Nur Obsorge haben heißt, man ist Vater oder Mutter

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Ein Gesetz kann nicht Harmonie erzwingen, aber es prägt Bewusstsein und Werthaltungen und kann eine Richtung weisen.

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Ein Gesetz kann nicht Harmonie erzwingen, aber es prägt Bewusstsein und Werthaltungen und kann eine Richtung weisen.

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Bevor die Debatte für oder gegen die gemeinsame Obsorge stattfindet, bevor man also über die Eignung einer Therapie für ein Problem streitet, muss eine Problemdiagnose gestellt werden. Bisher haben Justiz- und Familienministerium eine derartige Problemdiagnose beharrlich unterlassen.

Was erleben also die betroffenen Eltern und Kinder: Scheidung - auch die friedlichste - bedeutete bisher, dass einem Elternteil die Obsorge abzuerkennen war. Vater oder Mutter wurde zum Besuchselternteil degradiert. Wenn ein dann zum Alleinerzieher gewordener Elternteil sich das Gesetz als Handlungsanleitung zum Vorbild nahm, bedeutete das für das Kind: Nur mehr alle 14 Tage erscheint der Besucher, zwischen diesen Kontaktabständen Zustände schlimmer als in der Zeit der Berliner Mauer, also kein Telefonkontakt, keine Stunden der Begegnung, Vater oder Mutter, die nie ein Schulheft oder ein Zeugnis sehen sollen, vom eigenen Kind nichts aus dem Alltag wissen.

Ganz gesetzeskonform konnte die alleine Obsorgeberechtigte den Standpunkt einnehmen, der Vater hätte sein Kind nicht im Spital nach der Blinddarmoperation zu besuchen - soferne er überhaupt davon erfuhr.

Die Verteidiger dieses Systems argumentieren: Es sei ja egal, was im Gesetz steht, die Leute können sich ohnehin einigen. Sie vergessen dabei, dass nicht nur das Gesetz dieses abartige Verhalten förderte, sondern auch die staatlichen Institutionen, wie das vormals sozialistisch geführte Frauenministerium.

Dazu kommt eine Rechtskultur, die in Erfüllung des gesetzlichen Leitbildes der Ein-Elternteilfamilie dem Besucher-Elternteil die Hilfe bei der Durchsetzung des jämmerlichen Besuchsrechts verweigerte. Das ist der Hauptpunkt: der Ausschluss von Pflege und Erziehung eines Elternteils. Bizarr aufgeblasen haben die Verteidiger des alten Systems die Frage der gesetzlichen Vertretung bei Handlungen wie Schulanmeldung oder Pass-ausstellung. Eine sozialistische Gräuelpropaganda betreibt Desinformation. Selbst die (rechtlich irreführend) so bezeichnete "gemeinsame Obsorge" hindert die Alleinerzieherin nicht, jederzeit alleine solche Rechtsakte zu setzen. Neben der Doktrin "es ist egal, was im Gesetz steht" dient den Gegnern der von der Bundesregierung angestrebten Reform die Verurteilung der Männer als faul und an der Familie desinteressiert, wenn nicht überhaupt pervers und gewalttätig.

Wer andererseits offen an den Problemkreis Eltern-Kinder-Scheidung herangeht, wird auf den überall außerhalb Österreichs geltenden Grundgedanken stoßen: Das Gesetz prägt Bewusstsein und Werthaltungen. Es kann nicht Harmonie erzwingen, aber wenigstens in die richtige Richtung weisen. Scheidung bedeutet nicht, dass Eltern sich plötzlich zu erziehungsuntauglichen Scheusalen entwickeln. Selbst im Streitfall ist nicht alles aus, auch in Ehen wird gestritten.

Was wollen also die Betroffenen: ein menschenwürdiges Ausmaß an Zeit mit dem eigenen Kind, wenigstens einmal in der Woche; Anerkennung als gleichwertiger Elternteil mit Erziehungsfunktion; freie Information; einfach wie ein ganz normaler Elternteil behandelt werden. Das Gesetz soll die Beziehung zum Kind genauso ernstlich schützen wie gegen Gewalt und die Durchsetzung finanzieller Ansprüche.

Was hilft jetzt der Regierungsentwurf: bestenfalls atmosphärisch. Der Elternteil, bei dem das Kind sich hauptsächlich aufhält kann den anderen jederzeit in die elende Rolle des "Nichtobsorgeberechtigten" zurückwerfen. Ein Schutz vor dem nach wie vor absurden Besuchsrecht ist auch jetzt nicht ersichtlich.

Obwohl, man hätte das Rad nicht neu erfinden müssen, die diesbezügliche Reform in der Bundesrepublik Deutschland vor über zwei Jahren zeigt in Untersuchungen bereits eine deutliche Abnahme der Konflikte und eine Zunahme des Fortbestandes der Elternrolle nach der Scheidung.

Der Autor ist Obmann des Vereins "Recht des Kindes auf beide Eltern" in Linz.

E-Mail: h.boberski@styria.com

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