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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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EIN KNICGE FÜR DEN „SOUVERÄN“. Manche Schulen haben den Besuch einer Sitzung des Nationalrates in ihr Unlerrichtsprogramm eingebaut. Weil nun die Nationalräte den Rahmen für alles öffentliche Leben festlegen und mit ihrer Gesetzgebung tief in die Intimsphäre des Privaten eingreifen, haben sie irgendwo den Charakter von Souveränen, von Landesvätern. Daher ist es so, dafj die Schüler den Besuch einer Parlamentssitzung dem Empfang im Rahmen des Levers bei einem Landesvater gleichsetzen. Nun mehren sich aber die Stimmen aus Lehrerkreisen, welche der Ansicht sind, es sei —' schon aus patriotischen Gründen — besser, den Schülern den Besuch einer Nafionalratssitzung zu ersparen. Warum das? Werden etwa staatsfeindliche Reden gehalten und dies im Rahmen der Nafionalratssitzung. Ja, mitunter auch das. Aber die österreichfeindlichen Reden, die von ganz rechts und links gehalten werden, sind derart formuliert, dafj sie heute einen jungen Menschen kaum anfechten können. Der Grund für die Gefährdung der „demokraJischen“ Gesinnung der jungen Besucher ist ein anderer: nämlich die Art, wie sich zuweilen die „Souveräne“ beim Lever geben. Manchmal im Saal gähnende Leere, so dafj Besucher glauben, sich im Ort geirrt zu haben und in einem Premierentheater zu sein. Irgendwo, wenn die Schüler dann den Sitzungssaal genau absuchen, finden sie einen einsamen Abgeordneten, der „auf das G'wand aufzupassen“ scheint und zum Zeitvertreib den

Sportteil einer Tageszeitung analysiert. Währenddessen ist oben auf der Rednertribüne ein Herr bemüht, eine Vorlesung zu halten und dabei, mangels Zuhörer zu ebener Erde, die im ersten Stock befindlichen Schüler anzusprechen und zu bewegen, seine Ansicht anzunehmen. Da aber die Abstimmung über eine Novellierung, z. B. des Einkommensteuergesetzes, nicht unter den Schülern, sondern unten im Saal vorgenommen werden muh, sind die Schüler nicht recht im Bild. Es ist ganz selten, dafj sich die parlamentarische Prärie etwas belebt. Das ist etwa dann der Fall, wenn zwei ansonsten würdige und gesittete Herren sich urplötzlich (und den jungen Menschen oben im ersten Stock unverständlich) Schimpfworte zuwerfen, die a) immunisiert (also legalisiert) und b) derart sind, dafj,die lieben Kinder sich sagen mühten, sie selbst würden sicher hart bestraft werden, sollten sie sich vor dem Herrn Lehrer gegenseitig jene Titel geben, die sich die Herren Abgeordneten verleihen. Und so mehren sich die Enttäuschungen der Schüler, die schliefjlich in das Parlament gehen, um eine Hetz' zu haben. Das sollte aber nicht der Sinn der Visite sein. Freilich wissen die Kundigen, dafj die wirkliche parlamentarische Arbeit (und das mit Recht) nicht vor der Tribüne geleistet wird. Man kann dewegen noch nicht von Formaldemokratie sprechen. Wie lange würde beispielsweise die Beratung der Wirtschaftsgesefze dauern, wenn jeweils alle 165 Abgeordneten dabei sein mühten. Das Gewicht der Demokratie liegt keineswegs auf den demokratischen Gesten. Aber man sollte das den jungen Menschen sagen (oder es wäre besser, man liehe die Parlämenfsbesuehe und führe den Schülern die Tätigkeit anderer demokratischer Institutionen voj bei denen das demokratische Planspiel sich eindrucksvoller abwickelt). Gleiches mufj man wegen der Ueber-tragung der Parlamenfssifzungen im Rundfunk sagen (die Vorführung der nach Elisabeth Arden hergerichteten Abgeordneten vor den Fernsehauf nahmeqeräten .steht uns noch bevor). Bisher war die Wirkung der Uebertragung der Reden der Abgeordneten bei den Schülern und bei den „Massen“ keineswegs eine positive. Wenn etwas der Demokratie schaden kann (in Oesterreich mit seinen überaus kritischen Menschen), dann ist es hier ein Zuviel an Publicity.

ERSCHLAGEN VON DER „BETONSCHLAGADER“ t Die Wortführer der umkämpften neuen Wachaustrahe haben ausgesprochenes Pech mit den Propagandisten ihres Projektes. Waren es doch diese, die mit dem Wort „Uferrollbahn' und anderen Unruhe auslösten und die Abwehr weifer Kreise auf den Plan riefen. Es bedurfte dann des persönlichen Engagements der Verantwortlichen, um die ärgsten Befürchtungen zu zerstreuen. Mehr als alle Worte und Erklärungen trug aber die Nachricht, in Dürnsfein habe sich gegen allerlei Widerstände das einzig tragbare Tunnelprojekt durchgesetzt, zu einer gewissen Beruhigung bei. Auch die Forderung, wo immer es geht, vom Strom abzurücken, soll — so hörte man — nicht mehr auf taube Ohren stoßen. Die kritischen Stimmen waren also nicht umsonst gewesen. Man durfte hoffen... Freilich nur so lange, bis man am letzten Sonntag in einem dem Worfführer des Projektes nahestehenden Blatt eben lesen konnte: Betonschlagader am Nibelungenstrom. Und wer es noch deutlicher wissen wollte, dem wurden „Riesenparkplätze an der Donau“ in Aussicht gestellt. Wirklich, nicht gerade gute Nachrichten für alle Wachaufreunde. Wahrer Schrecken aber muhte jeden, der diese einzigartige Landschaft liebt, erfassen, wenn er über das St. Michael zugedachte Schicksal das erstemal Einzelheiten erfährt:

