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„Zahme Geschichte aus wilder Zeit“

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Die Wiener Ereignisse des Jahres 1848 waren ernst, aber sie entbehrten nicht der heiteren Episoden. Man darf dazu einen Konflikt rechnen, der im September zwischen der ersten österreichischen Volksvertretung und der gesamten Wiener Journalistik ausgebrochen war. Der konstituierende Reichstag und die damalige üppige Zeitungspresse — beide Kinder der Revolution — waren hart aneinandergeraten; von beiden Seiten wurde mit schwerem Geschütz aufgefahren, aber noch während des Aufprotzens waren beide Kampfpartner schon auf den Rückzug bedacht und von der Frage gequält: „Wie kommen wir aus dieser Affäre in guter Haltung wieder heraus?“

Am Tagungsort des konstituierenden Reichstages, in der kaiserlichen Winterreitschule in der Hofburg, befanden sich die Jburnalistenlogen hart an den obersten Bänken der äußersten Rechten und Linken. Von der einen Seite zur anderen gab es ein fortwährendes Zuwinken uijd Zurufen, das der Würde des Ortes nicht gerade entsprach. In dem von Abgeordneten und Journalisten gemeinsam benützten Vorraum zwischen dem Stiegenaufgang und dem Beratungssaal spielte sich, wie Dr. Josef Alexander Freiherr von Helfert, der damals Beamter des Reichstages war, bezeugt („Die Wiener Journalistik im Jahre 1848"), Cthe Art politischer Börse ab: Journalisten suchten sehr nachdrücklich ihre Meinungen den Abgeordneten nahezubringen, unschlüssige Abgeordnete zu beeinflussen und stellten Abgeordnete wegen ihrer Haltung bei Abstimmungen zur Rede. Die vom Reichstag bestellten vier Ordner erstatteten am 6. September dem Präsidenten über solche Vorfälle Bericht; darauf wurde verfügt, daß für die Journalisten ein eigener Zugang zu ihren Logen geschaffen werde. Die Änderung wurde zunächst nicht betrieben; als aber am 16. September an Stelle eines ausgeschiedenen Ordnen, der Abgeordnete für

Vlašim in Böhmen, Alois Jelen, trat — „es war ein Original von derben Formen und schlagendem Witz, Fanatiker für Ordnung und Gesetzlichkeit, die vielleicht sein ganzes politisches Programm ausmachten", bemerkt Helfert —, da setzte dieser die beschlossene Maßnahme sofort in Vollzug. Als die Journalisten zur Sitzung vom 26. September ihre Plätze aufsuchen wollten, fanden sie den Zugang vom Treppenhaus aus geschlossen, auf einem Anschlag am Haustor aber stand zu lesen, daß der Zutritt in die Vorhalle des Reichstagssaales niemand außer den Abgeordneten gestattet sei, und den Zeitungsvertretern wurde bedeutet, daß sie vom Michaelerplatz aus gegenüber der Hofapotheke zu ihren Plätzen gelangen würden. Dieser Zugang war kein sehr einladender, aber schließlich saß auch der Reichstag in einer Reitschule, und deren Nebenräume hatten daher tatsächlich etwas Stallmäßiges an sich. (Eine gallige Schilderung dieser Räume gab Siegfried Kapper in der „Bohemia"vom 6. Oktober 1848.) Doch weniger der unsympathische Zugang als die Tatsache, daß die Vertreter der Presse künftig vom unmittelbaren Verkehr mit den Abgeordneten ausgeschlossen und in ihrer Loge „abgesperrt wie wilde Tiere in der Menagerie“ sitzen sollten, brachte die Vertreter der Presse in Harnisch. Sie nahmen zwar ihre Plätze ein, aber als der Präsident Strobach die Sitzung eröffnet hatte, packten sie geräuschvoll ihr Handwerkzeug zusammen und verließen gemeinsam den Saal. Vor Schluß der Sitzung interpellierte der Abgeordnete Borrosch den Vorsitzenden, waa dieses Verhalten der Journalisten zu bedeuten habe, doch nach bewährtem englischen Muster erklärte der Präsident, es sei ihm „von dem Verschwinden der Journalisten und dessen Grund offiziell nichts bekannt".

