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Lehret alle…?

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Viel wird heute davon gesprochen, die Anweisungen des II. Vatikanischen Konzils forderten von den Katholiken den Aufbruch aus dem Ghetto. Das ist soweit ganz recht. Wenn unsere Großväter der katholischen Sache dadurch bestens zu dienen meinten, daß sie eine katholische Turnerschaft, einen katholischen Esperantistenklub, eine katholische Sparkasse gründeten, dann mag es nötig sein, diese Praxis nicht als falsch, sondern als überholt zu bezeichnen; dann mag es nötig sein, die Katholiken an die Herrenworte zu erinnern: „Was man euch ins Ohr geflüstert hat“ — in geschlossener Gesellschaft — „das verkündet von den Dächern“, in aller Öffentlichkeit des städtischen Verkehrs; und abermals: „Gehet hinaus und lehrt alle Völker.“ Doch eben dies steht heute in Frage. Gewiß, das Gottesvolk des Neuen Testaments ist grundsätzlich vom Gottesvolk des Alten Bundes verschieden. Die Speisegesetze, die Ritualvorschriften der Schrift, das von den Rabbinern interpretierte Brauchtum, all das hatte den Zweck, „einen Zaun um die Tora“, eine Grenze der Abschließung zwischen dem auserwählten Volk von Monotheisten und der heidnischen Umwelt auifzurichten.

Durch die Aufhebung des kirchlichen Gebots vom Freitagsfasten hat die Kirche die Absicht kundgegeben, zwischen den Katholiken und der modernen Umwelt keine Grenzen im gesellschaftlichen Leben zu ziehen; wir sollen mit den Zeitgenossen Zusammenleben. Aber schon der heilige Paulus erklärte ja allzu gewissenhaften Christen, daß sie — mit gewissen Vorsichtsmaßregeln — sehr wohl bei heidnischen Freunden eine Mahlzeit mitmachen dürfen, deren Fleisch von einem Opfertier kommt. Wir sind also seit den Anfängen des Christentums dazu aufgefordert, am Leben der Umwelt teilzunehmen. Aber wozu? Wir haben es gehört, sie zu lehren, um ihnen die Wahrheit zu verkünden, und sei es durch unser Beispiel, nicht dazu, um uns durch ihre Irrtümer dumm machen zu lassen. Es war ganz im Sinne dieser Gedanken gehandelt, wenn die Katholiken Österreichs halfen, auf Zeitschriftenverlage einen Druck auszuüben, damit diese von allzu schweinischen Annoncen Abstand nähmen. Das war auch schon höchst notwendig; manche Seiten gewisser deutscher Illustrierten sind schon den beschriebenen Wänden öffentlicher Bedürfnisanstalten oder sonstiger öffentlicher Häuser angeglichen.

Aber das ist doch nicht alles. Die katholischen Informationsmittel, auch und zuvorderst die katholischen Kanzeln, müssen unsere Öffentlichkeit noch über eine Angelegenheit aufklären, die für das Leben unserer Zeitgenossen wichtiger ist, als manes zunächst annehmen möchte. Das sind die Fragekästen unserer Zeitschriften. Wir wissen es ja, alle Wochenblätter und zumal die Illustrierten haben solche Rubriken. Das Gesetz hat dafür gesorgt, daß der ärztliche Frageonkel den Leser nicht vom rechtzeitigen Besuch des Facharztes abhält, daß er ihm nicht das Tragen eines Fledermauskopfes gegen Rheumatismus anrät. Auch wird die unerfahrene Jungvermählte ihren Herzliebsten wohl nicht vergiften, wenn sie ihm ein Risotto ä la Buntes Wochenblatt vorsetzt. Hat sie dagegen Krach mit ihm und schreibt an Frau Dorabella, dann bekommt sie eventuell Ratschläge, die sie als katholische Frau eben nicht befolgen darf. Wir wollen die Fragetanten nicht schmähen; mag sein, daß jede nach bestem Gewissen antwortet, und gewiß geben sie oft und oft vorzüglichen Rat, wie sich törichte Mädchen benehmen, wie sich zerstrittene Eheleute versöhnen sollen. Aber es ist Tatsache, daß allermeistens für diese Antworten nicht die katholische Moral, sondern die Durch- schnittsmoral des heutigen Städters maßgebend ist. Das ist natürlich? Eine Zeitschrift hat sich nach den Lesern zu richten? Frau Dorabella ist schließlich kein Kapuziner und kein Richter der römischen Rota? Schön; aber ein Grundsatz von Treu und Glauben bleibt gültig. Jede Ware muß richtig bezeichnet sein.Pferdefleisch ist nicht ungesund; aber ich darf es nicht Kalbsschnitzel nennen. Der Kunde muß wissen, was er kriegt; auch und gerade dann muß er das wissen, wenn er frei entscheiden soll, was ihm gut tut.

