Kulturkampf um die Familie

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"Ich muss lügen und in der Klinik sagen, ich sei alleinstehend und heterosexuell.“ Zeljka (33) senkt ihren Blick und ihre Freundin Sanda (42, beide Namen geändert) drückt ihr aufmunternd die Hand. Seit über zehn Jahren sind die beiden ein Paar. Nun wünschen sie sich nichts sehnlicher als ein Kind. Als lesbisches Paar in Kroatien ein fast unmögliches Unterfangen.

Das Klima im neuen EU-Mitgliedsland gegenüber Lesben, Schwulen und Transgender (LSBT) ist schwierig. Bei einer Umfrage der EU-Grundrechtsagentur von 2012 gaben 60 Prozent der Befragten in Kroatien an, wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert worden zu sein, das zweithöchste Ergebnis nach Litauen. Die Wucht der tiefsitzenden Vorurteile fand ihren deutlichen Ausdruck in der Kampagne "Im Namen der Familie“. Diese setzte sich für ein Referendum ein, das vorschlägt, die Ehe als Institution verfassungsmäßig als Verbindung zwischen Mann und Frau zu begrenzen. Mit einer deutlichen Mehrheit von 65,76 Prozent stimmten die Kroatinnen und Kroaten nun letzten Sonntag für diese Verfassungsänderung. Damit werden von der Ehe all jene ausgeschlossen, die eine andersartige Gemeinschaft anstreben. Kroatien reiht sich damit zu Länder wie Polen, Bulgarien oder Litauen.

Fragwürdige Vorhaben

"Es handelt sich dabei um eine Reaktion des konservativen Teils der Bevölkerung auf die fragwürdigen Vorhaben der Regierung,“ erläutert der Abgeordnete Zeljko Reiner der Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) und bezieht sich auf den Einsatz der regierenden sozialdemokratische Mitte-links-Allianz für mehr Rechte für gleichgeschlechtliche Paare. Konkret steht derzeit ein Gesetzesvorschlag zur eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft öffentlich zur Diskussion. In über 80 Artikeln werden alle wichtigen Bereiche von Erb- über Pensionsrechte für registrierte Lebenspartnerschaften geregelt. Lesbische oder schwule Paare könnten dann die eigene Partnerschaft eintragen.

"Gemeinsam mit NGOs habe ich vorgeschlagen, einen neuen Gesetzesentwurf zu initiieren“, berichtet Visnja Ljubiˇci´c, Ombudsfrau für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Ihr Amt wurde mit dem Anti-Diskriminierungsgesetz von 2008 geschaffen; eine der Bedingungen zur Aufnahme in die EU. "Wir sind eine sehr junge Demokratie und müssen noch einiges über Menschenrechte und Demokratie lernen.“ Die Ombudsfrau verweist auf Fortschritte insbesondere im Bezug auf Bestrafung von Hassverbrechen.

Doch können Gesetze tatsächlich eine Gesellschaft und tiefsitzende Vorurteile verändern? Für Ljubiˇci´c ist klar, dass eine wirksame Umsetzung der Gesetze wesentlich dazu beitragen könne, die Menschen zu erziehen. "Das Wichtigste aber ist und bleibt die Bildungs- und Aufklärungsarbeit - besonders für junge Menschen“, ist sie überzeugt. Branko Smerdel, Professor an der Rechtsfakultät in Zagreb, formuliert es vorsichtiger: "Meine Vorstellung, dass sich mit einer guten Gesetzgebung vieles von selbst ergibt, musste ich im Laufe der Zeit ablegen.“ Das gelte besonders dann, wenn "die Gesetze zu weit gehen und eine Gesellschaft noch nicht bereit ist für gewisse Veränderungen“. In diesem Fall existierten Gesetze nur auf dem Papier. Ist die kroatische Gesellschaft also noch nicht "bereit“ LSBT Menschen dieselben Rechte zuzuerkennen?

Für LSBT AktivistInnen stellt sich diese Frage nicht. Sie sehen in der Initiative eine Hetzkampagne, die jeden Fortschritt für LSBT Personen verhindern will. Warum etwas in den Verfassungsrang heben, was bereits im Familienrecht steht? "Es geht hier um unsere Menschenrechte. Diese sollten nie einem Referendum unterstellt werden“, betont Sanja Juras, Leiterin der lesbischen NGO Kontra. Daher haben Kontra und andere Organisationen eine Klage eingereicht.

Gesetz trotz Referendum

Trotz des Referendums und der heftigen Proteste will die Regierung den Gesetzesvorschlag zur Lebenspartnerschaft für lesbische und schwule Paare durchziehen. Das Referendum könne dem keinen Abbruch tun, ist Gordana Sobol, Abgeordnete der regierenden SDP, überzeugt. Sie ist aufgrund der vielen Kompromisse im Gesetzestext zuversichtlich: "Für die einen ist es wichtig, dass wir nicht von ‚Familie‘ und ‚Ehe‘ sprechen und für die anderen, dass wir ihre rechtliche Situation endlich regeln.“ Ein Recht auf Adoption ist allerdings nicht vorgesehen. Daher stehe im Entwurf, dass ein Gericht über den Status der elterlichen Fürsorge des zweiten Elternteils von Fall zu Fall entscheiden soll.

Im Fall von Zeljka und Sanda würde dies bedeuten, dass Sanda nicht etwa als zweite Mutter anerkannt wäre, sondern als Skrbnik, was so viel wie Betreuerin oder Bezugsperson heißt. Sanda fürchtet die Möglichkeit, vom Gericht überhaupt keine Rechte über das Kind eingeräumt zu bekommen. Zeljka hingegen sieht das neue Gesetz als einen ersten Schritt hin zu mehr Rechten. Das lesbische Paar will zuerst das Kind bekommen und danach ihre Partnerschaft registrieren, falls das Gesetz verabschiedet wird. Umgekehrt wäre es gar nicht möglich. "Dann wäre bekannt, dass ich in einer lesbischen Partnerschaft lebe, und wir hätten keine Chance mehr auf eine Behandlung.“ So gesehen, ist das Lügen beim monatlichen Termin in der Klinik für die beiden noch das kleinere Übel.

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