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Anführungzeichen

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Mit seinem zehnten Beschluß im neuen Jahr hat der italienische Verfassungsgerichtshof die Durchführung des Referendums zur Abschaffung des am 1. Dezember 1970 vom Parlament verabschiedeten Ehescheidungsgesetzes zugelassen und damit die Abhaltung einer Volksbefragung über diese heikle Angelegenheit ermöglicht. Tritt nicht etwas Besonderes ein, so muß Staatspräsident Leone die 35 Millionen Stimmbürger und Stimmbürgerinnen binnen kurzem aufbieten, an einem Sonntag zwischen dem 15. April und 15. Juni zur Scheidung Stellung zu beziehen. Da sich die Gemüter über die Opportunität der neuen Einrichtung keineswegs einig sind und der Vatikan sie für Italien von Anfang an mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft hat, ergibt sich die Möglichkeit, daß im Pro und Kontra der Ehescheidung, 70 Jahre nach Beendigung des sogenannten Kulturkampfes, dieses Land einmal mehr von einer Art Religionskrieg heimgesucht wird, wobei die Hoffnung besteht, daß es nur ein Religionskrieg zwischen Anführungszeichen sein wird.

In Rom sind diesseits und jenseits des Tiber zahlreiche Prälaten und Politiker fieberhaft damit beschäftigt, die Volksbefragung über das Ehescheidungsgesetz und damit diesen „Religionskrieg“ kurz vor Torschluß des präsidialen Dekretes zu umgehen. Auch der Vatikan hat ein Interesse, das ohnehin nicht zum Besten bestellte Verhältnis mit dem italienischen Staat nicht unnötig zu belasten. Kommt es zu einem Urnengang über das Scheidungsgesetz For-tuna-Baslmi, so muß die Democrazia Cristiana wohl oder übel gegen ihre bisherigen Bündnispartner in der Regierung Stellung beziehen, und sieht sich auf Seiten der Neofaschisten, die nur auf die Gelegenheit warten, die vor neun Jahren aus der Taufe gehobene Koalition links der Mitte zu sprengen und — wie Mussolini zur Zeit der Unterzeichnung der Lateranverträge im Jahre 1929 — sich als gute Katholiken auszuweisen.

Daß unter solchen Vorzeichen die Scheidungsfrage im Mittelpunkt der Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung steht, liegt auf der Hand. Der designierte Ministerpräsident Colombo versuchte zunächst, die vier Parteien links von der Mitte für ein neues Scheidungsgesetz, das sogenannte „Divorzio bis“, zu gewinnen. Kann es das Parlament vor dem 15. April verabschieden, so ist das Referendum gegen das alte, außer Kraft gesetzte Gesetz gegenstandslos. Es wird als unwahrscheinlich bezeichnet, daß die beiden Häuser — Senat und Kammer — in doppelter Lesung ein umstrittenes Gesetz in derart kurzer Zeitspanne unter Dach bringen können, und dies um so weniger, als neofaschistische und christlichdemokratische Parlamentarier die Debatte durch Filibuster-Obstruktionismus in die Länge ziehen könnten.

Ein zweiter Weg, um die Volksbefragung über das Ehescheidungsgesetz zu umgehen, besteht in der Auflösung der Kammern und der Abhaltung von vorzeitigen Parlamentswahlen. Die Beendigung der Legislatur bringt alle anhängigen Gesetze und Referenda zu Fall. Gabrio Lombardi, der Vater der Unterschriftensammlung gegen die Ehescheidung, sieht in einer solchen Maßnahme nichts weniger denn einen Staatsstreich, da auf diese Weise eine ganze Legislatur einer Sonderfrage — der Beibehaltung der Ehescheidung — geopfert würde.

Schließlich könnte das bestehende Ehescheidungsgesetz durch die Stimmenthaltung der Mehrheit der befragten Stimmbürger erhalten werden. Die italienische Verfassung sieht vor, daß ein Referendum zur Abschaffung eines Gesetzes nur Gültigkeit besitzt, wenn die Mehrheit der an die Urnen gerufenen Bürger es gutheißt. Daß im Kampf um eine solche Mehrheit, hüben und drüben des Tiber, bei allen sogenannten Laienparteien (also bei allen kirchlich nicht gebundenen politischen Bewegungen) und im Vatikan alle Register gezogen würden, was da und dort zu einem eigentlichen Religionskrieg führen könnte, bedarf keiner weiterer Er-

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