„St. Michael mutet auf den Zeichnungen der Architekten geradezu italienisch (!) an. Die Strohe, die von Wösendorf aus gerade am Donauufer verläuft, wird — sobald sie St. Michael erreicht hat — sanft hochgezogen und führt am Friedhof vorbei. Gerade unterhalb des „Schanzls“, eines der schönsten Aussichtspunkte der Wachau, erreicht sie ihren Kulminationspunkt und sinkt dann langsam zum Spitzer Becken ab, um sich mit der alien Strohe zu vereinigen, die in ihrer Art als Zufahrtssfrahe erhalfen bleibt. Ein Graben, der noch vor der Steigung der Strohe zum Ort hinaufführt, wird als zweite Zufahrtsstraße mit zehn Prozent Steigung ausgebaut werden. Um die häßlichen Stützmauern (!) an der Wasserseite aufzulockern, hat man sie in Form von Rundbögen (!) konzipiert. Am-Westeingang des Ortes wird ein altes Pfarrhaus einem Parkplatz weichen müssen (!).“ Eine etwas erhitzte Reporterphanfasie? Ja oder nein. Wenn nicht, dann wäre es notwendig, wieder einmal in Sachen Wachau die Sturmglocke zu läuten.

NEY OHNE MARSCHALLSTAB. Der neue Herr im „Weifjen Haus“ — so nennen die Saarbrückner jene typische Gründervilla, die die Regierung des Saarlandes beherbergt — heifjt -nun Dr. Hubert Ney. Der im siebenten Jahrzehnt stehende Rechtsanwalt und Chef der CDU an der Saar trägt nicht nur den gleichen Namen wie der Treuesfe der Treuen von Napoleons Marschällen, er stammt auch aus dessen Heimatstadt: aus Saarlouis. Verständlich, dafj sich an diese Tatsache manche boshafte Bemerkungen über jenen Mann knüpfen, der einst auszog, um die katholischen Saarländer für die prodeutsche Sache zu gewinnen. Pas war erst vor wenigen Monaten, und wie lange scheint dies heute schon Vergangenheit. Damals war alles vief einfacher. Man vereinigte sich mit den prodeutschen Sozialisten und den unter der Führung von Dr. Heinrich Schneider stehenden nationalliberalen Kräfte im „Deutschen Heimatbund“, man wetterte gegen Herrn Hoffmann und das Saarsiatut. Als aber dieses Statut abgelehnt und „der Dicke“ — wie es der Slogan jener Tage gefordert — „weg“ war, wurde es schwieriger. Der Wonnemond der prodeutschen Heimatbundeinigkeit war kurz. Die Landtagswahlen im Dezember brachten zwar die erwartete Mehrheit der Heimatbundparteien, allein die mit dem Odium des „Separatismus“ behaftete Christliche Volksparfei des ehemaligen Ministerpräsidenten Hoffmann konnte sich' mit 13 Mandaten gleich an die Fersen von Neys CDU heften, die in den neuen Landtag führend mit 14 Abgeordneten einzog, Heinrich Schneiders zwölf Mannen folgen. Der Sozialismus spielt an der Saar eine Nebenrolle. Da man sich bemühte, die „Heimat-bund“-ldeologie auch in die geänderten Verhältnisse hinüberzureften und zur Basis der neuen Regierung zu machen, wurden Hubert Ney und Heinrich Schneider Schlüsselfiguren der neuen Saarpolitik. Dafj das Verhältnis zwischen dem eher umgänglichen — manche sagen: labilen — und auch zu Komplimenten gegenüber Frankreich bereiten CDU-Chef und dem eher intransigenten DPS-Führer, der seine politische Lehrzeit einst als Gefolgsmann Hitlers absolviert hatte, kommen mufjfe, war allen Eingeweihten klar. „Ich habe Herrn Schneider bisher nur ein-, zweimal auf der Stiege getroffen“, betonte Ney im Herbst nachdrücklich gegenüber dem Schreiber dieser Zeilen, als dieser die Befürchtung äuherte, der Nachbarschaft des Raumes — CDU und DPS haben in Saarbrücken im gleichen Haus ihr Hauptquartier — werde eine Nachbarschaft des Geistes folgen. Nun sind die Gegensätze sehr bald offen ausgebrochen. Heinrich Schneider geht nicht in ein Kabinett Ney. Er wird als Landfagspräsidenf dennoch nicht geringen Einflufj ausüben. Huberl Ney aber wird seine Eignung als Regierungs-i chef erweisen müssen. Und es wird uns nichl wundern, wenn langsam, aber sicher Fäden zwischen den in „Nationalisten“ (lies: CDU) und „Separatisten“ (lies: CVP) gelrennten chrisf-lichen Brüdern gesponnen werden...

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