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Scheidung auf italienisch

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Der italienische Senat hat am 9. Oktober mit 164 gegen 150 Stimmen die Gesetzesvorlage zur Einführung der zivilrechtlichen Ehescheidung angenommen. Elf Monate vorher hatte bereits das Abgeordnetenhaus dieses Gesetz, das der sozialistische Abgeordnete Loris Fortuna eingebracht hatte, angenommen. Für die Scheidung stimmten im Abgeordnetenhaus wie im Senat Sozialisten, Republikaner, Liberale, Kommunisten und Sozialproletarier. Christ-Demokraten, Neo-Faschisten und Monarchisten waren dagegen. Die vom Senat verabschiedete Vorlage unterscheidet sich von dem im Abgeordnetenhaus angenommenen Entwurf erheblich, da Schutzklauseln für Kinder eingebaut wurden. Daher muß sich nach der italienischen Verfassung das Abgeordnetenhaus noch einmal mit der Angelegenheit befassen.

Italien ist eines der wenigen Länder, die bis heute keine Ehescheidung im üblichen Sinn« kennen. Selbst nach der Einigung Italiens vor 100 Jahren, als das offizielle Regime sehr antikirchlich eingestellt war, wagte es keine Regierung, Scheidungsgesetze einzuführen. Das einzige, wozu sie sich entschlossen, war die Einführung der obligatorischen Zivilehe. Die Ziviltrauung konnte auch nach der kirchlichen Trauung vorgenommen werden, anders als in Deutschland oder Österreich, wo die Ziviltrauung immer vor der kirchlichen stattfinden muß. Als 1929 der Ausgleich mit dem Vatikan erfolgte, wurde die obligatorische Ziviltrauung abgeschafft und durch eine fakultative ersetzt. Wer sich kirchlich trauen ließ, unterstellte sich damit dem kirchlichen Ehegesetz. Die Bestimmungen über das in Italien derzeit geltende Eherecht sind durch einen internationalen Vertrag, das Konkordat mit dem Vatikan vom Jahre 1929, geregelt. Bestünde dieses Konkordat nicht, wäre es eine innere Angelegenheit Italiens, ob Scheidungsgeseize erlassen werden oder nicht. So aber hätte sich Italien mit dem Vatikan ins Einvernehmen setzen müssen, um dessen Zustimmung zu erlangen. Denn nur auf Grund einer zweiseitig« Vereinbarung, wie bei internationalen Verträgen üblich, hätte der betreffende Paragraph des Konkordates außer Kraft gesetzt werden können. Italien hat dies in der Erkenntnis unterlassen, daß eine Zustimmung des Vatikans wahrscheinlich niemals zu erlangen gewesen wäre. So hat das Scheidungsgesetz den Schönheitsfehler, daß damit ein internationaler Vertrag gebrochen wird.

Mit Verwunderung und Schmerz nahm das offiziöse Vatikanblatt „L'Osservatore Romano“ das Abstimmungsergebnis im römischen Senat zur Kenntnis. In einem ungezeichneten Kommentar in der Sonntagsausgabe wurde erneut betont, daß die Ehescheidung die Übelstände in einer Familie nicht beseitige, sondern verschlimmere. Das katholische Gewissen — heißt es ferner — müsse das Scheidungsgesetz als dem göttlichen Gesetz und den Interessen der Familie entgegengesetzt beurteilen. Auffallend ist, im Gegensatz zu früheren' Stellungnahmen des „Osserva-tore“, der relativ vorsichtige und gemäßigte Ton des Kommentars. Sollte das Scheidungsgesetz in Kraft treten, werden sich auf einen Schlag zehntausende Italiener scheiden lassen. Dann wird es wieder still we-den. Denn es sind vor allen Dingen die Frauen in Italien, die gegen die Ehescheidung sind. Wenn das Gesetz auch im Parlament durchgeht, bei einer Volksabstimmung, bei der die Frauen mitstimmen, würde es sicherlich unterliegen. Scheidung war in Italien nie populär und wird es kaum je sein. Als sehr wahrscheinlich gilt eine Lösung „all'Italiana“, nämlich Verabschiedung der vom Senat gutgeheißenen Fassung noch vor Ende Jänner, wodurch das Scheidungsgesetz bereits binnen vier Monaten in Kraft träte, aber nach einem Jahr durch den Verfassungsgerichtshof wegen seiner Verfassungswidrigkeit wieder aufgehoben würde. Die De-moerazia Cristiana und die katholische Kirche haben kein Hehl daraus gemacht, daß sie an Italiens höchstes Gericht appellieren würden.

Da das Urteü des Verfassungs-gerichtshofes ein gutes Jahr auf sich warten lassen dürfte, könnten vorher die dringendsten Scheidungsfälle erledigt werden. Nicht von ungefähr haben sich schon jetzt schätzungsweise 80.000 Italiener (und Italienerinnen) mit ihren Anwälten in Verbindung gesetzt, um die Ehescheidung unverzüglich nach der endgültigen Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes einzuleiten.

Nachdem die Schleuse eine Weile offen war, könnte sie das Verfassungsgericht wieder schließen. Was das Gericht unterläßt, könnte das Volk durch eine Abstimmung im sogenannten Referendum erwirken. In der (von Meinungsumfragen bestätigten) Erwartung, daß 'die Mehrheit der Stimmbürger gegen die Scheidung ist, befürworteten die Christ-Demokraten vor zwei Jahren die Einführung des Referendums in Italien.

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