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Nicolaus Cusanus und das Standesamt

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Oesterreich hat — mit Ausnahme des Burgenlandes — bis 1938 weder die obligatorische noch die fakultative Ziviltrauung gekannt. Kurze Zeit nach dem Anschluß an das „Dritte Reich“ wurde in der nunmehrigen „Ostmark“ die obligatorische Ziviltrauung eingeführt und 1945, in dem wiedererstandenen Oesterreich, mit geringen Aende- rungen beibehalten.

Spät, sehr spät, schloß sich somit Oesterreich dem „Siegeszug“ an, den die obligatorische Ziviltrauung durch die Welt angetreten hatte. 1580 schon war sie in den protestantischen Provinzen Holland und Westfriesland eingeführt worden. 1653 folgte das England Oliver Cromwells. Der eigentliche Siegeszug begann mit der Französischen Revolution. 1792 in Frankreich cingeführt, übernahm sie der Code Civile Napoleon, und mit ihm hielt sie Einzug in alle jene Länder, wo dieses Gesetzbuch Geltung erhielt, so vor allem in Belgien, Holland, Italien, den deutschen Ländern links des Rheins, der Republik Genf und Rumänien. Frankreich, Belgien und Holland haben seitdem ununterbrochen an ihr festgehalten.

Der Liberalismus des 19. Jahrhunderts bediente sich der obligatorischen Ziviltrauung als Kampfmittel gegen die Kirche, wobei sich das seltsame Bild ergab, daß jene, die gegen den „Gewissenszwang“ des Klerus am lautesten zu Felde zogen, mit der Institution der obligatorischen Ziviltrauung selbst einen Gewissenszwang schufen. Ueberall, wo die Liberalen zur Herrschaft kamen, führten sie sofort die obligatorische Ziviltrauung ein, so 1865 in Italien, 1875 in der Schweiz. Im gleichen Jahr folgte Deutschland, 1895 sogar ein Teil der katholischen Habsburgermonarchie, nämlich das Königreich Ungarn, schließlich auch Portugal und die Staatenwelt Süd- und Mittelamerikas.

Aber dasselbe 19. Jahrhundert, das den Siegeszug der obligatorischen Ziviltrauung sah, erlebte auch schon die ersten rückläufigen Bewegungen: 1836 begann England — wie noch später zu zeigen sein wird — das Gesetz über die obligatorische Ziviltrauung so zu handhaben, daß damit praktisch die fakultative Ziviltrauung eingeführt wurde, einige Jahre bzw. Jahrzehnte später folgten Irland und, Schottland. Na »h dem ersten Weltkrieg erreichte die Welle die skandinavischen Staaten, die ebenfalls die obligatorische Ziviltrauung durch die fakultative ersetzten, 1929 führte sie Italien ein, 1941 das Portugal Salazars, 1953 sogar das einst so kulturkämpferische Mexiko. Die USA besaßen seit jeher nur die fakultative Ziviltrauung.

Diese letztere Entwicklung deutet auf den vielfach doch abebbenden Kulturkampf hin, aber auch auf das Bestreben mancher Staaten, eine wirkliche Gewissensfreiheit, die einerseits in fast allen Verfassungen gewährleistet, aber gleichzeitig durch die obligatorische Ziviltrauung verletzt wird, einzuführen. Ein Fallenlassen wird den Staaten aber auch durch die Haltung der Kirche erleichtert, die immer wieder erklärt, daß sie den Staaten ein besonderes Interesse an der Ehe zuerkenne, ihnen zubillige, eigene Ehematriken zuführen, eigene Aufgebote zu erlassen, von jeder Eheschließung rasch und in geziemender Weise Kenntnis zu erlangen und das Personen- und Güterrecht zu regeln.

Auch die österreichischen Katholiken haben nicht versäumt, ihrem Staate immer wieder zu versichern, daß sie ihm diese Rechte jederzeit voll und ganz zugestehen, er aber seinerseits die Pflicht habe, die in der Verfassung gewährleistete Gewissensfreiheit zu verwirklichen und das Gesetz über die obligatorische Ziviltrauung, das diese Gewissensfreiheit verletzte, durch ein Gesetz über die fakultative Trauung zu ersetzen. Ungehört blieben alle ihre Beteuerungen, dem Staate zu geben, was des Staates ist, unbeachtet alle ihre konstruktiven Vorschläge, die sie seit Jahren erstellten, unerfüllt ihre Forderung nach Gewissensfreiheit. Nach wie vor gilt der § 21 des Gesetzes, der besagt, daß jede Ehe nichtig ist, wenn sie nicht vor dem Standesbeamten geschlossen wurde. Nach wie vor gilt auch der § 67 dės Personenstandgesetzes, der die Vornahme der religiösen Eheschließung vor der standesamtlichen mit Gefängnis oder Geldstrafe bedroht. Starr stehen sich beide Positionen gegenüber; die eine, die die Einführung der fakultativen Ziviltrauung fordert, die andere, die die Beibehaltung der obligatorischen ebenso strikt verlangt. Die letzten Jahre brachten keine Lockerung, sondern eher eine Versteifung der Fronten. Eine Uebcrwindung der Gegensätze scheint unmöglich.