Die streikenden Zeitungsleute, 69 an der Zahl (in „Zahme Geschichten aus wilder Zeit” von Friedrich W. Ebeling werden sie namentlich angeführt), hielten Kriegsrat in dem Literaten-Cafe Grünsteidl, Ecke Herren- und Schauflergasse, das damals den Namen „Cafi National“ angenommen hatte. („Wiener Reichstagsblatt“ vom 27. Sepember.) Wintersberg von der „Constitution“ berichtete zunächst, daß er mit dem Abgeordneten Trojan eine Kontroverse wegen der Abstimmung über den bekannten Antrag Kudlichs gehabt und er gegen die geheime Abstimmung aufgetreten sei, weil, nach seiner Meinung dadurch dem Reichstag ein Makel anhafte; Trojan habe ihm erwidert: „Sind Sie berufen, Moral zu predigen? ', worauf er, Wintersberg, erwidert habe: „Jeder kann es, der sie übt;" Trojan gab zurück: „Wir werden uns Gäste Ihrer Art vom Halse zu schaffen wissen.“ Wilhelm Ehrlich von der „National-Zeitung“ erzählte von einem Zusammenstoß mit dem Ordner, Abgeordneten Podlewski, weil in den Journalistenlogen keine Drucksorten aufgelegt worden waren: „Sind die Abgeordneten Ihre Bedienten?“ fragte Podlewski; „Sie sind zunächst Ordner des Hauses", erwiderte der Journalist, „und als solcher Bediener aller zum Hause Gehörigen"; Podlewski ließ den Journalisten mit den Worten stehen: „Die Herren sollen uns nicht mehr lange belästigen.“ Schließlich beantragte Kapper, eine Protestnote an den Reichstag zu verfassen, die durch alle Zeitungen Europas (!) veröffentlicht werden solle, und August Zang von der „Presse" stellte den Antrag, sämtliche Anwesende sollten sich verpflichten, den Reichstagssaal weder zu betreten, noch über die Verhandlungen zu berichteh, ehe nicht ,Satisfaktion“ geleistet wäre. Beide Anträge wurden einstimmig angenommen und dann trennte man sich, um sich am Nachmittag in der Wohnung Zangs am Kohlmarkt ‘wieder zu versammeln.

In dieser zweiten Sitzung wurde zunächst der inzwischen von einem Fünferausschuß entworfene Protest vorgelesen und einstimmig angenommen. Dieser Protest erklärte: „In der unerschütterlichen Überzeugung, daß in diesem .Falle nicht nur unserer beleidigten persönlichen Ehre, sondern auch den Rechten der Presse voll Rechnung getragen werden muß, erwarten wir die Zurücknahme dieser Maßnahme.“ Das Schriftstück wurde von allen Anwesenden — es waren nur mehr 61 — unterzeichnet und einer dreigliedrigen Abordnung zur Überreichung an das Reichstagspräsidium übergeben. Die Beratung der Einundsechzig wurde nachmittag fortgesetzt, doch jetzt, nach dem Mittagessen, zeigten sich mildere Auffassungen und plötzlich sprang die Frage auf: Was soll geschehen, wenn der Reichstag den Protest verwirft oder gar ignoriert? Wohl donnerte Doktor Ignaz Kuranda von der „Ostdeutschen Post": „Wir dürfen nicht als Supplikanten auftreten. Wir sind eine Macht, die als solche der Macht gegenübersteht. Wenn wir die Reichstagsverhandlungen aus unseren Spalten verweisen, wenn die Mandanten nichts von den Deputierten hören, was werden sie dann sagen?" Aber es meldete sich scharfer Widerspruch: Am Ende brauche die Journalistik den Reichstag genau so wie der Reichstag die Journalistik. Doch kam noch der Beschluß zustande, an der Einigung der Zeitungsleute, zu der die Demonstration gegen den Reichstag geführt hatte, festzuhalten und sich zu einem Journalistenverein oder, wie es einige großartiger nannten, zu einem „Journalistenparlament", zusammenzuschließen.

Am gleichen Nachmittag war auch der'Reichstag wieder zusammengetreten. Die Sitzung dauerte bis in die Abendstunden. „Die Lichter brannten düster, ermüdend schleppte sich die Beratung über einen finanziellen Gegenstand fort, die ungewohnte Leere und Stille in den Journalistenlogen trug dazu bei, die unheimliche Schwüle im Saal noch peinlicher zu machen“ (Helfert). Gegen acht Uhr, vor Schluß der Sitzung, wurde das Protestschreiben der Journalisten verlesen. Es machte auf die ermüdeten Abgeordneten wenig Eindruck. Ihm fügte Abgeordneter Löhner (Saaz) einige Worte der Hoffnung an, daß die Herren Ordner „im Geiste der Humanität" die Sache so schlichten würden, wie es auch der Würde des Reichstages gegenüber der Presse gebühre. Aber gegen Löhner stand der Abgeordnete für Tachau auf, bezeichnete den Protest als eine Anmaßung, für die er keine Worte finde, und beantragte unter großem Beifall, das Schreiben unberücksichtigt zu lassen und ad acta zu legen.

