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Durch schwere Krise zum Land der verlorenen Illusionen geworden

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Das Schweden von heute ist ein Land der verlorenen Illusionen. Nach drei Jahrzehnten eines beispiellosen wirtschaftlichen und sozialen Aufstieges begann 1975, damals von wenigen in seiner Bedeutung erkannt, der Niedergang. Die Meldungen über Entlassungen und Betriebsschließungen in der Industrie überstürzen sich. Von den Leitungen großer Unternehmen, wie etwa der VOLVO und der ASEA, kommen Warnungen von einem Verfall der Arbeitsmoral, die tief beunruhigen müssen.

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Das Schweden von heute ist ein Land der verlorenen Illusionen. Nach drei Jahrzehnten eines beispiellosen wirtschaftlichen und sozialen Aufstieges begann 1975, damals von wenigen in seiner Bedeutung erkannt, der Niedergang. Die Meldungen über Entlassungen und Betriebsschließungen in der Industrie überstürzen sich. Von den Leitungen großer Unternehmen, wie etwa der VOLVO und der ASEA, kommen Warnungen von einem Verfall der Arbeitsmoral, die tief beunruhigen müssen.

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Die im Herbst 1976 gebildete bürgerliche Regierung versuchte mit Hilfe von Kreditaufnahmen gigantischen Ausmaßes die Arbeitslosenzahlen niedrig zu halten, was ihr auch gelang. Aber neben den etwa 100.000 registrierten Arbeitslosen gibt es annähernd 200.000 Arbeitnehmer, deren Arbeits- oder Umschulungsplatze praktisch genommen vom Staat bezahlt werden. Der Unterschuß im Staatshaushalt stieg in den letzten zwei Jahren von 9 auf 33 Milliarden Kronen und wird im nächsten Haushaltsjahr, nach der eben beschlossenen Beseitigung der Arbeitgeberabgaben, 41 Milliarden Schwedische Kronen erreichen. Für ein Land wie Schweden sind das astronomische Ziffern. Zum Vergleich muß genannt werden, daß die gesamten Staatseinnahmen im Haushaltsjahr 1976/77 nur 101,7 Milliarden Kronen betragen hatten. '

Die durch so viele Jahre als ein Normalzustand betrachtete Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition in allen wichtigeren Fragen ist so gut wie zusammengebrochen. Vom vielgepriesenen „Geist von Saltsjöba-den“ (der zielbewußten Verhandlungen an Stelle zermürbender Arbeitskämpfe!) ist kaum ein kümmerlicher Rest übriggeblieben. Dank der Klugheit und Konzilianz der Außenministerin, Frau Karin Söder, haben sich Regierung und Opposition auf diesem Gebiet noch nicht auseinandergelebt, aber in allen anderen Bereichen schaut es schlimm aus. Der Beschluß der Regierung - gefaßt unmittelbar nach Abschluß der Tarifverhandlungen - die Arbeitsgeberabgaben ab 1. Juli vollständig aufzulassen (nach ihrer Halbierung erst am 1. Jänner), veranlaßt die Gewerkschaftsführung zu rasenden Angriffen auf die Regierung, die man eines betrügerischen Spieles be-

schuldigt. Auf Grund der schweren wirtschaftlichen Situation hatten sich die Gewerkschaften mit einer Lohnerhöhung von nur 1,9 Prozent begnügt, während die beiden Regierungsbeschlüsse nun den Arbeitgebern eine Einkommensverstärkung - oder Ausgabenverminderung - von acht Milliarden Kronen geben. Die Angriffe des Führers der Gewerkschaftszentrale, die einer Kriegserklärung nicht unähnlich sind, kennzeichnen die Tiefe der Gegensätze.

Man kann der Regierung nicht den Vorwurf ersparen, daß sie auch bei der Behandlung solcher Fragen die Opposition unnötigerweise vor den Kopf stößt, bei denen sich, bei rechtzeitiger Fühlungsnahme, ein Einvernehmen würde herstellen lassen. So soll bei der Beschlußfassung über die zwei im Vorjahr durchgeführten Devalvierungen die Führung der Opposition überhaupt nicht informiert worden sein. Alle Regierungen vor der Fälldins hatten bei ähnlichen Beschlüssen immer Wert daraufgelegt, auch das Einverständnis der Opposition dafür einzuholen, oder - wenn ein solches nicht erreichbar war - sie Zumindestens zu informieren.