Und doch ist diese Ucber Windung möglich. Sie ist möglich in der Form der „Coincidentia oppositorum“ — der Vereinigung der Gegensätze —, wie sic ein Nicolaus Cusanus verkündete. Sie ist sogar möglich durch Beibehaltung des Gesetzes über die obligatorische Ziviltrauung in fast allen seinen Formen — mit nur geringfügigen Abänderungen einiger Sätze.

Das derzeit geltende Gesetz über die obligatorische Ziviltrauung schreibt bekanntlich vor, daß die Verlobten vor dem Standesbeamten und zwei Zeugen persönlich erklären, die Ehe eingehen zu wollen. Und zwar muß der Standesbeamte an die beiden Brautleute die Frage einzeln und nacheinander richten, ob sie die Ehe cingehen wollen, und, nachdem die Brautleute die Fragen bejaht haben, aussprechen, daß sie nunmehr rechtmäßig verbundene Eheleute seien.

Das schreibt das Gesetz vor. Nicht aber schreibt das Gesetz vor, daß der Standesbeamte eine Ansprache an die Brautleute zu halten habe. Nicht aber schreibt das Gesetz vor, w o die Trauung stattzufinden habe. Dies kann das Standesamt sein, muß es aber nicht sein. Und von hier aus ergibt sich die erwähnte „Coincidentia oppositorum“, die Vereinigung der Gegensätze. Da nicht vorgeschrieben wird, w o die staatliche Trauung stattzufinden habe, könnte dies ja auch — in der Kirche sein. Und zwar in der Form, daß staatliche und kirchliche Trauung — gleichzeitig stattfinden. Der berüchtigte § 67 des Personenstandgesetzes schreibt ja nur vor, daß eine kirchliche Trauung nicht vor der standesamtlichen stattfinden darf, keinesfalls aber, daß sie nicht gleichzeitig stattfinden könnten. Ein Paragraph des derzeit geltenden Gesetzes allerdings müßte abgeändert werden, der §18, der vorschreibt, daß der Standesbeamte an die Nupturienten einzeln und nacheinander die Frage zu richten habe, ob sie die Ehe eingehen wollen, und nach der Bejahung feststellen muß, daß sie nun verheiratet sind. Es müßte mit dem derzeit geltenden § 17 des Gesetzes sein Bewenden haben, der erklärt, daß die Ehe dadurch geschlossen wird, daß die beiden Verlobten vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe eingehen zu wollen.

Wie nun wäre der praktische Vorgang? Die beiden Brautleute erklären bei der A n- mcldung der Ehe am Standesamt, ob s?fc am Standesamt oder in der Kirche heiraten wollen. Wollen sie letzteres, so kommt der Standesbeamte in die Kirche zur Trauung, nimmt als pas siver Zeuge an ihr teil. Das heißt, er hört gemäß § 17 als Standesbeamter die Erklärung der beiden Brautleute vor dem trauenden Priester an, welche Erklärung somit zugleich vor ihm erfolgt. Nach erfolgter Trauung, wenn sich die Eheleute ins Ehebuch der Kirche einschreiben, können sie sich auch gleich ins staatliche Traubuch eintragen. Kirchliche und staatliche Eheschließung fallen zusammen. Das Gesetz über die obligatorische Ehe wird erfüllt und die Forderung der Kirche, daß die Trauung nur in Facie ecclesiac, nur im Angesichte der Kirche, stattfinde, ebenfalls. E s wird dem Staate gegeben, was er fordert, und der Kirche, worauf sieeinRechthat.

Mancher wird einwenden, dies sei alles recht schön, aber doch nur eine Konstruktion. Dieser Einwand kann entkräftet werden: mit dem Hinweis auf England, wo da Gesetz über die obligatorische Ziviltrauung in dieser Weise zur Zufriedenheit beider Teile gehandhabt wird.

Es könnte noch ein anderer Einwand erhoben werden: daß die Fälle der sogenannten ausnahmsweisen Eheschließung, bei denen die Kirche aus schwerwiegenden Gründen die Eheschließung ohne die bürgerlichen Formalitäten vollziehen muß, nicht unter diese Regelung fallen können. Dies ist richtig. Aber diese Fälle — die Kirche hat großes Interesse daran, daß sie so selten wie möglich sind — würden auch nicht durch ein Gesetz über die fakultative Ziviltrauung geregelt werden; für sie müßten auf jeden Fall besondere Normen geschaffen werden.

Der Oesterreicher hat nur zu oft in seiner Geschichte die Kraft bewiesen, Gegensätze zu überwinden, indem er sie auf einen gemeinsamen Nenner brachte. Die berühmte Lehre des Nicolaus Cusanus von der „Coincident!! oppositorum“ hat in seinem Lande immer wieder seine Bestätigung gefunden. Auch die beiden scheinbar so starren Gegensätze, wie „obligatorische Ziviltrauung“ und „fakultative Ziviltrauung“ könnten in der Form der vorgeschlagenen „Coincidentia oppo- sitorium“ auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden.

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