Der mündige Katholik von heute waren unsere Eltern kleine Kinder? — soll also meinetwegen lieber die Blaue und Gelbe und Karierte Wochenzeitung lesen als die „Kirchenzeitung“. Aber die Ratschläge in Herzenssachen soll er „ex infor- mata conscientia“ lesen. Er oder sie soll sich nicht dabei beruhigen: Es steht ja in der Zeitung. Es steht ja gedruckt da: Wenn Ihr Mann unausstehlich ist — geben Sie ihn frei; soll er die Flitschn heiraten. Wenn Sie vom Grantikus geschieden sind, heiraten Sie einen netten jungen Mann, der Sie besser versteht. Wenn Sie sich kein drittes Kind wünschen tun Sie alles, sage und schreibe alles, um es nicht zu kriegen. Aber wenn Ihre Tochter eines kriegt — oder, um das Deutsch von heute zu reden, wenn ein Kind kommt (offenbar von selber, ohne jemandes Zutun) und die junge Dame ist unverheiratet — schimpfen Sie nicht, das würde sie verdrießen. Sind Sie dagegen ein junger Mann, und die Eltern sind dagegen, daß Sie ein Mädchen heiraten mit einem Ruf wie Donnerhall — heiraten Sie; Sie müssen sich doch von den Eltern zu lösen wissen, und außerdem, wenn erst einmal ein herziges Enkerl da ist, werden sie schon zu schimpfen aufhören, und sollten Sie halt doch draufkommen, daß das Kind vom Nachbarn ist, dann ist zur Scheidung immer noch Zeit. Übertreibe ich? Im Gegenteil, ich untertreibe; was man in der heutigen Presse ernsthaft angeraten bekommt, ist nicht nur ein Denkmal der Ėntchristlichung, sondern würde einen Baumaffen zum Erröten bringen.

Daß wir’s nur sagen; Nicht nur diekatholische Moral ist in Gefahr, sondern auch die Demokratie. Wenigstens pflegt man uns zu sagen, daß zur Demokratie eine freie Presse gehört. Aber wie soll die Presse frei bleiben, wenn sie sich allgemeinen Haß durch Mißachtung der primitivsten Menschenrechte zuzieht? Reden wir konkret. Ein gleiches Recht hatte bisher ein jeder: „Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann“ (wie im Kinderreim) — jeder hatte das gleiche Recht auf die Liebe seiner Frau. Anders heute; es kann der Frömmste nicht in Frieden lieben, wenn es dem Starreporter nicht gefällt. Da gibt es also einen fremden Herrscher, der hat Deutschland und Österreich nichts getan (im Gegenteil). Aber eine deutsche Zeitschrift hält sich einen Starreporter, der beschimpft ihn. Hat der Monarch das durch Weibergeschichten verdient (die einem Muselmann übrigens zu verzeihen wären)? Im Gegenteil; er liebt seine Frau, er hat mit ihr Kinder. Und das ist eine Roheit, meint der Starreporter; sowas kann nur ein Despot seiner Frau zumuten. Wir hingegen meinen, man soll die Regierungen nicht in Versuchung führen. Warum sollte wohl eine Regierung die Pressefreiheit achten, sobald sie weiß, daß ein jeder Eingriff gegen die Presse mit befreitem Aufatmen, mit stürmischem Jubel begrüßt würde? Und das wird so sein, wenn diese Tintenkulis an ihren Mitmenschen überhaupt gar nichts mehr achten …

Eines ist jedenfalls dringend. Die Verantwortlichen der Kirche müssen den Durchschnittskatholiken völlig klarmachen, daß sie sich in sittlichen Fragen auf den Rat der Massenmedien überhaupt nicht verlassen dürfen. Jeder Katholik soll wissen, was seine von Gott gestiftete Kirche über Liebe und Ehe lehrt; ist ihm etwas unklar, dann muß er den Beichtvater, den Seelsorger fragen. Nicht den Marktschreier.

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