Zur Vergiftung der Situation trägt zweifellos auch die starre Haltung des Regierungschefs in der Kernkraftfrage bei. Neben sechs bereits arbeitenden Kernkraftwerken sind weitere fünf fertig oder stehen vor der Fertigstellung. Doch Fälldin und sein Energieminister finden immer neue Ausflüchte, um die Inbetriebnahme der zwei dafür bereitstehenden Werke zu verhindern. Das letzte Argument Fälldins für diese Haltung lautete, daß er solange der Kernkrafterzeugung nicht zustimmen Werde, so lange es unter den Experten in

dieser Frage Meinungsverschiedenheiten gebe. So werden Milliardenbeträge für Bauten ausgegeben, die nicht in Betrieb genommen werden dürfen, während die ölrechnungen beängstigende Höhen erreichen ...

Mitten in einer Fülle von Problemen stehend, hielt es die Regierung für notwendig, eine Revision der Verfassung des Jahres 1810 in jenen Teilen durchzusetzen, die das Erbrecht auf den Thron männlichen Angehörigen des Königshauses vorbehalten. Die Meinungen darüber, ob das gerade jetzt notwendig war, sind in allen Parteien geteilt. Die Arbeiterpartei hatte dazu erklärt, daß sie sich sowohl bei der jetzigen wie auch bei der vorge-

schriebenen zweiten Abstimmung über die Verfassungsänderung der Stimme enthalten wird. Für die Einführung der weiblichen Thronfolge stimmten am 20. April 159 Abgeordnete, 18 stimmten dagegen, während sich 130 der Stimme enthielten. Prinzessin Victoria, noch nicht einmal ein Jahr alt, ist also praktisch genommen bereits Kronprinzessin, mit allen Rechten, die einer solchen zustehen.

Ungeteilte Freude herrschte darüber nicht einmal im Lager der im übrigen sehr königstreuen Konservativen. So erklärte der Abgeordnete Hans Wachtmeister, daß er eine Prinzessin als Thronfolgerin nur dann akzeptieren könne, wenn kein männlicher

Thronerbe vorhanden sei. Außerdem sei der jetzt gefaßte Beschluß ein klarer Vertragsbruch. Nach seiner Auffassung werde der jetzt regierende König, Carl Gustaf XVI., der letzte Bernadette auf dem Königsthron sein, wenn auch Prinzessin Victoria den Namen Bernadotte tragen sollte. Die deutschen Wochenzeitungen, die in Berichten über das schwedische Königshaus und die kleine Victoria schwelgen, dürften damit eine harte Nuß zu knak-ken bekommen haben!

Wahrscheinlich würde die Situation im Regierungslager erfreulicher aussehen, wenn der Fälldin-Partei eine handlungskräftige liberale Partei zur Seite stehen würde. Knapp vor dem

Wahljahr 1976 war der damalige Führer der Liberalen, Dr. Gunnar Helen, vom jungen Nachwuchspolitiker Per Ahlmark abgelöst worden. Der Fall Helens kann auf das Konto der sozialdemokratischen Parteiführung geschrieben werden, die sich nicht dazu durchringen konnte, dem zusammenarbeitswilligen und über eine große politische Erfahrung verfügenden Helen eine Chance der Bewährung zu geben. Damit verspielte auch Palme die Chance, sich an der Macht zu halten. Der junge Ahlmark wurde in der Regierung Fälldin Arbeitsmarktsminister und stellvertretender Regierungschef. Schon nach wenigen Wochen war er jedoch gezwungen, das ebenfalls übernommene Ressort für Einwanderungsfragen abzugeben, und zu Beginn dieses Jahres erklärte er überraschend, daß er auf seine Regierungsposten und auch auf den Vorsitz in der Volkspartei verzichten wolle.

Sein Nachfolger sowohl in der Regierung wie auch in der Partei wurde Ola Ullsten, der nun das Ressort für Internationale Beistandsfragen und den stellvertretenden Regierungsvorsitz innehat. Per Ahlmark, der wiederholt durch seine extrem israelfreundliche Haltung auffiel und - offensichtlich ohne Wissen und Zustimmung des schwedischen Außenamtes - auch Israel besucht hatte, ist bereits in der Versenkung verschwunden.

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