbücher, die sich ernsthaft mit den Auswirkungen einer Scheidung für die Kinder auseinandersetzen, sind sich einig, „daß das gemeinsame Sorgerecht in geeigneten Fällen die für das Kind schonendste und ihm förderlichste Sorgerechtsform sein kann und konzeptionell der Alleinsorge überlegen ist”.

Was hindert Österreichs Politiker an der Änderung eines völlig veralteten Gesetzes? Warum will man sich nicht an den offensichtlich positiven Erfahrungen im Ausland orientieren? Warum will man Eltern, die sich auf die gemeinsame Obsorge einigen (wollen), diese Möglichkeit - und nur darum geht es ja - nicht gesetzlich einräumen? Würden nur fünf Prozent der geschiedenen Eltern diese Möglichkeit in Anspruch nehmen, würde dies immerhin 2.500 Kinder betreffen. Heißt es nicht auch im Gesetz, daß das Wohl des Kindes - dazu gehören laut Paragraph 178a auch seine Redürfnisse, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten - zu berücksichtigen ist?

Bei Vorsprachen der Aktion „Becht des Kindes auf beide Eltern” - Obfrau Gerlinde Wimmer und ihr Stellvertreter Edgar Press - bei den Familiensprecherinnen der Parlamentsparteien im September 1994 verwiesen ÖVP- und SPÖ-Mandata-re auf das Pilotprojekt „Mediation”, dessen Ergebnisse man abwarten müsse, die FPÖ-Abgeordnete wollte das Anliegen des Vereines, vor allem im Hinblick auf das UN-Übereinkommen, unterstützen. Auf wenig Gegenliebe stießen sie bei der Grün-Abgeordneten: sie bezeichnete die Aktion als „Männerverein”, sie mache „lieber Frauenpolitik”; schwer vorzustellen, daß es hier zu einer Konkurrenz zwischen Kinder- und Fraueninteressen kommen sollte.

Daß die zuständigen Ministerien keine Änderung des Gesetzes wollen, ist durch keine Äußerung belegbar. Aufschlußreich jedoch Zitate von Johannes Stabentheiner vom Justizministerium in der „Österreichischen Juristen-Zeitung” vom 27. Jänner 1995: „ ... wurde nämlich die Forderung laut, die Rolle des Verschuldens als Scheidungsgrund zurückzudrängen ... Im Zuge des Modellversuchs ,Mediation bei Scheidung oder Trennung' soll geprüft werden, inwieweit die Mediation als Konflikt-lösungsmechanismus in ein neues Scheidungsrecht eingebaut werden kann ... Eine rechtspolitische Entscheidung, den Weg in diese Richtung zu beschreiten, ist aber noch keineswegs gefallen. Schon heute können beträchtliche Widerstände -vor allem von Frauenseite, möglicherweise aber auch hier von Seiten der Kirche - erahnt werden, und darüber hinaus läßt sich gegen eine völlig ,verschuldenslose' Lösung auch ein allgemeines Unbehagen in der Bevölkerung orten.”

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