Doch dem Reichtag erging es ähnlich wie den Journalisten. Bei seiner Überlegung der Situation fand das Präsidium, daß schließlich der Reichstag doch der Presse bedürfe, denn „was sollte aus diesen Verhandlungen werden, wenn sie nicht zur Kenntnis des Publikums, der berechtigten Kommittenten in den verschiedenen Ländern der Monarchie gelangten?“ (Helfert). Der Präsident legte also die Sache in die Hand der Ordner, diese wieder betrauten Jelen damit, für eine Beilegung des Konflikts zu sorgen, ohne an der getroffenen Maßnahme etwas zu ändern.

Am 28. September trat im Sperl-Saal das „Journalistenparlament“ zusammen. Die Stimmung war mehr als flau. Man sprach bereits von einem unüberlegten Schritt, den man getan habe, und fand zwar viel Ehre, aber wenig Trost darin, daß die akademische Jugend eine Zustimmungsadresse gesandt hatte. Es fielen scharfe Worte über den hitzigen Tachauer Abgeordneten, man ließ erkennen, daß man im Innersten der Seele dessen Entrüstung doch nicht ganz ungerechtfertigt fände. Selbst die „Presse“, deren Herausgeber Zang durch seinen Abstinenzantrag den Konflikt zugespitzt hatte, suchte in ihrem Leitartikel vom 28. die schroffe Sprache des Schriftstückes beschwichtigend zu erläutern oder als absichtsloses Versehen zu entsdiuldigen; niemand falle es em, „mit dem souveränen Reichstag als Gleichberechtigter zu unterhandeln", die Herren Ordner des Reichstages seien in der Lage, zu vermitteln und es sei „von höchstem Interesse, daß dies bald geschehe“. Die „Allgemeine Slavische Zeitung“ vom gleichen Tag sprach offen ein „Ersuchen an eine Hohe Reichsversammlung" um Abhilfe aus. Also Rückzug und durch das Journalistenparlament im Sperl-Saal Wahl eines elf- gliedrigen Ausschusses, der mit dem Reichstagsbüro wegen eines Ausgleiches in Verhandlung treten sollte („Wiener Postillon“ vom 29. September).

Noch ein weiteres Ereignis verschlechterte die Stellung der Streikenden. Bei der Beschlußfassung im Cafe National hatten die Vertreter der „Wiener Zeitung“ und der „Allgemeinen österreichischen Zeitung“ gefehlt und man war daher durch Abordnungen an sie herangetreten, sich der Beschlußfassung anzuschließen. Bei dem „Haupt-Redacteur" des letzteren Blattes hatten sie von vorneherein kein Glück. Dieser, Ernst von Schwarzer, war bis vor fünf Tagen im Kabinett Doblhoff auf dem Stuhl des Ministers für öffentliche Arbeiten gesessen; er erklärte, er wolle mit den Wiener Journalisten keine Gemeinschaft mehr .haben, da sie ihn während seiner Ministerschaft beispiellos verunglimpft und förmlich in den Kot getreten hätten. Der Vertreter der amtlichen „Wiener Zeitung“ sagte zwar zu, sich dem Beschluß einer Kollegen fügen zu wollen, und tatsächlich brachte auch gleich den übrigen Blättern die „Wiener, Zeitung“ am 27. keinen Parlamentsbericht, allein der dafür Verant-

wörtliche wurde von seiner Redaktion verabschiedet, und am 28. kündete das Blatt an, daß es den Bericht über die Sitzung vom 26. nachtragen und von der nächsten Sitzung an die Referate „so regelmäßig wie früher" bringen werde.

Die Lage der Streikenden war düster. Würde das Vorgehen der „Wiener Zeitung" nicht alsbald Nachahmer finden? Wie war dann das Ende? Aber man hatte doch im Caff Grünsteidl den Rütlischwur getan, nie zu wanken, bevor man nicht Satisfaktion hätte.

Angesichts dieser Stimmung hatte der Ordner Abgeordnete Jelen leichtes Spiel. Ein anderer Zugang zu den Journalistenlogen wurde ausfindig gemacht und der Ausschuß der Journalisten erklärte sicHerleichterten Herzens befriedigt. Der eigentliche Grund der Entrüstung, nämlich die Ausschließung vom Vorsaal des Reichstages und die „Absperrung wie die wilden Tiere in einer Menagerie", kam nicht mehr zur Sprache. In der Sitzung vom 29. September waren die Journalistenlogen wieder voll besetzt und am 30. September berichteten die Blätter von der Beilegung des Konflikts.

Bald sollte diese Ruhe von den Stürmen der Oktoberrevolution unterbrochen werden.

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