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Kulturpolitische Debatten im Kremsierer Reichstag

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Das Ringen, das in der alten Donaumonarchie die revolutionären Bewegungen des Sturm Jahres 1848 auslöste, war auch ein Ringen um die Verwirklichung fundamentaler Forderungen der Menschenrechte, um die Verwirklichung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Erlösung der katholischen Kirche aus den beengenden Banden vormärzlichen jose-phinischen Staatskirchentums. Die Entscheidungen sollten im Reichstag fallen, der nach der Oktoberrevolution in das mährische Landstädtchen Kremsier einberufen worden war.

Die katholische Kirche forderte, gestützt auf den Adressensturm der katholischen Massen, Emanzipation von der staatlichen Bevormundung, volle Freiheit. Die evangelische Kirche kämpfte um ihre Gleichberechtigung und für das Ende des in der josephinischen Zeit begründeten Systems bloßer „Duldung“. Die jüdisch-konfessionelle Freiheitsbewegung entsprang vorwiegend bürgerlichen und politischen Motiven. Petitionen, aus ihrer Mitte an den Reichstag gerichtet, verlangten die Aufhebung der gegen die Juden gerichteten Ausnahmegesetze. Der Entwurf der allgemeinen Menschenrechte, der sogenannten „Grundrechte“, war bis 19. Dezember 1848 im Plenum des Reichstages durchberaten worden. Die §§ 13 bis 18 der Grundrechte umfaßten den Komplex kirchenpolitischer und religiöser Fragen, die in den Sitzungen des Reichstages von hoher Warte aus eingehend und leidenschaftlich diskutiert wurden. § 13 sicherte allen österreichischen Staatsbürgern die Freiheit des Glaubens und der öffentlichen Religionsübung zu. § 14 sah keinerlei staatliche Vorrechte für eine religiöse Gesellschaft und keinen Zwang zur Teilnahme an religiösen Handlungen und kulturellen Verpflichtungen vor, zu denen man sich nicht bekannte. § 15 regelte das Verhältnis zwischen Staat und Kirche, namentlich in der Sache des Kirchenvermögens, die Wahl der Kirchenvorsteher und der Bedingungen des Fortbestehens oder Aufhörens von Klöstern und geistlichen Orden durch bestimmte Gesetze. Als der Troppauer Abgeordnete Dr. Hein am 15. Dezember die immerwährende Aufhebung der Orden der Jesuiten und Redemptoristen, die „staatsgefährlich“ seien, beantragte, befürchtete Franz Palacky, der tschechische Historiograph, die religiöse Freiheit könne dadurch eingeschränkt werden.

Die Textlerung der Grundrechte atmete den Geist der Aufklärung, des Liberalismus. Das vielbändige Staatslexikon von Rotteck und Welcker, entstanden im „Vormärz“, das auch in Österreich trotz Zensur und Polizeidruck stark verbreitet war, hatte die Anschauungen der österreichischen Freiheitspartei theoretisch sehr beeinflußt. Sie wollten eine relative Freiheit und sie brachten in die hochstehenden und immer formvollendeten Debatten, die seit 4. Jänner 1849 über die Grundrechte liefen, kulturkämpferische Töne. Sie stellten sich in offenem Gegensatz zu der katholischen Massenbewegung, die eine wahrhaft demokratische, alle Völker des Kaiserstaates umfassende war.

Am 12. Februar begann die große Generaldebatte über die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche. Von den liberalen Rednern erblickte der Olmützer Abgeordnete Szabel in dem Verlangen des Episkopats nach Freiheit das Mittel, „nur seine bedrohte Macht zu schirmen, nur den Absolutismus wenigstens auf seinem Gebiet unzugänglich fortzupflanzen“. Und er forderte: „Frei soll die Kirche werden, so frei wie die Republik der freien Gemeinde ... aber nicht unbedingt und nicht dann, wenn die Kirche von Häuptern regiert wird, welche unter dem absoluten System an den Brüsten der Hierarchie großgezogen werden... und insolange nicht, bis der kirchliche Absolutismus nicht vernichtet wird .. .*

Der Wiener Dr. Brestel befürchtete, die Unabhängigkeit der Kirche bringe die Jesuiten und Liguorianer zurück. Abbate Prato aus Südtirol, politisch zur Linken zählend, meinte, der Staat möge jene Grundsätze aussprechen, welche seinen Bürgern die vollste religiöse Freiheit und Gleichberechtigung zugestehen, der Kirche aber vollste Unabhängigkeit. Der Tiroler Advokat Haslwanter sprach am 22. Februar in der Spezialdebatte als „Sohn der katholischen Kirche“, wies auf deren bisherige geknechtete Stellung hin, auf die seit Joseph II. aufrechtgebliebene „weltliche Omnipotenz in kirchlichen Sachen“. Die Kirche sei unfrei In Lehre, Kultus, Verfassung und Vermögen, die Bischöle seien Staatsbeamte. Er schloß mit der Forderung:

„Freiheit für die Kirche, jedem das Seine!

Dem Kaiser seine feste Kronel Der Kirche eine freie Mitral

Dem Volke den grünenden Bürger-kranzl“

Am 6. März 1849 endete die Tätigkeit des konstituierenden Reichstages; er hatte dem § 15 über die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche eine Fassung gegeben, die eine Regelung der Beziehungen des Staates zu den einzelnen Religionsgesellschaften auf der Grundlage der Unterordnung der Kirche unter die staatlichen Gesetze, Autonomie in den kirchlichen Angelegenheiten und als demokratische Basis die Wahl der Kirchenvorsteher durch die kirchlichen Gemeinden und Synoden vorsah.

Die Absicht des Reichstages, die Verfassung vom 15. März in Bausch und Bogen zu erledigen, ging jedoch nicht in Erfüllung. Die siegreiche Reaktion war seit Jänner entschlossen, der Tätigkeit des Reichstages ein Ende zu setzen. Sie wähnte, ein „neues Österreich“ ohne Demokratie bauen zu können. Sie erreichte die gewaltsame Auflösung des Reichstages und setzte an die Stelle des in seinem Schöße entstandenen Verfassungsentwurfes die oktroyierte, zen-tralistische Gesamtstaatsverfassung vom 4. März 1849. Statt der .Grundrechte“. § 2 der neuen Verfassung bestimmte: „Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellsdiaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet Ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitz und Genus»« der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohl-tatigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde, Ist aber wie jede Gesellschaft den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.“

Mit dieser Bestimmung, die grundsätzlich die Glaubens- und Gewissensfreiheit anerkannte, verzichtete der Staat auf die seit Joseph II. geübten Eingriffe in das Kirchenregiment. Aber noch stand das in zahllosen Gesetzen und Verordnungen durch zwei Generationen praktizierte „josephinische System“ aufrecht da, noch ging der Kampf um die Emanzipation der Kirche von staatlicher Gewalt weiter. Dr. Veith sagte in den „politischen Passionspredigten nach dem Ok-troy des 4. März: „Die Kirche will fortan keine Staatskirche sein, keine religiöse Polizeianstalt, keine Registratur für die Geborenen, Vakzinierten und Verstorbenen: ihre Lehre und Wissenschaft soll nimmer vom Staate nach seinem Belieben ihr zugemessen, die Verbindung mit ihrem Oberhirten nimmer vom Staate unterbunden und von ihm abhängig erklärt werden und die Leitung ihrer Angelegenheiten ihr selbst überlassen bleiben.“ Die Wiener Bischofskonferenz, Frühjahr 1849, formulierte in sieben Eingaben ihr Programm, „einem Gedanken dienend, Abschaffung der josephinischen Gesetzgebung“. Diese Anregungen fanden nach längerem Zögern die Zustimmung der Regierung. Die kaiserlichen Verordnungen vom 18. und 23. April 1850 bedeuteten „die Grabrede des Josephinismus“. Sie gaben der katholischen Kirche die Freiheit wieder. Für die Protestanten kam die Erfüllung ihrer wichtigsten Postulate aber erst 1861. Im Patente vom 8. April, erhielten sie die gesetzliche Basis für ihre kirchliche Organisation und Autonomie.

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